Die Berliner Regisseurin Leonie Krippendorff wurde 1985 in Berlin geboren. Nach einer Ausbildung zur Fotodesignerin, begann sie 2009 ein Zum Inhalt: Regie-Studium an der Filmuniversität Babelsberg. Ihr Diplomfilm "Looping" über eine Beziehung dreier Frauen in einer psychiatrischen Klinik wurde 2016 beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis uraufgeführt. Ihr zweiter Zum Inhalt: Spielfilm Zum Filmarchiv: "Kokon" erzählt eine sommerliche Liebesgeschichte aus Berlin-Kreuzberg, in deren Mittelpunkt die 14-jährige Nora steht, die von Lena Urzendowsky gespielt wird. Die 20-jährige Berlinerin war unter anderem in dem TV-Thriller "Das weiße Kaninchen" (DE 2016), in der Webserie "Dark" (DE 2017) oder in dem Kinofilm "Was gewesen wäre" (DE 2019) zu sehen und wurde für ihre Darstellungen bereits mehrfach ausgezeichnet.

Anna Wollner hat im Juli 2020 für kinofenster.de mit der Regisseurin und der Hauptdarstellerin von "Kokon" über den Film gesprochen. Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.

kinofenster.de: Coming-of-Age-Geschichten gibt es wie Sand am Meer. Trotzdem ist "Kokon" anders als die anderen Coming-of-Age-Geschichten. Wie hast du, Leonie, die Geschichte entwickelt?

"Leonie Krippendorff:" Ich habe mich ganz viel von meinen eigenen Gefühlen in Noras Alter inspirieren lassen. Dieses Erwachsenwerden war eine total intensive Zeit – so wie wahrscheinlich für alle Menschen. Es stimmt, es gibt sehr viele Zum Inhalt: Coming-of-Age-Filme. Aber ich wollte einen Film machen, der besonders körperlich ist und der das Thema, dass sie ihre Periode bekommt, realistischer darstellt als sonst üblich. Das war der Anfangsgedanke und eine der ersten Szenen war die Zum Inhalt: Szene zwischen Nora und Romy auf der Toilette. Ich wollte zeigen, wie erleichternd es für Nora ist in der Situation, in der sie gerade ihre Periode bekommen hat, dass jemand zur Hilfe kommt, dieses Periodenblut anfasst und ohne Scheu auswäscht und ihr dadurch bewusst wird, dass das völlig normal ist und sie sich dafür in keiner Weise schämen muss.

kinofenster.de: "Kokon" ist ein Coming-of-Age-Film, es ist eine Coming-out-Geschichte, ohne aber großes Aufsehen darum zu machen. Es geht einfach um die erste große Liebe und die ist zufällig eine Frau. Wie seht ihr das? Lena, wie war das für dich, dich in diese Rolle hinein zu versetzen? Und wie wichtig ist die Repräsentation von queeren Figuren im jungen Kino?

Lena Urzendowksy: Es war ein großes Thema, weil es eben viel darum geht, herauszufinden, wann etwas Liebe und wann etwas einfach eine große Freundschaft oder eine Faszination für einen anderen Menschen ist. Ich finde es total gut, dass es in dem Film beispielsweise gar nicht so sehr um die Frage geht "Wie sage ich es meinen Eltern"? Das Coming-out ist also eigentlich ein Coming-out von Liebe und davon, erstmals zu begreifen, was es bedeutet, wirklich verliebt zu sein.

Leonie Krippendorff: Tatsächlich war das auch ein Punkt in der Drehbuchentwicklung (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch), dass mir aufgefallen ist, dass es kein queeren Film für junge Mädchen gibt – zumindest habe ich bei meiner Recherche keinen deutschen queeren Film für junge Mädchen im Schulalter gefunden. Das hat mich bestärkt, eine Geschichte dazu zu erzählen.

kinofenster.de: Leonie du bist 35 Jahre alt, Lena du bist 20. Zwischen euch liegen 15 Jahre Altersunterschied. Habt ihr mal darüber geredet, wie unterschiedlich eure Pubertät jeweils war? Oder kann man überhaupt davon ausgehen, dass sie unterschiedlich waren? Also, kann man sie miteinander vergleichen? Und wie habt ihr versucht, aus euren unterschiedlichen oder womöglich gemeinsamen Erfahrungen eine Art Schablone für den Film zu erarbeiten?

Leonie Krippendorff: Ich glaube, wenn man wirklich an das Herz der Gefühle geht, dann ist es gar nicht so anders. Ich glaube, dass die Ängste, Gefühle und Sehnsüchte sich nicht verändern. Es verändert sich natürlich ganz viel drum herum. Ich bin komplett ohne soziale Medien aufgewachsen. Das ist natürlich heute ein Riesenthema. Da wird wird alles ganz anders verhandelt.

Lena Urzendowsky: Ich würde das total unterstreichen, dass es ein Grundgefühl der Pubertät gibt. Dazu gehört, dass man sich etwa beengt fühlt – von sich selbst, aber auch von den anderen. Es ist egal, ob das tatsächlich der Fall ist oder nicht, es fühlt sich trotzdem so an. Und, dass die Älteren etwas von einem erwarten. Das kann die große Schwester sein, die erwartet, dass man in die coole Gruppe reinpasst, damit man nicht peinlich ist, oder es sind die Eltern, die irgendeinen Leistungsdruck übertragen. Es kann alles Mögliche sein. Aber dieses Gefühl, dass man irgendwie in diese Welt reinpassen muss, obwohl man selber noch gar nicht genau weiß, wie man eigentlich sein will, und die ganzen, damit verbundenen Konflikte – das ist, glaube ich, etwas, was zeitlos ist.

kinofenster.de: Gerade bei Schauspieler/-innen ist der Druck oft da, dass sie in sozialen Netzwerken präsent sein müssen, gar nicht so sehr als Privatperson, sondern als Schauspielerin, die dort eine gewisse Rolle spielen muss. Merkst du diesen Druck auch? Bist du aktiv in den sozialen Netzwerken und füllst du dort zusätzlich eine andere Rolle aus?

Lena Urzendowsky: Ich merke diesen Druck durchaus. Was ich dabei schwierig finde: Ich bin noch ziemlich jung und noch nicht so lange berufstätig und man muss sich sehr schnell auf ein Bild festlegen oder sich früh entscheiden, wie man sich präsentieren möchte. Ich bin aber gerade dabei herauszufinden, wie ich das in meinem privaten Leben machen möchte, und eigentlich nicht an dem Punkt, wo ich das für die ganze Welt und die Öffentlichkeit tun kann und möchte. Das hat mir eine Zeitlang große Angst gemacht. Aber ich bin jetzt so weit, dass ich dieses Interesse der Öffentlichkeit für meine Person gerne nutzen möchte, um politische Inhalte, die mir am Herzen liegen, zu vertreten. Ich bin auf Instagram und ich nutze diese Plattform natürlich, um meine Projekte zu promoten, aber ich poste auch zunehmend, wenn ich etwa auf Demos gehe, die mir wichtig sind. Ich habe zum Beispiel für 3sat einen Beitrag gemacht, wo ich einen Tag lang gezeigt habe, was ich mache, was ich wichtig finde und wofür ich mich einsetze.

kinofenster.de: Ihr kommt beide aus Berlin. "Kokon" spielt an und um das Kottbusser Tor herum. Die Gegend gehört nicht unbedingt zu den schönsten Ecken der Stadt, aber im Film ist Kreuzberg definitiv eine Art Hauptdarsteller. Welche Rolle spielt Kreuzberg für euch in der Geschichte?

Leonie Krippendorff: Ich habe die Geschichte dort angesiedelt, weil dieses Viertel so divers ist. Wir haben viel mit Darstellern gedreht, die in dem Haus, in dem wir gefilmt haben, auch tatsächlich wohnen. Das sind also wirklich Jugendliche, die dort aufgewachsen sind. Ich fand es dabei sehr schön zu beobachten, dass es völlig egal war, wer welchen Background hatte. Alle waren auf einer Augenhöhe. Es hat mir gefallen, das zu sehen und es auch in "Kokon" miteinfließen zu lassen. Nora ist eher eine introvertierte, schüchterne Figur und ich fand es spannend, so eine Figur in einem relativ harten Umfeld spielen zu lassen. Meist habe ich nämlich das Gefühl, dass die Figuren dann eben auch super tough und laut sind, weil sie sich dieser Welt anpassen und überleben müssen. Aber es gibt eben auch schüchterne, leise und introvertierte Personen, die in einer rauen Welt aufwachsen und die haben ihre ganz eigenen Überlebensstrategien. Es war mir wichtig, dass es auch mal so eine Frauenfigur gibt.

kinofenster.de: Die letzte Frage: Was möchtet ihr Jugendlichen mit diesem Film vermitteln? Was können oder sollen sie daraus lernen und mitnehmen?

Leonie Krippendorff: Ich kann sagen, dass ich mir sehr wünsche, dass es vielleicht Menschen – egal welchen Alters – gibt, die sich verstanden fühlen. Sicherlich würde es mir besonders viel bei den jungen Menschen bedeuten, die in Noras Alter sind, die sich ihren Gefühlen und Situationen, mit der Entwicklung, die sie in diesem Sommer durchmacht, identifizieren können und leicht gestärkt aus dem Kino rausgehen, weil sie das Gefühl haben, dass sie doch nicht so alleine sind.

Lena Urzendowsky: Am Anfang des Films passt sich Nora sehr an – an ihr ganzes Umfeld, an die Erwartungen, die ihre Schwester an sie hat. Dann lernt sie Romy kennen. Das ist plötzlich wie eine Tür zu einer anderen Welt. Sie geht darin total auf und verliebt sich in diese Frau, aber natürlich auch in das, wofür Romy steht und in diese Freiheit, die Romy fühlt. Dieses Einfach-Machen, was einem liegt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie andere das finden – wenn man das verinnerlichen und mitnehmen könnte, das fände ich total toll. Und noch weiter: Wenn Romy Schluss macht mit Nora, finde ich es sehr wichtig, dass man oder dass Nora versteht, dass dieses Freiheitsgefühl nicht an eine Person gebunden ist, sondern dass es aus ihr kommt. Und dass es ganz viele Nischen und Menschen auf der Welt gibt, die man finden kann und die auf jeden Fall da sind, die einem entsprechen und mit denen man sich entwickeln kann – und die einen dann auch bedingungslos lieben. Wenn man das mitnehmen könnte, fände ich das schön.

kinofenster.de: Herzlichen Dank für das Gespräch.