Das Kino hat in seiner Geschichte viele Brüche und Paradigmenwechsel erlebt. Es wandelte sich vom Kino der Attraktionen zu einer narrativen Kunstform. Das Entstehen und der Niedergang des Studiosystems oder auch das Konzept des Autorenfilms haben das Kino ebenso nachhaltig verändert wie Technicolor, Cinemascope, Dolby Surround oder die Digitalisierung. Die schärfste Zäsur ereignete sich jedoch Ende der 1920er-Jahre mit dem Triumphzug des Tonfilms. Der unerwartete Erfolg des Langspielfilms "Der Jazzsänger" (The Jazz Singer, Alan Crosland, USA 1927) löste ein "Talkie"-Fieber aus, als dessen Folge der Stummfilm binnen weniger Jahre fast vollständig verdrängt wurde. Bereits Anfang der 1930er-Jahre waren Produktion und Abspiel in nahezu allen großen Industrieländern komplett auf Ton umgestellt. Mitte des Jahrzehnts gehörte der Stummfilm bis auf wenige Ausnahmen weltweit der Vergangenheit an.

Eine eigene Kunstform

Heute mag vielen das Ende des Stummfilms wie die Überwindung einer unvollkommenen Frühphase des Films erscheinen. Tatsächlich aber stellte die Einführung des Tonfilms keineswegs eine zwingend gebotene technologische Neuerung dar: Das stumme Kino hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur weltweit als populärstes Unterhaltungsmedium etabliert, sondern sich auch den Status als neue – und siebente - Kunst erkämpft. Gegen Mitte der 1920er-Jahre hatte es eine bis heute unübertroffene visuelle Ausdruckskraft erreicht, wie sie sich beispielsweise im so genannten expressionistische Film der 1920er-Jahre zeigt. Weder Publikum noch Kritik fehlten Sprache oder Ton. Zudem waren Stummfilme nie wirklich stumm: Eine musikalische Begleitung der Vorführungen war selbstverständlich. Bei teuren Produktionen gehörte eigens komponierte Zum Inhalt: Filmmusik bald zum Standard. Angesichts des erreichten Niveaus zeigten die Produzenten auch lange Zeit wenig Interesse am Einsatz neuer Tontechnologien. Dass Warner Brothers Pictures letztlich mit "Der Jazzsänger" die Initiative ergriff, lag nicht zuletzt an einer finanziellen Schieflage des Hollywoodstudios, das sich von dem Projekt einen Hit erhoffte.

Film als Erlebnis

Was den Ton- vom Stummfilm unterschied, war vor allem der bildsynchrone Ton – speziell die Möglichkeit lippensynchroner Dialoge. Und es war zweifellos dieser Aspekt, der "Der Jazzsänger" , ein Hybridfilm, der lediglich einige Tonfilmpassagen enthielt und ein bald veraltetes Tonverfahren nutzte, zu einem spektakulären Kassenschlager machte. Allein die Sensation, den Bühnenstar Al Jolson von der Leinwand herab sprechen und singen zu hören, trieb die Massen in die Kinos. Der Erfolg überzeugte die skeptischen Verantwortlichen in Hollywood davon, dass Tonfilme an der Kasse funktionieren konnten. Für die breite Einführung des Tonfilms sprachen aus Sicht der Studiobosse nicht nur das unverkennbare Interesse des einfachen Publikums, sondern auch strategische Erwägungen: Die Wirkung von Stummfilmen hing entscheidend vom Standard der Abspielstätten ab, deren Spannbreite vom luxuriösen Filmpalast mit Orchester bis zum Arbeiter/innen-Kino mit Pianobegleitung reichte. Der Tonfilm führte zu einer veränderten Filmrezeption, die diese Unterschiede weitgehend aufhob: Die Aufmerksamkeit des Tonfilm-Publikums galt nun weniger dem Erlebnisort Kino als dem Film selbst. Und das schwächte zwangsläufig die Position der unabhängigen Filmtheater gegenüber den Studios als Produzenten.

Anforderungen des Tonfilms

Der Tonfilm erforderte zunächst immense Investitionen für die Umrüstung der Kinos, den Bau schallgedämpfter Ateliers und die Anschaffung neuer Technik. Auch mussten die Produktion neu organisiert und neues Personal eingestellt werden – und das betraf auch die kreativen Abteilungen: Zahlreiche Autoren/innen, Regisseure/innen und Darsteller/innen wechselten nun vom Broadway in die Traumfabrik und ersetzten Mitarbeiter/innen, die den Anforderungen des "Sprechfilms" nicht gewachsen schienen. Auch Kinomusiker/innen waren nun nicht mehr gefragt. Doch selbst wenn der Untergang des Stummfilms einige große Hollywoodkarrieren beendete – ein Absturz wie der des George Valentin in Zum Filmarchiv: "The Artist" (Michel Hazanavicius, Frankreich 2011) war eher die Ausnahme. In erster Linie scheiterten ausländische Stars an der Sprachbarriere, wie etwa Emil Jannings oder Pola Negri. Viele spektakuläre "Fälle" jener Jahre sind durch einen normalen Generationenwechsel zu erklären oder durch den gewandelten Publikumsgeschmack: Die Ära der Weltwirtschaftskrise brachte weniger glamouröse Helden hervor als die exotischen Melodramen und Abenteuerfilme der "wilden Zwanziger".

Abgefilmtes Theater?

Der Tonfilm stellte auch die Filmemacher/innen vor enorme Herausforderungen. Vor allem die unausgereifte Tonaufnahmetechnik und die eingeschränkte Zum Inhalt: Mobilität der Kameras, die mit einer schallschluckenden Ummantelung, einem "Blimp", umschlossen werden mussten, schlugen sich anfangs in schwerfälligen Inszenierungen nieder. Während in Augen späterer Filmtheoretiker/innen das Kino erst durch den Tonfilm zur autonomen Kunst aufstieg, kritisierte etwa der Medienwissenschaftler Rudolf Arnheim den frühen Tonfilm als abgefilmtes Theater. Im Verschwinden des Stummfilms sah er das Ende des Films als visuelle Kunst. Ein Standpunkt, der sich etwa an Greta Garbos erstem Tonfilm "Anna Christie" (Clarence Brown, USA 1930) gut nachvollziehen lässt, der die mit Akzent sprechende "Göttliche" in einer ungewohnt irdischen Rolle zeigt – und in statischen Einstellungen, in denen der Star oft auffällig nahe an Vasen oder Lampen platziert ist: Dort verbargen sich die Mikrofone.

Anfangsschwierigkeiten

"Anna Christie" wurde seinerzeit in mehreren Sprachversionen gedreht. Eine teure Praxis, mit der die großen Studios bei einigen Produktionen ein gravierendes Problem der frühen Tonfilmära zu umgehen suchten. Denn während Stummfilme in jedem Sprachraum verständlich waren, was eine weltweite Vermarktung erleichterte, waren Tonfilme an die Produktionssprache gebunden. Bis um 1933 eine befriedigende Sprachsynchronisation möglich war, litt Weltmarktführer Hollywood deshalb unter ungeahnten Exportschwierigkeiten. Die mangelnde Universalität war auch zentraler Kritikpunkt des vielleicht vehementesten Gegners des Tonfilms: Charles Chaplin sah durch den "Sprechfilm" die Kunst der Pantomime bedroht. In seinen Augen die ursprünglichste, alle Völker verbindende Kunst. Seine Überzeugung brachte er auch darin zum Ausdruck, dass er unbeirrt weiter Stummfilmkomödien inszenierte – wobei er die Tonspur in "Lichter der Großstadt" (City Lights, USA 1931) unter anderem für Geräuscheeffekte nutzte, um den Tonfilm zu parodieren. Am Ende von Zum Filmarchiv: "Moderne Zeiten" (Modern Times, USA 1936) ließ er dann seinen berühmten Tramp erstmals sprechen: in einem Fantasie-Esperanto.

Mehr zum Thema