Aufgabe 1: Annäherung an den Film – Annäherung an Erfahrungen von Flucht und Exil

Fächer: Deutsch, Geschichte, Politik, Französisch, Kunst, Philosophie, ab Oberstufe

Der Film Zum Filmarchiv: "Transit" basiert auf dem gleichnamigen Roman der deutschen Schriftstellerin Anna Seghers. 1933 flüchtete sie vor den Nationalsozialisten aus Deutschland und schrieb in den darauffolgenden Jahren das Buch, in dem sie autobiografische Erlebnisse aufgreift. 1948 erschien "Transit" auf Deutsch.

Vor dem Filmbesuch:

a) Schlagen Sie die Bedeutungen des Begriffs "Transit" in Wörterbüchern nach. Werten Sie Ihre Ergebnisse im Plenum aus und überlegen Sie, welche Geschichte(n) sich hinter dem Buchtitel verbergen könnte(n).

b) Wie Anna Seghers flohen zwischen 1933 und 1945 hunderttausende Menschen aus Deutschland vor Unterdrückung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Recherchieren Sie Informationen zum Thema und stellen Sie die wichtigsten Fluchtursachen und Fluchtrouten anhand einer thematischen Karte dar. Als Kopiervorlage können Karten aus einem Atlas dienen, auf denen Europa zwischen 1933 und 1945 dargestellt wird.

Optionale Vertiefung:

Legen Sie bei der Recherche besonderes Augenmerk auf Fluchtbewegungen nach und innerhalb Frankreichs vor und nach dem Kriegseintritt des Landes 1939 und der deutschen Besatzung 1940.
Mögliche Quellen: Schulbücher aus dem Fach Geschichte, Überblickstexte Zum externen Inhalt: Emigration aus dem NS-Staat (öffnet im neuen Tab) und Zum externen Inhalt: Das deutsche Besatzungsregime in Frankreich (öffnet im neuen Tab) des Deutschen Historischen Museums Berlin,
Zum externen Inhalt: Themenseite zu Flucht und Vertreibung (öffnet im neuen Tab) und ein Überblickstext zur Zum externen Inhalt: deutschen Besatzung Frankreichs (öffnet im neuen Tab) der Bundeszentrale für politische Bildung, die Frankreich-Rubrik der Online-Ausstellung Zum externen Inhalt: Künste im Exil (öffnet im neuen Tab) der Deutschen Nationalbibliothek.

c) Diskutieren Sie, welche Bedeutung Zum Inhalt: Verfilmungen von historischen Stoffen bzw. Romanen für Sie als Zuschauende heute haben können. Was könnte an einer zeitgenössischen Filmadaption von Anna Seghers' Roman für ein heutiges Publikum interessant sein?
Beziehen Sie sich auf:

Während des Filmbesuchs:

d) Welche der Erwartungen erfüllt der Film, die Sie vor der Sichtung in den Aufgaben a) und b) entwickelt haben? Für welche gilt dies nicht?

Notieren Sie Stichpunkte zu Ihren Beobachtungen.

 Erwartungenerfüllt / nicht erfülltBegründung oder Kommentar
Handlung und Themen   
Figuren und Erzählperspektive   
Filmische Umsetzung   

Nach dem Filmbesuch:

e) Vergleichen und ergänzen Sie in Partnerarbeit Ihre Beobachtungen, die Sie während der Filmsichtung notiert haben. Werten Sie die Ergebnisse im Plenum aus. Welche Wirkung wird durch das Bedienen bzw. das Brechen von Zuschauererwartungen/das Spiel mit Zuschauererwartungen erzielt?

f) "Transit" weist zwar autobiografische Bezüge zu Anna Seghers' Fluchterfahrungen auf, dennoch handelt es sich um die fiktionale Geschichte eines männlichen Protagonisten, der zeitweise die Identität eines verstorbenen Schriftstellers annimmt. Untersuchen und hinterfragen Sie die Rolle von Künstlerinnen und Künstlern als Chronistinnen und Chronisten ihrer Zeit anhand folgender Fragestellungen:

g) Gleichen Sie die Zum externen Inhalt: biografischen Daten (öffnet im neuen Tab) von Anna Seghers mit den Figuren und den Ereignissen im Film ab. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?

h) Sehen Sie sich folgende Zum Inhalt: Szene an.

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Untersuchen Sie die Wirkung, die das Lesen von Weidels Roman-Fragment auf Georg hat.

i) Während ihrer Arbeit an "Transit" schrieb Anna Seghers 1938/39 in einem Brief an den Literaturtheoretiker Georg Lukács: "Diese Realität der Krisenzeit, der Krieg usw. muß […] erstens ertragen, es muss ihr ins Auge gesehen und zweitens muss sie gestaltet werden."

Sehen Sie sich folgende Szene an.

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Erörtern Sie in einem kurzen Essay oder einer moderierten Diskussion Seghers' Aussage und diskutieren Sie am Beispiel von Christian Petzolds Film die Rolle von Künstlerinnen und Künstlern als Chronistinnen und Chronisten von Ereignissen, bestimmten Lebensumständen und Gefühlen.

Optional zur Vertiefung:

j) Lesen Sie den Hintergrundtext Zum Inhalt: Flucht vor dem Nationalsozialismus in der Filmgeschichte. Stellen Sie in kurzen Präsentationen unter Verwendung von Filmausschnitten die genannten Filme vor. Diskutieren Sie anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede auch im Hinblick auf "Transit" . Sind die Geschichten, Fragestellungen und Motive in der Zeit verhaftet, in der die Filme spielen, oder besitzen sie einen zeitlosen Ansatz? Gehen Sie dabei auch auf die politische Dimension der Filme ein.

oder

k) Stellen Sie in kurzen Referaten verschiedene Zum Inhalt: Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Exilliteratur vor und stellen Sie Bezüge zu den Figuren und Geschehnissen in "Transit" her. Die Figur des Weidel basiert etwa auf dem Schriftsteller Ernst Weiß (1882-1940).

Aufgabe 2: Das Gestern im Heute – Echos der Vergangenheit in der Gegenwart

Fächer: Deutsch, Geschichte, Politik, Französisch, Kunst ab Oberstufe

In "Transit" verwebt Christian Petzold verwebt unterschiedliche zeitliche Ebenen. Diese Verknüpfung führt zu einem Eindruck von Zeitlosigkeit der Geschichte des Films, aber auch zu Irritationen, die Fragen an Gegenwart und Zukunft und nach der politische Verantwortung von Künstlerinnen und Künstlern stellen.

Vor dem Filmbesuch:

a) Sehen Sie sich den Trailer von "Transit" an und sammeln Sie Anhaltspunkte:
· Welche Geschichte wird erzählt?
· In welcher Zeit und an welchem Ort könnte der Film spielen?
· Welche Fragen wirft der Trailer auf?

Transit, Trailer (© Piffl Medien)

Während des Filmbesuchs:

b) Notieren Sie im Anschluss an den Filmbesuch Anhaltspunkte zu historischem Kontext, Zeit und Ort der Handlung. Achten Sie besonders auf:
· Zum Inhalt: Schauplätze
· Zum Inhalt: Requisiten
· Zum Inhalt: Kostüme
· Figuren (Haupt- und Nebenfiguren, Komparsen)

Nach dem Filmbesuch:

c) Tragen Sie Ihre Beobachtungen im Plenum zusammen. Analysieren Sie die Irritationen, die sich aus der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart ergeben, sowie ihre Wirkung. Wird der historische Kontext hinreichend erläutert und werden die politischen, ideologischen oder religiösen Beweggründe der Figuren verständlich?

d) Erörtern Sie die Frage, warum der Film keine originalgetreue Rekonstruktion ist. Lesen anschließend das Zum externen Inhalt: Interview (öffnet im neuen Tab) mit Christian Petzold.
· Wie begründet er die Regieentscheidung (ästhetisch, technisch, …)?
· Inwieweit sind Sie die Argumente nachvollziehbar?

e) Wählen Sie eine der folgenden Szenen und erstellen Sie in Partnerarbeit eine exemplarische Sequenzanalyse oder ein Einstellungsprotokoll, in denen Sie historische und gegenwärtige Elemente festhalten.

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

f) Diskutieren Sie am Beispiel dieser Szenen und vor dem Hintergrund Ihres Wissens über die NS-Zeit sowie über das heutige Frankreich nochmals den Effekt von Petzolds künstlerischem Konzept im Plenum.
· Inwiefern durchdringen, spiegeln, widersprechen oder verstärken sich Vergangenheit und Gegenwart?
· Welche Fragen an Gegenwart und Zukunft werden aufgeworfen?
· Inwieweit kann man den Film als Dystopie bezeichnen?

g) Überprüfen Sie Ihre Ergebnisse anhand der Videoanalyse Zum Inhalt: Das Gestern im Heute und ergänzen sie gegebenenfalls.

Optional:

g) Lesen Sie den folgenden Zum externen Inhalt: Auszug (öffnet im neuen Tab) aus Anna Seghers' Roman Transit und erörtern Sie, was Christian Petzold mit dem Begriff der "Geschichtsstille" umschreibt und in seiner Verfilmung durch die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart filmisch zu übersetzen versucht.

"Der Teil des Cafés in dem wir saßen, stieß an die Cannebière. Ich konnte von meinem Platz aus den Alten Hafen übersehen. Ein kleines Kanonenboot lag vor dem Quai des Belges. Die grauen Schornsteine standen hinter der Straße zwischen den dürren Masten der Fischerboote über den Köpfen der Menschen, die den Mont Ventoux mit Rauch und Geschwätz erfüllten. Die Nachmittagssonne stand über dem Fort. Die Gesichter der Menschen, die durch die Drehtür hereinkamen, waren gespannt von Wind und von Unrast. Kein Mensch bekümmerte sich um die Sonne über dem Meer, um die Zinnen der Kirche Saint-Victor, um die Netze, die auf der ganzen Länge des Hafendamms zum Trocknen lagen. Sie schwatzten alle unaufhörlich von ihren Transits, von ihren abgelaufenen Pässen, von Dreimeilenzone und Dollarkursen, von Visa de Sortie und immer wieder von Transit. Ich wollte aufstehen und fortgehen. Ich ekelte mich. -
Da schlug meine Stimmung um. Wodurch? Ich weiß nie, wodurch bei mir dieser Umschlag kommt. Auf einmal fand ich all das Geschwätz nicht mehr ekelhaft, sondern großartig. Es war uraltes Hafengeschwätz, so alt wie der Alte Hafen selbst und noch älter. Wunderbarer, uralter Hafentratsch, der nie verstummt ist, solange es ein mittelländisches Meer gegeben hat, phönizischer Klatsch und kretischer, griechischer Tratsch und römischer, niemals waren die Tratscher alle geworden, die bange waren um ihre Schiffsplätze und um ihre Gelder, auf der Flucht vor allen wirklichen und eingebildeten Schrecken der Erde. Mütter, die ihre Kinder, Kinder, die ihre Mütter verloren hatten. Reste aufgeriebener Armeen, geflohene Sklaven, aus allen Ländern verjagte Menschenhaufen, die schließlich am Meer ankamen, wo sie sich auf die Schiffe warfen, um neue Länder zu entdecken, aus denen sie wieder verjagt wurden; immer alle auf der Flucht vor dem Tod, in den Tod. Hier mußten immer Schiffe vor Anker gelegen haben, genau an dieser Stelle, weil hier Europa zu Ende war und das Meer hier einzahnte, immer hatte an dieser Stelle eine Herberge gestanden, weil hier eine Straße auf die Einzahnung mündete. Ich fühlte mich uralt, jahrtausendealt, weil ich alles schon einmal erlebt hatte, und ich fühlte mich blutjung, begierig auf alles, was jetzt noch kam, ich fühlte mich unsterblich. Doch dieses Gefühl schlug abermals um, es war zu stark für mich Schwachen. Verzweiflung überkam mich, Verzweiflung und Heimweh. Mich jammerten meine siebenundzwanzig vertanen, in fremde Länder verschütteten Jahre."

Anna Seghers, Transit, S.82f., Aufbau Verlag 1993

h) Welchen historischen bzw. literarischen Stoff könnte man auf ähnliche Weise und mit ähnlicher Wirkung vor der Kulisse unserer Gegenwart als Film inszenieren?
· Entwerfen Sie in Partnerarbeit ein Zum Inhalt: Mood- oder Storyboard zu einem Film, der ein Thema aus Ihren Geschichtsbüchern oder ein älteres literarisches Werk aufgreift
· Warum ist speziell dieser Stoff in der Gegenwart noch oder wieder von Interesse? Begründen Sie Ihre Wahl bei der Vorstellung Ihrer Ergebnisse und stellen Sie diese zur Diskussion.

Aufgabe 3: Flucht und Exil – ein Leben im "Dazwischen"

Fächer: Deutsch, Geschichte, Politik, Französisch, Kunst ab Oberstufe

Figuren geflüchteter Menschen stehen im Zentrum der Handlung von "Transit" . Sie spiegeln facettenreich den Zustand des Wartens, die Ungewissheit sowie den Identitätsverlust wider, die Flucht und Exil bedeuten.

Vor dem Filmbesuch:

a) Analysieren Sie folgende Filmstills:

Piffl Medien

Piffl Medien

Piffl Medien

· Welche Rückschlüsse lassen die Filmstills über die Situation der Figuren und ihre Beziehungen zueinander zu?
Achten Sie auf unter anderem auf Zum Inhalt: Bildkomposition, Zum Inhalt: Einstellungsgröße, Körperhaltung, Mimik, Zum Inhalt: Schauplatz, Zum Inhalt: Farbgestaltung.
· Welche Stimmung vermitteln die Bilder?
· Entwerfen Sie in Partnerarbeit einen Teaser-Text* zu möglicher Handlung, Ort und Zeit des Films und stellen Sie diesen im Plenum vor.

*Ein kurzer Teaser-Text ist Bestandteil von Werbekampagnen für Kinofilme. Er muss klar und verständlich formuliert sein und die Lesenden dazu animieren, den Film zu sehen. Zum Teil wird der Teaser-Text auch bei der Berichterstattung in den Medien übernommen.

Während des Filmbesuchs:

b) Teilen Sie sich in Kleingruppen auf, die jeweils eine Figur im Film genauer betrachten und Informationen zu ihr notieren.

Figuren:
· Georg / Weidel
· Marie
· Richard, der Arzt
· Driss, der Junge (und seine Mutter)
· der Dirigent / die Frau mit den Hunden
Mögliche Leitfragen für Ihre Notizen könnten sein:
· Welche Fakten erfahren die Zuschauenden über Herkunft, Vergangenheit sowie politische, ideologische oder religiösen Beweggründe ihrer Flucht? Warum ist die Figure im Transit?
· Besitzt die Figur Eigenschaften, die sie von anderen unterscheidet (Aussehen, Verhalten, Status …)?
· In welcher Beziehung steht sie zu den anderen Figuren im Film?

Nach dem Filmbesuch:

c) Werten Sie Ihre Beobachtungen aus.

· Erstellen Sie in der Kleingruppe Kurzporträts oder Steckbriefe und präsentieren diese im Plenum.
· Diskutieren Sie die Beziehungen der Figuren untereinander, ihre Funktion im Film und ihre Entwicklung.
· Besprechen Sie, welche Informationen über die Figuren nicht im Film vermittelt werden und welche Bedeutung bzw. Wirkung diese "Leerstellen" erzeugen.
· Stellen Sie Ihre Ergebnisse anhand eines Figurenschaubildes dar (Plakat, Wandtafel oder Whiteboard).

d) Sehen Sie sich folgende Zum Inhalt: Szenen an. Welche Auswirkungen haben Flucht, Exil und die ungewisse Zukunft auf die Figuren und ihre Beziehungen? Arbeiten Sie zunächst wieder in der Kleingruppe und belegen Sie Ihre Beobachtungen anhand filmischer ( Zum Inhalt: Schauplatz, Zum Inhalt: Musik, Zum Inhalt: Farbgestaltung, Zum Inhalt: Kameraeinstellungen, Zum Inhalt: Kameraperspektive) und dramaturgischer (Figurenzeichnung, Hintergrundinformationen) sowie schauspielerischer Gestaltungsmittel. Diskutieren Sie die Ergebnisse im Plenum.

Mögliche Leitfragen:
· Gibt es Handlungen und Gefühle, die allen Figuren gemeinsam sind oder unterscheiden sie sich in ihrem Umgang mit der Situation voneinander?
· Welche (Stereo-)Typen repräsentieren die Figuren im Umgang mit Flucht und Exil?
· Welche Motive und welche Räume machen das "Transitäre" ihrer Situation, ihren Zustand im "Dazwischen" deutlich?
· Entwickeln sich die Figuren und wenn ja, wodurch?

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

e) Diskutieren Sie die Wirkung der Figuren aufgrund narrativer "Leerstellen". Gehen Sie dabei insbesondere auf die Figuren Marie und Georg sowie die Funktion des Erzählers ein.