Jack Hofer, der in Zum Filmarchiv: "Einer von uns" Julian verkörpert, ist 18 Jahre alt und hat 2016 in Krems an der Donau seine Matura (Abitur) gemacht. "Einer von uns" ist sein erster Kinofilm. Weitere Filme sind geplant. Zurzeit macht er seinen Zivildienst. Simon Morzé ist 20 Jahre alt, spielt im Film die Rolle des Marko und studiert an der Uni Wien Philosophie. Längerfristig möchte er aber gerne in Deutschland Schauspiel studieren. Bisher hat er in Österreich vor allem fürs Fernsehen (u.a. in der Krimiserie "Schnell ermittelt" ) gearbeitet. "Einer von uns" ist sein zweiter Kinofilm.

Jack und Simon, könnt ihr kurz beschreiben, wie ihr eure Figuren erarbeitet habt?

Jack Hofer: Ich war durch das Casting schon zwei Jahre vor Drehbeginn dabei. Deswegen habe ich immer wieder mit dem Regisseur Stephan Richter über die Rolle geredet. Dadurch hat sie sich über die Zeit manifestiert. Da ich selbst aus der Umgebung von Krems komme und jeden Tag am Tatort vorbeigefahren bin, hatte ich schon eine Beziehung zu dem Thema. Ich weiß, wie die Menschen in Krems sind. Ich würde nicht von Milieu sprechen, wir sind alle Menschen und ich sehe es nicht als spezielles Milieu. Zudem kenne ich in Krems Menschen mit sehr unterschiedlichen Umfeldern. Ein weiterer Punkt der Vorbereitung war, dass wir sechs Wochen lang vorab intensiv geprobt haben. Dabei sind wir die Szenen durchgegangen und haben über die Charaktere geredet.

Simon Morzé: Die Rolle des Marko, die auf dem älteren Jungen Roland beruht, der bei dem tatsächlichen Überfall verletzt wurde, hat sich schon sehr stark von den Rollen unterschieden, die ich bisher gespielt habe. Menschen werden ja immer durch ihr Umfeld geprägt und als ich mich mit der Figur beschäftigte, war einfach klar: So ein Umfeld wie Marko habe ich nie gehabt. Ich bin ganz im Gegenteil sehr behütet aufgewachsen.

Wie würdet ihr eure Figuren charakterlich beschreiben?

JH: Julian ist ein zurückhaltender Mensch, der wie wahrscheinlich jeder Anerkennung sucht und cool wirken will. Deshalb freundet er sich mit Marko an.

SM: Marko lebt in einem sehr brutalen Umfeld. Das war schwierig für mich: Wie wird man zu einer Person, die man umgebungsmäßig nicht nachvollziehen kann? Deswegen habe ich versucht, mich in die Figur reinzuarbeiten und die Gedankengänge nachzuvollziehen. Mir hat dabei der körperliche Aspekt sehr geholfen, zum Beispiel der Gang einer Person. Wie geht jemand, der gerade aus dem Gefängnis kommt?

Wie hat die Arbeit an der Rolle konkret ausgesehen?

SM: Ich war kickboxen mit dem Christopher Schärf, der im Film Victor spielt. Zum einen, damit wir uns besser kennenlernen. Aber es hat natürlich auch geholfen, dieses Körpergefühl zu bekommen. Man versucht einfach, die Figur und ihren Charakter so gut wie möglich nachzuvollziehen und dabei nicht ins Klischee abzudriften. Es geht ja auch darum, dass ich die Figur, die ich spiele, nicht bewerte. Ich versuche einfach, sein Wesen nachzuvollziehen und dabei hat uns Stephan Richter sehr geholfen. Er hat für die Proben gesorgt, uns aber auch viel Freiraum gegeben.

JH: Ich weiß nicht, wie es bei dir war, aber mir hat Stephan auch manchmal etwas über die Biografie meiner Rolle zusammengeschrieben. Ich hab mit ihm darüber geredet und dann selbst Dinge dazu gebaut. Nicht zu vergessen Julian Sharp, unser Schauspiel-Coach, der uns bei der Erarbeitung der Figuren sehr geholfen hat. Er hat außer Dominic Singer, der Michael spielt, alle Jugendlichen gecoacht. Das hat auf jeden Fall geholfen, vor allem, weil es meine erste Filmrolle war.

An welchem Punkt ist eurer Meinung nach Marko, als er aus dem Gefängnis kommt?

SM: Ich glaube, wenn man das erste Mal im Gefängnis war, kommt man als vollkommen anderer Mensch wieder heraus. Davor ist alles so unwirklich. Du kannst Scheiße bauen, es hat aber keine wirkliche Konsequenz. Wenn du aber im Gefängnis bist, die Türen gehen zu und du weißt: Du kommst nicht mehr raus, du sitzt da jetzt fest – dann verlierst du den Übermut und resignierst. Wenn du wieder rauskommst, siehst du die Dinge einfach nicht mehr so wie vorher. Du bist gebrochen, was natürlich auch immer vom Gefängnis abhängt. All das habe ich versucht darzustellen. Er ist nicht mehr der energische Mensch, der er mal war, er hängt ein bisschen in der Luft. Er weiß nicht mehr, wer er ist, kann sich durch nichts mehr definieren. Was macht er also? Er sitzt herum, kifft, säuft und hat keinen Plan.

Simon, bist du in Wien aufgewachsen oder hast du wie Jack auch Erfahrungen mit der Umgebung?

SM: Ich bin in Wien aufgewachsen, habe 15 Jahre hier gelebt, dann kurz in Niederösterreich. Aber jetzt wohne ich wieder in Wien. Krems und seine Umgebung habe ich nie wirklich mitbekommen.

JH: Die Leute sollen jetzt nicht glauben, Krems wäre eine wilde Gegend. Es sind alles chillige Leute dort. Aber ich bekomme natürlich mit, wo Florian (Anm. d. Red.: das reale Vorbild zur Rolle Julian) gelebt hat, und man hört von Leuten, die ihn gekannt haben.

Ist das Thema nach sieben Jahren dort noch präsent?

JH: Also wenn man es anspricht, schon, da spürt man auch noch starke Emotionen. Aber eigentlich ist es kein Thema mehr und das finde ich schade. Hier ist ein Kind gestorben und das gerät in Vergessenheit.

Habt ihr den Vorfall und die Berichterstattung damals bewusst mitbekommen?

JH: Eigentlich nicht so intensiv. Ich wohne ja etwas außerhalb von Krems. Wenn ich direkt in Krems gewohnt hätte, wäre es vielleicht anders gewesen. Ich war damals auch einfach viel zu jung. Ich habe nur im Fernsehen einen Beitrag darüber gesehen.

SM: Ich kann mich erinnern, dass es in den Nachrichten war und an ein Bild: Man hat Jugendliche gesehen mit Blumen, die im Gedenken vor dem Supermarkt im Gänsemarsch aufmarschiert sind. Als ich dann wusste, dass ich bei diesem Filmprojekt mitmache, habe ich natürlich viel darüber gelesen. Es ist einfach ein sehr schwieriges Thema, denn diese verlorenen Jugendlichen existieren in Österreich überall. In Krems ging das schief. Das hängt, glaube ich, sehr vom persönlichen Umfeld ab. Ich habe in meiner Jugend auch Blödsinn gemacht, zwar nicht in dem Ausmaß, in einen Supermarkt einzubrechen – aber das hätte auch schiefgehen können.

Welche Position bezieht der Film?

SM: Der Film zeigt sehr gut, dass das Ausmaß von dem, was du anstellst, durch die Tristesse und dein Umfeld wächst. Was macht man an so einem Ort als Jugendlicher auch schon? Und wie wird man erzogen? Man entwickelt sich in die Richtung, aus der die Impulse kommen – und wenn die nicht gut sind und du auch noch von Tristesse umgeben bist, dann säufst du und kiffst. Man muss fragen, wie man diese Situation ändern kann. Du kannst keine Betonwüsten bauen und dich wundern, wenn die Menschen darin durchdrehen.

Was können Jugendliche aus "Einer von uns" für sich mitnehmen?

JH: Solange Kinder und Jugendliche in solche Lebenssituationen wie in "Einer von uns" gelangen können, ist das System, in dem wir leben, noch lange nicht perfekt.

SM: Die Jugendlichen sollen einen Blick hinter die Fassade werfen und Klischees hinterfragen. Es wird immer wichtiger, sich mit unserem sozialen und wirtschaftlichen System auseinanderzusetzen.