Der in Taiwan geborene und in den USA lebende Ang Lee gehört zu den erfolgreichsten Regisseuren der Gegenwart. Dabei vereint er in seinen Filmen die Kunst der Blockbuster mit dem anspruchsvollen Arthousekino. Zu seinen vielfach ausgezeichneten Werken gehören unter anderem (Sense and Sensibility, USA, Großbritannien 1995), (Crouching Tiger, Hidden Dragon, USA, China, Hongkong, Taiwan 2000) (USA 2003) und (USA 2005), für den Ang Lee nicht nur den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig bekam, sondern auch den Oscar® für die beste Regie. Die Literaturverfilmung Zum Filmarchiv: "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" ist seine erste Arbeit in 3D.

Mister Lee, der Roman Life of Pi galt lange als unverfilmbar: ein Junge zusammen mit einem Tiger in einem Boot mitten auf dem Ozean. Wie haben sie sich der Geschichte genähert?

Als ich das Buch zum ersten Mal las, erschien mir vor allem der erste Teil auf eine absurde Weise komisch. Wie Pi jede Religion in sich aufsaugt und sich seine eigene zusammenreimt. Auf der Reise im Ozean ist alles, was er sagt, einfach nur fantastisch. Es ist zugleich glaub- und unglaubwürdig. Die Existenz der Insel, auf der Pi strandet, lässt sich zum Beispiel wissenschaftlich nicht beweisen. Aber ebenso könnte es sein, dass es sie tatsächlich gibt. Das hat mich gleichzeitig fasziniert und verstört. Ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Magier der Bilder. Eine Geschichte zu erzählen, die genau das in Frage stellt, hat mich herausgefordert.

Sie haben das erste Mal in 3D gedreht. Wie war das für Sie?

Ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig. Um ehrlich zu sein, musste ich meine Komfortzone als Regisseur verlassen. Alles ist so neu und so anfällig, da kann ein kleiner Fehler in der Technik bei den Dreharbeiten schon mal den ganzen Zeitplan über den Haufen werfen. Selbst wenn irgendwo nur eine Schraube locker ist. Aus künstlerischer Sicht ist es verwirrend. Es gibt ja noch keine Filmsprache in 3D. Der Regisseur und die Zuschauer haben noch keine Übereinkunft darüber, was sie gegenseitig voneinander erwarten.

Sie haben 3D also als Spielwiese genutzt?

Ich musste erst einmal eine Art Vertrauen dazu aufbauen. Lange Zeit hatte ich Zweifel an dem, was ich sah. In 2D kann ich meinen Augen trauen, ich weiß, wie Filme gemacht werden. Wir können auf 100 Jahre Filmgeschichte zurückblicken. Das heißt, wir haben Referenzen für ein ganzes Jahrhundert. 2D-Filme strahlen etwas Solides aus. Genau das fehlt 3D-Filmen noch.

Bei 3D sagen aber viele Regisseure, es käme unserem eigenen Leben näher, weil wir ja auch in 3D sehen.

Schon – aber dennoch sind 3D-Filme nicht wie das wahre Leben. Das heißt im Umkehrschluss, wir können mit 3D-Filmen das Leben auch nicht einfach imitieren. 3D-Filme haben immer noch einen Rahmen, eine äußere Begrenzung. Diese Einengung nach außen habe ich aber als Chance begriffen, mit dem Raum als solchem anders umzugehen. Ich konnte die Leinwand nach vorne und nach hinten verlassen und dadurch ganz andere Akzente setzen. 3D ist wie das Erkunden einer neuen Landschaft, die Neuvermessung der Kinoräume.

Wie schwer war es für den Hauptdarsteller Suraj Sharma, alleine im Boot zu sitzen und kein Gegenüber als Anspielpartner zu haben?

Wir haben versucht, es für ihn so visuell wie möglich zu gestalten. Ich habe Suraj viel erklärt, damit er versteht, worauf er sich in jeder Szene einlässt. Dann hatten wir noch Leute in blauen CGI-Anzügen, die mit ihm im Boot saßen. An ihnen konnte er sich orientieren, hat Hilfestellungen bekommen, wie er in den einzelnen Interaktionen mit dem Tiger atmen musste, wie er sich zu bewegen hatte – wir wollten es für ihn so realistisch wie möglich gestalten. Es sollte glaubhaft sein. Für ihn und für uns.

Gibt es denn den einen echten Tiger als Vorlage für die Animation?

Ja, er heißt King. Ein sieben Jahre alter, 450 Pfund schwerer Tiger. Das war unser Richard Parker. Allerdings ist King – anders als Richard Parker – Franzose und kein Inder. Wir haben King vor Suraj gedreht. So wussten wir, womit wir es überhaupt zu tun hatten. Natürlich konnten wir das Material kaum verwenden, aber die Animatoren hatten Anhaltspunkte, wie sie sein Haar, seine Muskeln, seine Bewegungsabläufe gestalten sollten. Wir wussten, dass wir den Tiger nicht zu sehr vermenschlichen durften. Der Tiertrainer stand uns immer zur Seite und konnte uns helfen, den animierten Tiger wie einen echten Tiger agieren zu lassen.

Was soll der Zuschauer aus "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" mit nach Hause nehmen?

Ich will ihm Hoffnung geben, gleichzeitig aber auch durcheinanderbringen. Ich hoffe, das Publikum setzt sich mit dem Unerklärlichen auseinander – eben jenen Dingen, die wir nicht beweisen können, der Spiritualität. Daran zu glauben verlangt Vertrauen. Und darum geht es doch im Leben. Noch mehr als um die wissenschaftlich erklärbaren, fassbaren Dinge. Ich will den Zuschauer ermutigen, sich mit seiner eigenen Spiritualität auseinanderzusetzen.