Kategorie: Filmbesprechung
"Borga"
Geschichte eines jungen Manns aus Ghana, der in Deutschland sein Glück sucht und dabei einen gefährlichen Weg einschlägt
Unterrichtsfächer
Thema
Es ist einer der am stärksten verseuchten Orte der Welt: Agbogbloshie (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), ein Stadtteil in Ghanas Hauptstadt Accra, in dem Elektroschrott der Industrienationen abgeladen wird und Menschen und Land vergiftet. Hier wächst Kojo in einfachen Verhältnissen auf. Konflikte mit dem strengen Vater, brüderliche Rivalität und die brutale Ungleichbehandlung in einer Gesellschaft, in der scharf zwischen Arm und Reich getrennt wird, bestimmen seinen Alltag. Trotz seiner Schulbildung bleibt Kojo nur die Arbeit im schlecht laufenden Müllverwertungsbetrieb seiner Familie. Und so flieht er als junger Mann mit einem Freund nach Deutschland. Denn Kojo hat Träume: von Anerkennung und einem Leben, wie es die Borgas führen – Ghanaer, die es in Europa zu Wohlstand gebracht haben. Als Kojo schließlich allein in Mannheim ankommt, muss er erkennen, dass er einer Fantasie gefolgt ist. Doch es fällt ihm schwer, sie loszulassen. Finanziert durch den Kriminellen Bo, für den er Drogen schmuggelt, gibt Kojo sich selbst als Borga aus – vor seiner Familie, die er endlich finanziell unterstützen kann, und vor seiner deutschen Freundin Lina, die lange nichts von seinem Doppelleben weiß. Immer mehr verstrickt Kojo sich in seinem Bemühen, den dadurch geweckten Erwartungen gerecht zu werden. Damit schadet er nicht nur sich selbst, sondern bringt auch seine Familie in Gefahr.
Die deutsch-ghanaische Koproduktion zeigt anhand des Schicksals einer Familie exemplarisch die Auswirkungen postkolonialer Ausbeutung afrikanischer Länder durch globale Überflussgesellschaften. Die Geschichte wird konsequent aus der Perspektive seines Schwarzen Protagonisten erzählt. Weiße Figuren wie Kojos Freundin Lina spielen eine Nebenrolle. Dieser Fokus spiegelt sich auch im Umgang mit Sprache: Dialoge zwischen den Figuren werden meist in einer der Landessprachen Ghanas gehalten und deutsch untertitelt, nur vereinzelt wird Deutsch gesprochen. Musikalisch begleitet wird die Handlung oft von ghanaischem Hip-Hop (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik). Die Zum Inhalt: Inszenierung ist auf Sensibilität und Authentizität bedacht, kann Klischees aber nicht immer vermeiden. Auf der Bildebene werden besonders die Kontraste zwischen Ghana und Deutschland hervorgehoben: das bunte (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) und laut-lebensfrohe Accra gegen die graue Eintönigkeit Mannheims, aber auch die Drohnenbilder (Glossar: Zum Inhalt: Kameraperspektiven) der Müllberge Agbogbloshies gegen die Nachtaufnahmen einer glitzernden deutschen Industrie. Und immer wieder: Container als Symbole des maßlosen Warenkonsums im Kapitalismus.
"Borga" bietet für den Unterricht verschiedene Anknüpfungspunkte. Vor allem in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern oder in Geografie kann die Allgegenwart von Unterhaltungselektronik in der Lebensrealität der meisten Schüler/-innen als Anlass genommen werden, die globalen Folgen kapitalistischer Konsumkultur auf Menschen und Umwelt nachzuvollziehen. Hier knüpfen Fragen zu Flucht- und Migrationsursachen afrikanischer Geflüchteter sowie zur Asyl- und Flüchtlingspolitik Deutschlands an. Wie blickt die deutsche Gesellschaft auf Menschen mit Fluchterfahrungen? Und inwiefern kann Kojos Geschichte als Fluchtgeschichte verstanden werden? Daneben kann über rassistische Tendenzen in Deutschland gesprochen werden – über offenen, aber auch verdeckten Alltagsrassismus. Hier sind vor allem die Figur von Bos Weißem Geschäftspartner sowie das Verhältnis zwischen Kojo, Lina und ihrer Tochter interessant. Diese Aspekte spielen besonders im Ethik- und Philosophie-Unterricht eine Rolle. Nicht zuletzt ist es wichtig, Fragen der Perspektive in den Blick zu nehmen, beispielsweise im Fach Deutsch: Wie verändert sich eine Geschichte, je nachdem, aus wessen Sicht und von wem sie erzählt wird? Welche Stimmen werden in "Borga" gehört, welche Geschichten erzählt? Und welche Vorannahmen schreiben wir als Zuschauende in unser Filmerleben selbst ein?