Kategorie: Filmbesprechung
"Das freiwillige Jahr"
Vater, Tochter und ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben
Unterrichtsfächer
Thema
Jette ist sich nicht sicher, ob sie nach Costa Rica will. Das geplante freiwillige soziale Jahr verspricht Abenteuer und Abstand von Zuhause. Andererseits würde die Abiturientin vielleicht aber doch lieber bei ihrem Freund Mario in der ostwestfälischen Provinz (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) bleiben. Von dieser Unentschlossenheit scheint ihr alleinerziehender Vater Urs jedoch keine Notiz zu nehmen. Und so machen die Tochter und er sich am Abreisetag mit großem Gepäck auf den Weg zum Flughafen. Weil Jette aber ihre Kamera bei ihrem Onkel Falk vergessen hat, müssen beide kurzfristig noch einen kurzen Abstecher einlegen. Doch Falk öffnet ihnen nicht, geht auch nicht ans Telefon und durchkreuzt damit alle Pläne. Mit einer Bohrmaschine verschafft sich Urs daraufhin gewaltsam Zutritt zu der Wohnung. Unterdessen fährt Jette mit Mario zum Terminal, doch in letzter Minute lässt sie den Flug sausen und flüchtet mit ihrem Freund ins Blaue.
Mit skurriler Situationskomik und einem genauen Blick für die Unzulänglichkeiten ihrer Figuren erzählen Ulrich Köhler und Henner Winkler die Geschichte eines missglückten Aufbruchs. Mehrfach wagt ihre Heldin auszubrechen, aber immer wieder gerät sie ins Stocken. Ihr Vater, der den Kontakt für sie in Costa Rica hergestellt hat, bevormundet sie. Mit ihrem Freund, der nicht mit ihr im väterlichen Campingbus nach Venedig durchbrennen will, gerät Jette in Streit. Simplen Mustern verweigert sich der subtile, leise Film gleichwohl: Weder entspricht Jette einem gereizten Prototyp ihrer Generation, noch erscheint ihr Vater, der sich verständlicherweise nach ihrem Abtauchen um sie sorgt, trotz seiner Übergriffe als Unmensch. In seinen kargen ländlichen Schauplätzen, seiner gedämpften Farbigkeit (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) und einer minimalistischen Zum Inhalt: Inszenierung entspricht "Das freiwillige Jahr" einem Stil, der für Filme der sogenannten "Berliner Schule" typisch ist. Die nüchterne, von langen Einstellungen, sparsamen Dialogen und den Verzicht auf Zum Inhalt: Filmmusik geprägte Erzählweise erschwert bewusst eine Identifikation mit der jungen Heldin. Zudem wird nicht alles auserzählt, manche Zusammenhänge erschließen sich nur über vage Andeutungen.
Am Beispiel von Jette und ihrem Vater exponiert der Film exemplarisch einen Generationenkonflikt, der spannende Fragen eröffnet: Warum haben Abiturienten wie Jette oftmals keine eigenen klaren Visionen von ihrer Zukunft? Inwieweit sollten Erziehungsberechtigte Heranwachsenden auf der Suche nach dem richtigen Beruf auf die Sprünge helfen? Inwiefern fördern Schulen die Selbstständigkeit junger Menschen und wie bereiten sie auf ein Leben nach der Schule vor? Anknüpfungspunkte für eine Diskussion über eine angemessene Erziehung bietet besonders die Zum Inhalt: Szene im Film, in der ein Lehrer Urs dafür kritisiert, Jette zu überfordern, woraufhin dieser entgegnet, eine Überforderung seiner Tochter sei besser als eine Unterforderung. In Fächern wie Ethik, Religion oder Politik können der Sinn eines freiwilligen sozialen Jahrs im Ausland, aber auch etwaige damit verbundene Probleme besprochen werden. Im Deutschunterricht lassen sich am Beispiel der Bildästhetik die Besonderheiten des Regiestils herausarbeiten und die Bedeutung der vielen Autofahrten in dieser Geschichte, in der alle stets in Bewegung sind, aber nicht von der Stelle kommen, diskutieren.