David Hadda, geboren 1984 in Frankfurt/Main, studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg und ging dann zum Fernsehen. Bekannt wurde er als Produzent der WDR-Talkshow "Freitagnacht Jews" . "Die Zweiflers" ist seine erste TV-Serie. Im Interview mit kinofenster.de spricht der Showrunner darüber, wie er die deutsche Öffentlichkeit mit jüdischen Lebensrealitäten vertrauter machen möchte.

kinofenster.de: Herr Hadda, können Sie skizzieren, was für die Entstehung der Serie Die Zweiflers wichtig war?

David Hadda: Der Stoff ging mir schon viele Jahre im Kopf herum. Ich bin in Frankfurt am Main geboren und in der jüdischen Gemeinde aufgewachsen. Da gab es viele Menschen, über die ich eine Geschichte schreiben wollte: nicht autobiographisch, sondern emotional biographisch. Eine Collage. Der Großvater war immer der Anker. Ein Mann, der Auschwitz überlebt, aber alles verloren hat. Nach dem Krieg kommt er als Heimatloser nach Deutschland (er ist kein Rückkehrer!), bleibt im Land der Täter, gründet eine Familie, und nimmt sich, was sie braucht, um weiterleben zu können. Ich versuche zu zeigen, was das mit den darauffolgenden Generationen macht. Symcha Zweifler ist auch ein Gegenentwurf zu einem Opfernarrativ. Die Figur hatte für mich immer etwas Empowerndes.

kinofenster.de: Neben den eigenen Erfahrungen und Beobachtungen spielen auch Genre-Aspekte offensichtlich eine Rolle. In welcher Form haben Sie das Projekt bei der ARD/Degeto vorgeschlagen?

David Hadda: "Die Sopranos" sind für mich die prägendste Serie in diesem Genre, weil sie psychologisch komplexe Figuren zeichnet. Sich Zeit lassen können beim Erzählen von Figuren, das ist der Wunsch. Ich habe auch "Die Zweiflers" einmal als einen großen Stoff entworfen, damals dachte ich aber, noch nicht in einer Position zu sein, um so einen Stoff allein verkauft zu bekommen. Und bei großen Produktionsfirmen oder Netflix hätte ich alle Rechte an meiner Idee abgeben müssen. So habe ich das dann zuerst einmal als ein Kammerspiel entworfen: Der Großvater ist gestorben, die Familie kommt zusammen und sitzt Schiv'a (jüdisches Trauerritual nach einer Bestattung, Anm. d. Red.), sieben Tage lang, sieben Folgen. Damit bin ich zur ARD/Degeto gegangen. Die fanden das toll, meinten aber, sie wollten was Größeres haben. Nicht alles in einem Raum.

kinofenster.de: Was ist so faszinierend an jüdischen Familien?

David Hadda: Für mich ist Familie immer ein interessanter Organismus. Man wird in etwas hineingeboren, wofür man nichts kann. Ich habe sicher auch schon einmal den Begriff dysfunktionale jüdische Familie verwendet, den man oft hört. Aber ich glaube, alle Familien sind dysfunktional. Ich kann auch keinen typischen jüdischen Humor erkennen.

kinofenster.de: Das ist auch ein wirkmächtiges Klischee über jüdische Menschen.

David Hadda: Ja, das verstehe ich auch. Mit dem eigenen Leid humorvoll umzugehen, das ist ein Schutz. Humor schafft Distanz zur Realität, es hilft, alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen zu können. Humor ist auch eine Strategie, wenn man als Außenseiter auf eine Gesellschaft blickt.

kinofenster.de: Symcha Zweifler hinterlässt seiner Familie ein problematisches Erbe: Das Geschäft, das gut läuft, wurde auf eine schuldhafte Weise erworben.

David Hadda: Man muss solche Biografien einordnen. Diese ersten jüdischen Menschen in Deutschland nach dem Krieg kamen aus Osteuropa in Auffanglager für eine bestimmte Zeit. Man ging nicht davon aus, dass jemand hierbleibt. Das war unvorstellbar. Doch einige wenige blieben, wie das Leben spielt. Einige haben im Rotlichtmilieu ihre Chancen gesucht. Die Amerikaner waren da etabliert, man konnte mit "Amüsierbetrieben" schnelle Dollars verdienen.

kinofenster.de: Haben Sie beim Casting darauf geachtet, dass jüdische Menschen jüdische Menschen spielen?

David Hadda: Eigentlich bin ich gar nicht grundsätzlich der Überzeugung, dass Darsteller/-innen nur Rollen spielen, die sie selbst mitbringen. Aber in dem Fall war es mir doch wichtig. Ich habe bisher nichts gesehen, wo so eine Repräsentation stattgefunden hat. Da braucht es Menschen, die das wirklich kennen und auch so sprechen können – vor allem das Jiddische muss echt sein, und bei einer jüdischen Mame muss man ganz präzise sein.

kinofenster.de: Haben Sie nach dem 7. Oktober 2023, nach dem Angriff der Hamas auf Israel, noch Veränderungen vorgenommen? Zum Beispiel der antisemitische Monolog eines Taxifahrers wirkt nun noch aktueller.

David Hadda: Es war alles fertig. Wir waren in diesem Tunnel, und es hat sich nichts verändert. Dieser Stoff ist genauso relevant vorher wie nachher. Der Konflikt ist doch so alt. Natürlich kommt er gerade in einer neuen Version wieder hoch, die beängstigend ist. Die Szene mit dem Taxifahrer hat sich geschärft, als klar war, dass Henni Nachtsheim diese Rolle spielt. Er ist Teil des Comedy-Duos Badesalz, er steht für einen sehr prägenden hessischen Humor, mit dem ich aufgewachsen bin.

kinofenster.de: In der zweiten Hälfte der Serie ziehen sich die Zweiflers zunehmend zurück. Das Ende, bei dem man zum Beispiel zwei bemerkenswert unsensible biodeutsche Polizeibeamte sieht, könnte man auch als Indiz für ein gescheitertes Zusammenleben lesen. Andererseits entzieht Symcha sich gewissermaßen dem Gesetz. Was hat Sie zu dieser Auflösung bewogen?

David Hadda: Die Familie handelt mit der absoluten Überzeugung, dass ein Auschwitz-Überlebender nicht in ein deutsches Gefängnis gehen darf. Das finde ich als innere Motivation absolut glaubwürdig. Wenn man das Trauma ernst nimmt und nicht als hysterische Neurose abtut, dann ist auch der Eindruck, die Polizei hätte keinerlei Gespür für jüdische Befindlichkeiten, glaubwürdig. Dahinter steht nicht eine Überzeugung, dass die Zweiflers über dem Gesetz stünden, sondern dass Gerechtigkeit in der Realität dieser Familie so nicht widerfahren ist.

kinofenster.de: Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Serie?

David Hadda: Ich habe die Hoffnung, dass man die Konflikte emotional nachvollzieht und dass dadurch ein Mitgefühl entsteht, das es erlaubt, zueinander zu kommen. Erinnerung bekommt heute eine ganz andere Bedeutung, sie wird zu einer Wissenskultur. Es geht nicht mehr um Schuld für etwas, sondern um Verantwortung. Ich kenne Opferfamilien, in denen viel gesprochen wurde, und solche, in denen gar nicht gesprochen wurde. Und so war das auch in deutschen Familien. "Nie wieder" ist eine Parole, aber es braucht das Mitgefühl. Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender ist es, Lebensrealitäten zu zeigen, die da sind.