Kategorie: Interview
"Ich habe mich gefragt, wie sich ein Kind fühlt, das nicht so tickt wie die anderen."
Andreas Steinhöfel, der Autor von Rico, Oskar und die Tieferschatten, spricht über Kinderbuchverfilmungen und die soziale Intelligenz von Kindern.
Andreas Steinhöfel, der Autor von "Rico, Oskar und die Tieferschatten" , spricht über Kinderbuchverfilmungen.
Andreas Steinhöfel (geboren 1962 im hessischen Battenberg) ist Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher wie "Es ist ein Elch entsprungen" , "Paul Vier und die Schröders" oder "Die Mitte der Welt" , die auch für Kino und Fernsehen verfilmt wurden. Für "Rico, Oskar und die Tieferschatten" erhielt er unter anderem den Deutschen Jugendliteraturpreis. Im Mittelpunkt von Steinhöfels Geschichten stehen meist jugendliche Außenseiter oder Familien aus prekären Verhältnissen. 2013 wurde er mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.
Herr Steinhöfel, Ihre Romanvorlage zu "Rico, Oskar und die Tieferschatten" ist sehr filmisch geschrieben. Interessieren Sie sich als Autor auch für Kinderbuchverfilmungen?
Weniger für Zum Inhalt: Kinderfilme speziell als für Film im Allgemeinen. Ich wollte früher Regisseur werden, daher rührt wahrscheinlich meine Vorliebe für eine visuelle Erzählweise. Ich sehe die Bilder, während ich schreibe, vor meinem inneren Auge. Was nicht bedeutet, dass meine Bücher mit der Absicht entstehen, dass sie später verfilmt werden können. Ich benutze einfach Mittel, die man beim Zum Inhalt: Drehbuchschreiben lernt. Zum Beispiel die erzählerische Konvention, so schnell wie möglich in eine Zum Inhalt: Szene einzusteigen. Die Leute gucken inzwischen viel mehr Filme und haben sich darum an dieses Tempo gewöhnt. Bei "Rico, Oskar und die Tieferschatten" habe ich allerdings versucht, die Erzählzeit zu verlängern. Da lege ich größeren Wert auf die emotionale Ebene.
Sie haben nicht am Drehbuch mitgearbeitet. Welche Aspekte waren Ihnen persönlich wichtig?
Für mich war die stärkste erzählerische Kraft die Beziehung zwischen Rico und seiner Mutter. Das Kind ist "special", die Mutter hat zudem einen Beruf, der in einem Kinderbuch eher ungewöhnlich ist. Also musst du für die Leser/innen ein emotionales Polster schaffen, damit sie sich mit den Figuren identifizieren können. Die Leser/innen dürfen sich nie Fragen stellen wie "Warum ist der so?" oder "Warum macht sie das?" Wenn diese Aspekte plötzlich im Mittelpunkt stehen, erzählst du eine andere Geschichte.
Sind Sie mit den Änderungen im Film im Vergleich zum Roman glücklich?
Dass ein Film so erzählt ist wie die Zum Inhalt: Romanvorlage, macht meiner Meinung nach keinen guten Film aus. Die Änderungen müssen visuell und Zum Inhalt: akustisch funktionieren, und das klappt in diesem Fall erstaunlich gut. Zum Beispiel gibt es im Film den Merkrekorder, kein Tagebuch. Mit den Mitteln des Kinos dramaturgische Klippen zu nehmen – etwas Tolleres kann bei einer Romanverfilmung nicht passieren.
Was war Ihre Inspiration für die Geschichte von Rico und Oskar?
Ausgangspunkt war eigentlich Oskar. Ich wollte ursprünglich ein Buch über ein hochbegabtes Kind machen. Und beim Kinderbuch tendiere ich, auch weil ich weiß, dass Kinder das mögen, zu Gegensatzpaaren. Also musste es Rico geben. Anfangs war er der kleine Doofe, über den alle gelacht haben. Der Stichwortgeber für die Gags. Bis ich merkte, dass ich die Figur fies runterputzte. Plötzlich tat mir Rico richtig leid. Autor/innen hinterfragen ständig ihre Figuren. Also fragte ich mich, wie sich eigentlich ein Kind fühlt, das nicht so tickt wie die anderen. Ich schlüpfte in die Rolle von Rico und dieser Perspektivenwechsel hat super funktioniert. Ich habe die Figur viel besser verstanden.
So wurde aus einer einfach nur doofen Figur, wie Sie sagen, ein Kind mit einer ganz eigenen Wahrnehmung.
Rico behauptet immer, er wäre nicht so schlau wie andere, aber das ist gar nicht wahr. Im Gegenteil verfügt er über ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz. Was ihm an Intellekt fehlt, versucht er beispielsweise durch sein Wörterbuch zu kompensieren. Das ist ein aufgeweckter kleiner Junge. Dahinter steckt auch ein wenig mein Renaissance-Ideal des sich selbst bildenden Kindes.
Besonders für ein Kinderbuch ist auch, dass Sie ein Milieu beschreiben, in dem das klassische Familienmodell nicht mehr funktioniert.
Das war durchaus als Reaktion auf eine mediale Welt gemeint, die alles nur noch auf ihr Empörungspotenzial hin abklopft und bevorzugt in Schubladen sortiert. Mit Stichworten wie "Hartz 4" oder "bildungsferner Haushalt" geht immer der Gedanke einher: Die armen Kinder, die muss man doch aus solchen Familien rausholen. Das ist natürlich völliger Humbug. Es gibt so viele bildungsferne Eltern, die alles für ihre Kinder tun würden. Während die bürgerliche Familie ihre Kinder bei der kleinsten Auffälligkeit lieber zum Therapeuten schickt. Wir leben in einer Zeit, die von vorschnell gefassten Bildern dominiert ist. Dagegen wollte ich mit "Rico, Oskar und die Tieferschatten" angehen.
Hatten Sie medizinische Bezüge für Rico im Hinterkopf? Sie benennen seine "Störung" nie ausdrücklich.
Das kann man alles draufpacken, wenn man möchte. Aber wenn ich nur einmal ADS erwähne, habe ich plötzlich eine ganz andere Geschichte, eine Problemgeschichte. Lasse ich diesen Begriff aber weg, drücke ich dem Jungen keinen Stempel auf und gebe den Leser/innen damit die Gelegenheit, sich den Menschen näher anzusehen. Dann ist Rico keine Sozialdiagnose mehr, sondern ein knuffiges, ziemlich gewitztes Kind.
In Ihrer Geschichte geht es ja auch um eine Freundschaft zwischen Außenseitern. Welche Einsichten können Kinder und Jugendliche durch Ihr Buch gewinnen?
Ein Buch, das geschrieben ist, damit man etwas draus lernt, ist ein schlechtes Buch. Ein Buch, das ein Lernangebot macht, lasse ich durchgehen. Das mache ich selber auch. Ich möchte aber keine Kinder erziehen, die von Erwachsenen Vorgekautes bloß nachplappern.