In der vom Menschen fast unberührten Natur des tibetischen Hochlands macht sich der Tierfotograf Vincent Munier in Begleitung des Reiseschriftstellers Sylvain Tesson und der Wildlife-Filmemacherin Marie Amiguet auf die Suche nach dem Schneeleoparden, einer extrem scheuen, vom Aussterben bedrohten Tierart. Im Film vereinen sich die Arbeiten und Perspektiven der drei zu einem gemeinsamen Werk: In Amiguets Kameraarbeit sind Fotografien von Munier geschnitten (Glossar: Zum Inhalt: Montage) und Passagen des gleichnamigen Reisetagebuch von Tesson als Zum Inhalt: Voice-Over eingesprochen. Unter extremen Temperaturbedingungen durchstreifen sie die einsame, karge Landschaft, übernachten in primitiven Lagern, im Zelt oder bei einer Familie von Nomad/-innen. Ihnen begegnen Yaks, Pallaskatzen, Blauschafe, wilde Esel, Wölfe und Bären, aber der Schneeleopard zeigt sich zunächst nur in Spuren und im Warnschrei eines Raben. Marie Amiguet verschwindet hinter ihrer Filmkamera und ist nur ein einziges Mal zu sehen – in der rührenden Zeichnung eines Nomadenkindes. Ihre Kamera beobachtet den Literaten und den Fotografen beim Planen, Marschieren, Lauern und Warten. Tesson wiederum schaut Munier beim Fährtenlesen zu, beim Absuchen des Felsreliefs nach Spuren und beim Aufspüren der idealen Fotoperspektive.

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In Tessons Blick und seinen Texten ist Bewunderung zu lesen für diesen Mann, der in seiner Arbeit das Gegenmodell der modernen Gesellschaft und ihrer Werbeversprechen lebt: Wir sind es gewohnt, immer alles sofort zu erhalten. Munier hingegen zieht los ohne jegliche Gewissheit, ein Tier vor seine Kamera zu bekommen. Der Fotograf eignet sich die Natur nicht an, sondern passt sich selbst bedingungslos ihren Gesetzen und ihrem Rhythmus an. Bis zu acht Stunden liegt er mit seiner Kamera unbeweglich auf der Lauer und blickt selbst wie ein Tier auf die Welt. Seine Fotografien sind hochgradig ästhetisierend und ähneln in der Reduktion auf Formen und Linien manchmal fast abstrakter Kunst. Auf seiner Expedition mit Munier wird Sylvain Tesson erkennen, wie blind und gleichgültig er bei seinen unzähligen anderen Reisen für die Welt war. Denn Munier bringt ihm das "Lesen" bei, zum zweiten Mal in seinem Leben: sehen, hören, riechen – und Geduld zeigen. Wie Tesson stellen die Zuschauenden im Laufe des Films das eigene Sehen zunehmend in Frage. Wenn Amiguets Kamera in einer langen Einstellung (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) auf einem vermeintlich unbelebten Felsrelief verharrt, beginnt das Auge unweigerlich mit der Suche nach einem gut getarnten Tier. Immer wieder entzieht sich die Natur unserem Blick, wie das Bild eines Wildpferdes, das im Nebel verschwindet. Die beiden australischen Musiker Warren Ellis und Nick Cave haben den Score (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) zum Film komponiert und für Tiere und Naturstimmungen musikalische Bilder entworfen, in die auch Tierlaute (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design) eingebunden sind.

Im Fach Geografie lässt sich ausgehend vom Film das Hochland Tibets als eine vom Menschen weitgehend unberührte Landschaft erkunden. Im Fach Kunst kann Muniers mehrfach preisgekröntes Werk als Beispiel der Naturfotografie analysiert werden. In den Fächern Ethik und Philosophie regt der Film dazu an, den Platz in der Welt zu problematisieren, den der Mensch für sich beansprucht, indem er anderen Lebewesen zunehmend ihren Lebensraum entzieht. Es lässt sich an persönlichen Erfahrungen die Frage diskutieren, wie und warum wir reisen und welche Welterfahrungen wir dabei machen (wollen). In den letzten Tagen ihrer Suche begegnen Munier und Tesson dem Schneeleoparden tatsächlich, ohne jegliche narrativen Kniffe. Auch in diesem sagenhaften Moment der triumphalen Begegnung mit der Raubkatze bleibt der Ton bescheiden, fast demütig. Lediglich eine zu Eis gefrorene Träne in Muniers Gesicht zeugt von der Ergriffenheit des Fotografens.

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