Kategorie: Filmbesprechung
"11th Hour - 5 vor 12"
The 11th Hour
Wenn wir die Welt noch retten wollen, dann werden wir unsere Lebensweise, unser Wirtschaftssystem und vor allem unser Denken radikal ändern müssen.
Unterrichtsfächer
Thema
Unmissverständliche Botschaft
Dunkle Wolken ziehen auf. Schwarzblende. Ein Fötus. Schwarzblende. Eine Sturmflut bricht sich am Kai. Schwarzblende. Ein Soldat im Gegenlicht. Schwarzblende. Ein Wirbelsturm steht am Horizont. Schwarzblende. Die Eingangssequenz ist rasant geschnitten, fast avantgardistisch, und steigert sich schließlich bis zur atemlosen Apokalypsenvorschau. "11th Hour – 5 vor 12" ist nur wenige Minuten alt, da hat der Film schon unmissverständlich klar gemacht, was seine Botschaft ist: Wenn die Menschheit so weiter macht, wird sie sich selbst ausrotten. Das allerdings ist nun weitestgehend bekannt. Deshalb ist im weiteren Verlauf entscheidend, wie diese Botschaft an die Zuschauenden herangetragen wird und welche Konsequenzen daraus erwachsen. Denn "11th Hour – 5 vor 12" übernimmt nicht nur das gewohnte Bildmaterial des umweltschützenden Dokumentarfilms, kontrastiert Bilder von Zerstörung und Naturkatastrophen mit unberührter Natur, sondern adaptiert auch dessen missionarischen Anspruch. Um zu überzeugen und zu bekehren, setzt der Film ganz auf eine logische Argumentation.
Erklärungs- und Argumentationsstrategie
Entsprechend ist "11th Hour – 5 vor 12" aufgebaut wie eine Seminararbeit. Eröffnet wird der Film mit einer Einleitung, in der die These – es ist "fünf vor zwölf", noch hat die Menschheit die Chance, das Ruder herumzureißen – vorgestellt wird. Es folgt die Präsentation der wissenschaftlichen Fakten, aus denen die bedrückenden Schlüsse gezogen werden, die direkt zu düsteren Zukunftsaussichten führen. Dann werden die technischen Möglichkeiten aufgezeigt, die uns noch einen Rest Hoffnung lassen, und schließlich – final und alles entscheidend – eine Kulturrevolution gefordert. Wenn wir die Welt noch retten wollen, dann werden wir unsere Lebensweise, unser Wirtschaftssystem und vor allem und zuallererst unser Denken radikal ändern müssen.
Planet am Abgrund
Wissenschaftler/innen und Umweltaktivisten/innen, Journalisten/innen und amerikanische Ureinwohner/innen referieren die bekannten Fakten und Analysen. Prominente wie Stephen Hawking sind darunter und mit Michail Gorbatschow und Wangari Muta Maathai auch zwei Friedensnobelpreisträger/innen (1990, 2004). Platziert vor einem dunkelblauen Hintergrund, fügen sich ihre Aussagen im schnellen Schnittwechsel zu einer Erzählung, die bekannte Ursachen und Folgen der Umweltzerstörung zusammenfasst: Die Ausbeutung der fossilen Brennstoffe war ein Fehler, die Gletscher und Pol-Kappen schmelzen, die Naturkatastrophen werden immer dramatischer, Hurrikan Katrina war nur ein harmloser Vorgeschmack, Umweltgifte machen die Menschen krank, die Energiewirtschaft verhindert einen Wandel. Kurz: Der Planet steht am Abgrund und wir mit ihm.
Hoffnungsschimmer dank neuer Energietechnik
Diese Botschaft vermittelt der Film im Stakkato der Expertenstimmen, fachlich durchaus informativ und kompetent, allerdings indoktrinierend und ohne jede gegensätzliche Meinung. Unterstützt von Bildern nächtlich leuchtender Städte im Zeitraffer, wie man sie aus "Koyaanisqatsi" (Godfrey Reggio, USA 1983) kennt, hämmert "11th Hour – 5 vor 12" seine Wahrheit dem Publikum so lange entgegen, bis es sich verschreckt in der Grünen-Punkt-Tonne verkriechen möchte. Aber zugleich pflanzt der Film auch zarte Hoffnungskeime: Dank hochmoderner grüner Energietechnik – und ein vollkommenes Umdenken in den nächsten Jahren vorausgesetzt – haben wir die Chance, die Welt zu bewahren und zu verbessern. Diese Hoffnung illustriert der Film mit Computer-Animationen von klima-neutralen Städten, die noch entstehen müssen, und stützt sie mit kurz aufleuchtenden Grafiken, deren Botschaft allerdings häufig unklar bleibt.
Perspektiven und Lösungsansätze
Denn "11th Hour – 5 vor 12" ist bisweilen zu atemlos: Aus Angst ein Publikum mit einer vom Musikfernsehen geschulten, kurzen Aufmerksamkeitsspanne zu verlieren, bedient er sich einer assoziativen, hektischen Bildsprache in der besten Tradition des Agit-Prop-Films. Mit den benannten Fakten soll vor allem das in den USA ansässige Publikum erreicht werden. Denn die US-Amerikaner pusten nicht nur mit Abstand die meisten Treibhausgase in die Luft, sondern manchen könnten die enthüllten Tatsachen und wissenschaftlich längst unumstrittenen Erkenntnisse vielleicht auch noch fremd sein. Das alles erinnert auch an (Davis Guggenheim, USA 2006). Doch im Gegensatz zu dem Al Gore-Film beschränkt sich "11th Hour – 5 vor 12" nicht allein auf den Klimawandel. Im Mittelpunkt stehen ebenso die vergiftete Umwelt und Bodenerosion. Die Regisseurinnen bemühten sich um eine weiter gefasste Perspektive und um Lösungsansätze, die sicherlich auch fruchtbare Diskussionsansätze für die Behandlung von Umweltthemen im Unterricht liefern. Publicityträchtig ist zudem die Tatsache, dass der prominente Schauspieler und Umweltaktivist Leonardo DiCaprio als Coproduzent und Erzähler des Films fungiert.