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Film und Malerei in "Porträt einer jungen Frau in Flammen"
Vom genauen Blick auf den Gegenstand über den Prozess des Bildermachens bis hin zur Ästhetik des Tableau vivant: "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ist ein Film voller intermedialer Bezüge zur Bildenden Kunst.
Im Zum Inhalt: Vorspann zu Zum Filmarchiv: "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ("Portrait de la jeune fille en feu" , Céline Sciamma, FR 2019) fallen malerische und filmische Leinwand in eines: Auf weißem Grund skizziert eine weibliche Hand mit einem Kohlestift eine Umrisslinie; mit schnellen Strichen fährt der schwarze Stift über die Fläche. Dazu erklingen Arbeitsgeräusche (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design) wie das Kratzen der Kohle auf dem Papier. Schon hier lenkt der Film seinen Blick auf den Entstehungsprozess von Bildern. Zur Veranschaulichung fokussiert die Kamera in Großaufnahme (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) das Malwerkzeug und die Hände unterschiedlicher Zeichnerinnen, die im Anschluss in Naheinstellungen gezeigt werden: wie sie beobachten, wie sich ihre Blicke von oben nach unten richten, um erst das zu zeichnende Objekt und dann das Blatt zu fixieren. Aus dem filmischen Zum Inhalt: Off ertönen Handlungsanweisungen einer weiblichen Stimme: "Erst die Konturen. Die Silhouetten. Betrachten Sie mich genau. Die Position meiner Arme, meiner Hände." Neben ihren Kunststudentinnen adressiert die Malerin Marianne so auch das Kinopublikum, wenn sie dazu auffordert, genau auf Gesten, Blicke und Haltungen zu achten.
Der Film lenkt den Blick auf die Herstellung von Bildern
Über diese Blickschärfung hinaus wird im Vorspann eine Ästhetik der Antizipation etabliert: Der Blick auf das Sujet wird uns zunächst vorenthalten beziehungsweise über Zeichnungen vermittelt und aus dem Off verbal umkreist – auch um ein Spannungsverhältnis zwischen blickendem Subjekt und angeblicktem Objekt durch Entzug und Aufschub zu steigern. Geschickt verknüpft Céline Sciamma die Fragen um Bildproduktion und Blickregime mit der asymmetrischen Gesellschafts- und Geschlechterordnung Ende des 18. Jahrhunderts. Zu Beginn des Film setzt sie eine weibliche Selbstermächtigung in Szene und bricht insofern mit einer männlichen Künstlertradition, als es Frauen damals weder erlaubt war, als künstlerisches Genie Erfolg zu haben, noch sie die Freiheit besaßen, sich als eigenständige Subjekte zu behaupten. Im Prolog wird der Frau nicht nur eine künstlerische Betätigung zugestanden, sondern er zeigt sie auch als ein weibliches Modell, dass sich freiwillig und sogar mit künstlerischen Vorgaben aus dem Off darbietet und somit selbstbestimmt über das eigene Bild und dessen Herstellung verfügt.
Künstlerische Konventionen spiegeln die Gesellschaftsordnung
Céline Sciamma ermächtigt die Malerin auch dramaturgisch, denn "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ist ein Erinnerungsfilm aus ihrer Perspektive: Marianne wird von einer verwitweten Adligen mit einem Ölporträt ihrer Tochter Héloïse beauftragt, das als Bewerbungsbild für einen aristokratischen Hochzeitsanwärter in Mailand fungieren soll. Diese Auftragsarbeit unterliegt nicht nur der Logik eines männlichen Blickregimes, sondern auch einem klassizistischen Schönheitsideal: Mit seiner klaren Komposition und kühlen Farbigkeit gerät das erste Bewerbungsporträt streng und steif, sodass mit malerischen Mitteln ein Entzug an Freiheit und Lebendigkeit vorweggenommen wird. Demnach ist die bildliche Konstruktion von Héloïses Körper von einer idealisierenden Enteignung geprägt. Mit dem patriarchalen Bild- und Blickregime geht ihr Freiheitsentzug einher: Wie das Bildnis wird auch Héloïse in den Besitz ihres künftigen Ehemannes übergehen. Ihr Porträt ist in einen Rahmen eingezwängt; sie selbst in den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit gefangen.
Die Funktion des Bildrahmens in Film und Malerei
In seinem Medienvergleich von Malerei und Film hat der französische Filmkritiker André Bazin auf eine Unterscheidung des Bildrahmens (Glossar: Zum Inhalt: Kadrage/Cadrage) als "cadre" oder als "cache" hingewiesen: Charakterisiert sind Malerei und Film demnach durch grundsätzlich verschiedene Formen der Begrenzung, die Sciamma in ihrem Film reflektiert. Hat der Rahmen ("cadre") in der Malerei die Funktion der Abgrenzung des Bildes gegen den Umgebungsraum und wirkt, wie Bazin beschreibt, zentripetal, indem er die Konzentration nach innen, auf die bemalte Leinwand lenken soll, so wirken auf der tendenziell unbegrenzten filmischen Leinwand zentrifugale Kräfte. Im Unterschied zur Malerei, ist für Bazin die "Umgrenzung der Kinoleinwand" ein "cache", eine Abdeckung, die nur einen Teil der Realität freilegt und einen Ausschnitt aus einem größeren Ganzen markiert: Im Film kann sich nicht nur etwas aus dem Feld jenseits des Bildausschnitts in das Bildfeld hineinbewegen; auch durch jeden Schnitt (Glossar: Zum Inhalt: Montage) und jede Zum Inhalt: Kamerabewegung rücken Dinge jenseits des vorhergehenden Bildrahmens in den Blick.
Visuelle Vorbilder aus der Kunstgeschichte
Sciammas Kamerafrau Claire Mathon und der Editor Julien Lacheray schaffen es, diese zentrifugale Dynamik des Films sichtbar zu machen – über das Zum Inhalt: Schuss-Gegenschuss-Prinzip, über das Verhältnis des Schauens und Zurückschauens, über eine nuancierte Choreografie von Blicken. Insistierend setzt Mathon die "malerischen" Topografien auf der bretonischen Atlantikinsel ins Bild: Mit ihren Panoramaeinstellungen werden die menschenleere Landschaft, die schroffe Steilküste bei Quiberon und das aufgewühlte Meer mit verwegenem Wellengang präzise abgebildet. In ihrer Bildgestaltung der nächtlichen Innenräume mit Kerzen und Kaminfeuer haben sich Sciamma und Mathon von der Licht- und Schattensetzung (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) des holländischen und italienischen Barocks inspirieren lassen. Die kaum möblierten Innenräume im lange unbewohnten Schloss erinnern in ihrer Zum Inhalt: Ausstattung an die karg und klassizistisch eingerichteten Interieurs des holländischen Barockmalers Vermeer, die Ausleuchtung mit Kerzenlicht an die Beleuchtungseffekte des italienischen Barockmalers Caravaggio. Das flackernde Kerzenlicht wirft in den Nachtaufnahmen gelbrotgoldenes Licht auf die Gesichter von Héloïse und Marianne.
Blickwechsel des Begehrens
Nicht nur Mathons Landschaftsbilder wirken wie eine Abfolge von Malerei in Bewegung – auch ihre Porträtaufnahmen. Bei ihrem ersten gemeinsamen Spaziergang stehen Héloïse und Marianne an einer schroffen Klippe. Die Brandung rauscht, der Wind pfeift und zerzaust ihre Haare. Beide blicken aufs weite Meer. Die Kamera ist dabei seitlich positioniert, sodass Mariannes Profil das von Héloïse verdeckt. Wenn sie ihren Kopf zunächst zaghaft zu Héloïse dreht, gerät auch deren Gesicht ins Bild. Als Héloïse bemerkt, dass Marianne sie betrachtet, blickt sie zurück und Marianne wendet ihren Blick ab, sieht aufs Meer und Héloïse verschwindet wieder hinter ihrem Profil. Der kurze Blickwechsel wird wiederholt und die Frauen halten den Blick und schauen einander in die Augen. Eindrücklich zeigt die Szene, wie Blicke mit Begehren zusammenhängen – und wie sie variieren, wenn sich Beziehungen wandeln.