Chiara Fleischhacker wurde in Kassel geboren und wohnt seit ihrem 14. Lebensjahr in Erfurt. Zum Filmarchiv: "Vena" ist ihr Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg. Für ihre zahlreichen Zum Inhalt: Kurzfilme im Rahmen ihres Studiums ist sie mehrfach ausgezeichnet worden. Fleischhacker ist alleinerziehende Mutter.

Hier finden Sie das Interview in Textform:

Intro: Mit "Vena" , ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg, hat Chiara Fleischhacker sowohl für das Zum Inhalt: Drehbuch als auch die Zum Inhalt: Regie des Films mehrere Preise gewonnen. In ihrer Milieustudie taucht sie ein in das Leben der schwangeren, drogenabhängigen Jenny. Mein Name ist Anna Wollner, und ich habe für kinofenster.de mit Chiara Fleischhacker gesprochen und sie gefragt, welchen Bezug das Projekt zu den Zum Inhalt: Dokumentarfilmen über den Strafvollzug in Deutschland hat, die sie während ihres Studiums gedreht hat.

Chiara Fleischhacker: Der Bezug ist sehr nah. Ich habe eigentlich Dokumentarfilm studiert und zwei Dokumentarfilme im Strafvollzug gedreht, damals im Männerstrafvollzug. Zum Thema: Ist Strafe zeitgemäß in der Form, wie sie umgesetzt wird? Warum dürfen wir strafen? Ich habe da aber auch sehr nahe Porträts gemacht von Inhaftierten – einem Inhaftierten, der wegen Mord verurteilt war damals. Ich hatte gerade den einen Film geschnitten, als ich mit meiner Tochter schwanger war und mich gefragt habe, wie es eigentlich für schwangere Frauen ist. Müssen sie in Haft, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Und das war die erste große Leitfrage, die eine sehr, sehr komplexe Recherche angestoßen hat. Sucht kam dann als Thema hinzu, weil ich auch in mehreren Sitzungen war, in mehreren Anhörungen, wo Frauen im Erfurter oder Thüringer Raum angeklagt wurden. Und da hat dann eine Suchtkrankheit oft eine Rolle gespielt, die in die Straffälligkeit geführt hat und deswegen kam das dann auch mit als Thema für die Figur Jenny.

kinofenster.de: Du hast die komplexe Recherche gerade schon angesprochen. Wie hast du zu den Themen Crystal Meth, Sucht und Strafvollzug, also speziell auch die Bedingungen für Mütter und das Milieu, aus dem die Hauptfigur kommt, recherchiert?

Chiara Fleischhacker: Es gab immer zwei Ansätze in der Recherche. Mir war es immer wichtig, nicht nur mit Menschen zu sprechen, die mit Betroffenen arbeiten und über sie reden, sondern mit Frauen zu sprechen, die ähnliche Biografien haben. Sprich: Ich habe mit ehemals Inhaftierten gesprochen. Da war [Name anonymisiert] ganz wichtig, die in einem bayerischen Strafvollzug ihren Sohn zur Welt gebracht hat beziehungsweise in der Haftzeit. Die Entbindung ist ja dann im Krankenhaus, aber sie hat da gefesselt unter Wehen ihren Sohn entbunden. Also kurz vor der Entbindung wurde sie zwar entfesselt, aber das sind alles Elemente einer Recherche. Ich war in der JVA Köln, habe da hauptsächlich mit dem Personal geredet, mit Hebammen, die in Haft gearbeitet haben oder arbeiten, Gefängnis-Gynäkolog/-innen. Ich habe aber auch mit Suchtmediziner/-innen gesprochen, mit Wissenschaftler/-innen, die zum Thema Crystal Meth oder Konsum an der Uni Jena und in Dresden arbeiten. Die verschiedenen Gespräche mit den Frauen waren insofern super wichtig, weil ich gemerkt habe, es gibt so viele verschiedene Arten von Konsum. Also die komplexen Biografien helfen einfach zu verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln. Was man nicht immer für gut empfinden muss, aber man kann es zumindest verstehen.

kinofenster.de: Du hast Dokumentarfilm studiert, nicht Spielfilmregie. Wie hat das deinen Blick, also deine Arbeitsweise und die Inszenierung beeinflusst, auch hinsichtlich der Darstellung der Drogensucht und des Milieus?

Chiara Fleischhacker: Ich habe über die Jahre eine Art entwickelt, die Welt wahrzunehmen, die sehr filmisch ist – in gewisser Weise sehr dokumentarisch. Also sehr viele Elemente aus "Vena" stammen aus meinen Beobachtungen aus dem Alltag. Es gibt ja sehr viele Details, die Jenny auch in ihrem Charakter komplexer machen, mit den Orchideen, mit dem Geschenkband, auch für Bolle, dass er so viel Zucker in seine Thermoskanne füllt. Das sind alles Beobachtungen, die ich gemacht habe und bei Menschen gesehen habe. Ich habe dann in der Zeit des Drehbuchprozesses wirklich so durch eine Jenny-Brille geguckt.

kinofenster.de: Geburten sind in Filmen oft sehr unrealistisch dargestellt. In "Vena" ist das ganz anders. Wie habt ihr gerade diese Zum Inhalt: Szene gedreht?

Chiara Fleischhacker: Realistischer geht es ja eigentlich nicht, da es ja eine reale Geburt ist, die wir dokumentarisch begleitet haben. Am Anfang habe ich überlegt, ob wir eine tatsächlich schwangere Schauspielerin casten, weil natürlich auch aus der Branche der Impuls kommt, wenn man schwanger ist, kann man nicht mehr spielen. Das sollte das ein bisschen irgendwie ermöglichen. Aber die Rolle von Jenny ist erstens viel zu intensiv für eine tatsächlich Schwangere, und wir haben auch keine gefunden. Also es war relativ schnell klar, dass wir das realistische Bild von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erstellen müssen. Und da habe ich sehr lange an der dokumentarischen Geburt festgehalten, was dann auch geklappt hat. Wir hatten zwei Drehblöcke, das war unfreiwillig, aber wir hatten sie. Und zwischen den zwei Drehblöcken sind die Kamerafrau Lisa Jilg und die Producerin Svenja Vanhoefer nach Brandenburg gefahren, wo wir über Social-Media-Aufrufe eine Schwangere gefunden haben, die bereit war, ihre Geburt filmen zu lassen. Und das war natürlich die Grundlage, um dann die szenische Geburt nachzuinszenieren mit Emma. Geburt kann ja sehr traumatisch, aber auch sehr positiv empfunden werden. Und was in Filmen passiert, ist einfach so wahnsinnig unrealistisch. Und das war mir wichtig, da ein Gegenstück zu setzen.

kinofenster.de: Du bist selbst alleinerziehende Mutter und arbeitest als Regisseurin. Das ist ein Thema, über das viel zu selten gesprochen wird. Wie gut sind Kind und Filmdreh miteinander vereinbar und was müsste sich in deinen Augen ändern, damit es besser funktioniert oder auch mehr Frauen darüber sprechen?

Chiara Fleischhacker: Das ist ein Riesenthema. Es ist eigentlich gar nicht vereinbar. Fakt ist, dass die Filmbranche einer der familienunfreundlichsten Branchen ist. Das hat natürlich damit zu tun, dass durch die Regionalförderung Drehs in verschiedenen Bundesländern stattfinden. Wir haben einfach die Filmhochburgen. Da sammeln sich einfach noch die Prozesse und es würde ja schon den Prozess erleichtern, wenn man von dort arbeiten könnte, wo man lebt und wo das Kind in der Kinderbetreuung oder in der Schule ist. Dann sehe ich einen Riesenpunkt, der schwierig ist: den Übergang von Studium in die Branche. Das Diplom fällt oft eigentlich mit der Zeit zusammen, wo junge Menschen sich Gedanken machen. Wollen wir ein Kind oder nicht? Viele verschieben dann den Wunsch oder machen Kurzfilme. Aber die Kombi aus Langspielfilm und Kind gibt es sehr selten, weil es einfach so beängstigend ist. Weil auch die Drehbedingungen schwierig sind. Es sind ja auch nicht Acht-Stunden-Tage, sondern es sind oft zwölf oder noch mehr Stunden, die man arbeitet. Sprich die Kinderbetreuung reicht auch gar nicht aus. Ich hatte damals das Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ohne das hätte ich faktisch niemals "Vena" machen können und auch ohne meine Mutter und meine Oma nicht. Und das sind halt auch wieder die Frauen, die teils kostenlos dann Care-Arbeit mit übernehmen. Das ist auch kein tragbares Modell, weil man alles ins Private legt und das auch irgendwann einfach ausgereizt ist und auch dann irgendwann eine Belastung für die ganze Familie wird. Also man müsste zukunftsfähige Modelle finden: Wie kann man drehen und filmen, Filme produzieren, familienfreundlicher und auch weniger gesundheitsschädlich? Weil, das geht uns alle an und viele steigen aus der Branche aus. Vor allem Frauen, aber auch Menschen, die eine schwächere finanzielle Situation haben. Und damit gehen auch teilweise die besseren Geschichten verloren, denke ich.

kinofenster.de: Chiara, vielen Dank für das Gespräch.

Chiara Fleischhacker: Vielen Dank.