Kategorie: Hintergrund
Tiere in Kinderfilmen – eine kleine Typologie
Bestimmte Tierarten werden in Kinderfilmen immer wieder auf stereotype Weise eingesetzt. Unser Hintergrund stellt drei Beispiele vor.
Unser Umgang mit Tieren ist kulturell geprägt und wird sozial erlernt. In den westlichen Gesellschaften ist er durch ein Weltbild bestimmt, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt: Aufgrund seiner Fähigkeit zu denken und zu sprechen, bildet er die Spitze einer Hierarchie, in der er sich alle anderen Lebewesen unterordnet. Wie nahe uns Menschen ein Tier steht und welche Eigenschaften wir ihm zusprechen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob wir es als Haustier, als Nutztier oder als Wildtier wahrnehmen.
Wie über Kinderbücher lernen Heranwachsende auch über Zum Inhalt: Kinderfilme sich gesellschaftliche Werte und Normen anzueignen und eine eigene Identität zu entwickeln, aber auch sich in Abgrenzung zu den Erwachsenen im eigenen Kindsein zu erfahren. Wenn Kinderfilme oft enge Beziehungen zwischen Kindern und Tieren inszenieren, dann dient dies zum einen dem Erlernen von gesellschaftlich gewünschtem Verhalten am Beispiel eines vermenschlichten Tiers, wie der mutige und fürsorgliche Hund in "Benji – sein größtes Abenteuer" ("Benji the Hunted" , Joe Camp, USA 1987). Das Mitfühlen mit dem Tier ermöglicht es Kindern aber auch, das widersprüchliche Verhalten der Erwachsenen zu hinterfragen. Auffällig dabei ist, wie sehr die Darstellung bestimmter Tierarten in Kinderfilmen stereotypen Mustern folgt.
Das Pferd als geknechtetes Tier
Mit Pferden verbinden wir vornehmlich positive Eigenschaften wie Stärke, Sensibilität, Edelmut und Gehorsam. Zugleich unterwirft der Mensch das Pferd als Lasten- und Zugtier seinen Zwecken und macht es mit Trense, Peitsche und Sporen gefügig. Eine der ersten großen Tiererzählungen der Kinderliteratur inszeniert den Leidensweg eines Pferdes, das an immer grausamere Besitzer verkauft wird: Black Beauty (1877), zwischen 1921 und 2020 ein Dutzend Mal verfilmt (Glossar: Zum Inhalt: Adaption), soll laut seiner Autorin Anna Sewell bei einem vornehmlich weiblichen Publikum für "Güte, Sympathie und einen verständnisvollen Umgang mit Pferden" werben. In unzähligen verfilmten Pferdegeschichten – wie "Rettet Trigger!" ("Trigger" , Gunnar Vikene, NO/DK/SE, 2006), "Hände weg von Mississippi" (Detlev Buck, DE 2007), "Ein Pferd für Klara" ("Klara" , Alexander Moberg, SE 2009), "Ostwind" (Katja von Garnier, DE 2013), "Mein Freund Poly" ("Poly" , Nicolas Vanier, FR 2021) – findet sich der immergleiche Topos eines unverstandenen, misshandelten Pferdes. Oftmals soll es getötet werden, weil es nicht mehr produktiv ist und wird von einem Mädchen vor seinem bösen Besitzer gerettet. Erst dem Mädchen gelingt es, das Pferdeverhalten richtig zu lesen, das Tier zu zähmen statt zu brechen und beim Reiten oft auch eine geradezu spirituelle Verbindung mit ihm einzugehen. Als Fürsprecherin des geschundenen Tieres durchläuft die weibliche Hauptfigur einen Reifeprozess, in dem sie ihr Selbstvertrauen, Gerechtigkeitsempfinden und ihre Fähigkeit zu Empathie stärkt.
Der Hund als Weggefährte
Wenn sich Pferdefilme typischerweise an ein Mädchenpublikum wenden und Mitgefühl wecken wollen, inszenieren Hundefilme zumeist Freundschaften zwischen einem eigensinnigen Vierbeiner und einem ebenso eigenbrötlerischen männlichen Protagonisten. In der mehrfach adaptierten Kurzgeschichte Lassie come home (1938) macht sich eine Collie-Hündin auf eine aufregende Flucht, um zu ihrem geliebten jugendlichen Herrchen zurückzufinden. Vom Wolf abstammend, durchsteht der Hund in Jack Londons stilgebenden und wiederholt verfilmten Romanen Ruf der Wildnis (1903) und "Wolfsblut" (1906) gemeinsam mit dem menschlichen Freund Abenteuer an der Grenze von Zivilisation und Wildnis und bleibt dabei hin- und hergerissen zwischen einem Leben in Freiheit und der Zuneigung zum Herrchen. Auch in den verschiedenen Kinoadaptionen der französischen Kinder-TV-Serie "Belle und Sebastian" ("Belle et Sébastien" , Cécile Aubry, FR 1965-1970) oder im australischen Film Zum Filmarchiv: "Red Dog - Mein Treuer Freund" ("Red Dog: True Blue" , Kriv Stenders, 2016) laufen halb verwilderte oder ungehorsame Hunde einem Jungen zu und lehren ihn gegen alle gesellschaftlichen Zwänge seinen selbstbestimmten Weg zu finden. Um zu überleben, schließt sich der männliche Protagonist in "Wolfsbrüder" ("Entrelobos" , Gerardo Olivares, DE/ES 2010) in der Einsamkeit der spanischen Berge einem Rudel Wölfe an. Auf diese Weise lernt er, die Natur zu deuten und seine Instinkte zu entwickeln. In diesen Geschichten von verwaisten Wesen und Außenseitern prallen Individualität/Konformität, Wildheit/Gezähmtheit und Natur/Kultur als Gegensatzpaare aufeinander. Die Filme feiern innige Freundschaft und absolute Treue in einer ebenbürtigen Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Das Schwein als essbares Tier
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zu Tieren, die uns als Nahrung oder als Wirtschaftsgut dienen: Schwein, Huhn und Rind stehen zumindest im westlichen Kulturkreis in der menschengemachten Hierarchie offensichtlich unterhalb von Hunden. Das äußert sich auch in negativen Eigenschaften, die diesen Nutztieren zugeschrieben werden. So lautet ein weitverbreitetes Stereotyp, dass Schweine faul, dreckig und dumm seien - obwohl viele Gewohnheiten wie das Suhlen im eigenen Dreck tatsächlich durch die Haltung in menschlicher Gefangenschaft bedingt sind. Während es dem Zum Inhalt: Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Gunda" (Victor Kossakovsky, NO/USA 2020) gelingt, ein Schwein in seinem arteigenen Verhalten würdevoll als tierisches Individuum zu zeigen, gehen Kinderfilme typischerweise anders vor. In der Regel inszenieren sie die Errettung eines Schweins vor der Schlachtung als Aufstieg eines individuellen Nutztiers in der Hierarchie der Lebewesen – was oft auch mit seiner Vermenschlichung einhergeht: Um zu überleben, kann das Schwein kein Schwein bleiben. In "Schweinchen Wilbur und seine Freunde" ("Charlotte's Web" , Gary Winick, USA 2006) nach dem Kinderbuchklassiker Wilbur und Charlotte (1952) wird ein Ferkel von einem Mädchen als Haustier gehalten, um dann als Preisträger in einer Landwirtschaftsschau dem Schicksal als Weihnachtsschinken zu entgehen. Der vierbeinige Protagonist in "Ein Schweinchen namens Babe" ("Babe" , Chris Noonan, AU/USA 1995) steigt zu einem dem Hund ebenbürtigen Tier auf, indem er sich im Schafehüten beweist und folglich vom Menschen zunehmend wie ein Haustier behandelt wird. Als Babe sogar ins Wohnhaus gelassen wird, erweckt dies die Eifersucht der Hauskatze, die sich in der Hierarchie ganz oben wähnt.
Noch einen Schritt weiter geht der Knetfigurenfilm (Glossar: Zum Inhalt: Animationstechniken Zum Filmarchiv: "Oink" ("Knor" , Mascha Halberstad, NL/BE 2022), der sich deutlich gegen Fleischkonsum ausspricht: Als sympathisch werden vor allem die vegetarisch lebenden Figuren gezeichnet, "weil es barbarisch ist, Tiere zu essen", wie es die Mutter der jugendlichen Protagonistin Babs formuliert. Für seine Rettung jedoch muss das Ferkel bezeichnenderweise in der Welpenschule nicht nur zu einem Haustier erzogen werden, sondern als geradezu menschenähnliches Wesen lernen, "sich richtig zu benehmen". Oink sitzt mit den Kindern auf der Wippe, wird in ein Kostüm gesteckt und tanzt mit der Familie Ringelreihen im Wohnzimmer. Das zweitschlimmste Schicksal gleich nach dem Fleischwolf wäre es in Babs Vorstellung, wenn Oink wieder unter Artgenossen leben müsste.