Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften

Die Anwerbung von Gastarbeitern/innen begann 1955 mit dem deutsch-italienischen Anwerbeabkommen, als der deutschen Industrie dank des Wirtschaftswunders Arbeiter/innen in Industrie, Berg- und Straßenbau fehlten. Ähnliche Abkommen folgten 1960 mit Griechenland und Spanien. Der Mauerbau 1961 verschärfte den Arbeitskräftemangel, später folgten Anwerbeverträge mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und zuletzt 1968 mit Jugoslawien. Anfang der 1970er-Jahre veränderte sich die wirtschaftspolitische Situation. Als Folge der sogenannten Ölkrise und der sich verschlechternden Wirtschaftslage beschloss die deutsche Regierung 1973 einen Anwerbestopp. Dadurch sollte der Arbeitsmarkt vor einem Überangebot an Arbeitskräften geschützt werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich ca. 2,6 Millionen Gastarbeiter/innen in Deutschland.

Zuwanderung auf Zeit

Die Bezeichnung "Gastarbeiter" entstand, weil die angeworbenen Arbeitskräfte nur vorübergehend ins Land kommen sollten. Das "Rotationsprinzip" sah vor, dass sie nach Ablauf der Aufenthaltsfrist in ihre Heimatländer zurückkehren und andere an ihre Stelle treten sollten. Angestellt wurden hauptsächlich junge Männer, die in Sammelunterkünften in der Nähe ihrer Arbeitsplätze untergebracht wurden. Deutschkenntnisse waren noch keine Voraussetzung für die Einreise, hingegen spielte die körperliche Konstitution eine wichtige Rolle, da die Angeworbenen für einfache, körperliche Arbeit im industriellen Gewerbe eingesetzt wurden. Spanische Gastarbeiter/innen kamen ab Mai 1961 jede Woche mit einem Sonderzug in Köln-Deutz an und wurden von dort im Bundesgebiet verteilt. Für Italiener/innen und Türken/innen ging die Reise grundsätzlich nach München. Deutsche Unternehmen machten sich schließlich dafür stark, angelernte Arbeitskräfte länger zu beschäftigen.

Konsolidierung

Im Zuge des Anwerbestopps 1973 schlossen sich die Grenzen. Viele der angeworbenen Arbeitnehmer/innen ließen sich dauerhaft in Deutschland nieder und holten ihre Familien nach. Erst in den folgenden Jahren entwickelte sich eine umfassendere Ausländerpolitik, die sich mit der Begrenzung weiterer Arbeitsmigration, der Rückkehrförderung sowie der vorübergehenden sozialen Eingliederung der Gastarbeiterfamilien zu beschäftigen begann. An politische Rechte für die neuen Mitbürger/innen wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedacht. Noch im Jahr 1977 bekräftigte eine zur Ausländerbeschäftigung einberufene Bund-Länder-Kommission in ihrem Bericht: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland." 1979 legte der erste Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Kühn (SPD), ein Memorandum vor, das unter anderem das kommunale Wahlrecht für Ausländer/innen sowie eine Option auf den Erhalt der Staatsbürgerschaft für ihre hier geborenen Kinder forderte, was damals jedoch nicht mehrheitsfähig war. Auch fehlte ein bundesweites Konzept für konsequente Integrationspolitik. Die Kommunen blieben bei ihren Integrationsbemühungen weitgehend sich selbst überlassen. Dieser Mangel zeigte sich vor allem im Bildungssystem: Kinder von Migranten/innen wurden je nach Bundesland durch Förder- oder Ausländerklassen beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt, besuchten jedoch gleichzeitig staatlich finanzierten Unterricht in der Muttersprache, um ihnen eine Rückkehr in die Heimatländer zu erleichtern. Dieses Paradoxon der frühen Ausländerpolitik befeuert heute die Integrationsdebatte, in der den Einwandern/innen oft mangelnde Sprachkenntnisse angelastet werden.

1980er: Migration als Wahlkampfthema

Aufgrund der steigenden Ausländeranzahl, vor allem durch den Familiennachzug, sowie der wachsenden Arbeitslosigkeit wurde die Frage der Einwanderung in den 1980ern zunehmend politisiert. 1986 wurde Ausländerpolitik zum ersten Mal Wahlkampfthema. Zur Zeit des Mauerfalls 1989 lebten etwa 5 Millionen Nicht-Deutsche in der Bundesrepublik, was etwa acht Prozent der Bevölkerung entsprach. In der Folge kamen nicht nur Spätaussiedler/innen, sondern auch vermehrt Asylsuchende und Flüchtlinge ins Land. Rechte und konservative Parteien gingen mit dem Bild der "Überfremdung" auf Stimmenfang. Spätestens mit den brennenden Asylbewerberheimen und Übergriffen gegen Ausländer/innen wie 1991 in Hoyerswerda, 1992 in Rostock oder 1993 in Solingen, die die Bundesrepublik erschütterten, ist Migration keine politisches Spartenthema mehr. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA allerdings wird ehemaligen türkische Gastarbeitern/innen und Einwanderern/innen oder anderen Migranten/innen aus vornehmlich muslimischen Ländern mit neuem Misstrauen begegnet und Migration sicherheitspolitisch diskutiert.

Zuwanderungskommission und erleichterte Einbürgerung

Mit einem Anteil von zwölf Prozent an der Gesamtbevölkerung lebten im Jahr 1999 in Deutschland prozentual weniger Zuwanderer/innen als in den USA, wo dieser Anteil etwa 16 Prozent betrug. Die konservativen Parteien und die Liberalen beharrten lange darauf, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Dieses Mantra wurde mit den Erkenntnissen der Zuwanderungskommission 2001 offiziell zu den Akten gelegt: Die Kommission unter dem Vorsitz von Rita Süßmuth (CDU) verdeutlichte die Notwendigkeit der gesteuerten Zuwanderung aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen. Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 wurde bereits die reine Staatsbürgerschaftsvergabe nach dem Abstammungsprinzip beendet. Seitdem können in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, sofern ein Elternteil seit mehr als acht Jahren im Land lebt. Der Paradigmenwechsel ist theoretisch zwar gewaltig, in der Praxis zaudern aber Teile von Politik und Gesellschaft weiterhin, sich Deutschland als heterogenes und kulturell vielfältiges Land vorzustellen. Insbesondere Menschen, die sich zum muslimischen Glauben bekennen, wird dabei oft Integrationsunwilligkeit unterstellt, und sie sind teils mit multipler Diskriminierung konfrontiert. So ist in einigen Bundesländern Beschäftigten im öffentlichen Dienst wie etwa Lehrerinnen (zum Beispiel in Baden-Württemberg) oder Verwaltungsangestellten (wie in Berlin) das Tragen eines Kopftuches untersagt. Inzwischen kehren zunehmend Menschen mit türkischen Migrationshintergrund Deutschland den Rücken, darunter die hoch Qualifizierten. Im Jahr 2008 verließen etwa 34.800 Menschen mit türkischen Wurzeln das Land, wogegen nur 26.600 Türken/innen einwanderten.

Multikulturelles Deutschland

Demografisch betrachtet braucht Deutschland mehr Einwanderung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und die sozialen Sicherungssysteme zu unterstützen. Mit einer Geburtenrate von durchschnittlich nur 1,4 Kindern pro Frau liegt Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Bereich. Doch vor allem mehr Zuwanderung aus muslimischen Ländern stößt auf Kritik. Als Teil Deutschlands, wie Bundespräsident Christian Wulff (CDU) ihn 2010 in seiner Ansprache zum 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung bezeichnete, mag man den Islam vor allem in der Leitkultur- und Integrationsdebatte nicht recht (an)erkennen. Dabei sind die meisten Zuwanderer/innen längst in Deutschland heimisch geworden. Inzwischen hat jede/r fünfte Bewohner/in der Bundesrepublik einen Migrationshintergrund. Sie gestalten heute das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen mit, sind gewählte Volksvertreter/innen, wie die niedersächsische Ministerin für Soziales und Integration Aygül Özkan (CDU), oder spielen wie Sami Kedhira in der deutschen Fußballnationalmannschaft. Deutschlands Zukunft kann in einer pluralistischen Gesellschaft nur noch gemeinsam gestaltet werden.