Zum Filmarchiv: "Mit siebzehn" erzählt die Geschichte einer homosexuellen Liebe zweier Teenager, die sich allerdings schwierig entwickelt und dem Publikum lange verborgen bleibt. Thomas und Damien gehen in einer Zum Inhalt: Kleinstadt in den französischen Pyrenäen in dieselbe Gymnasialklasse. Dass sie als Außenseiter gelten, zeigt eine frühe Zum Inhalt: Szene im Basketballunterricht – die beiden 17-Jährigen werden als Letzte in die Teams gewählt. Trotzdem herrscht zwischen beiden eine offene Ablehnung, deren Gründe ebenso wenig benannt werden wie die für ihre Ausgrenzung. Allerdings deutet André Téchinés Film schon in den ersten Szenen an, dass die Schüler sehr verschiedenen Milieus angehören. Anders als Damien, der eher schmächtig wirkt und im Unterricht einfühlsam ein Rimbaud-Gedicht vorträgt, tritt der groß gewachsene Thomas, der maghrebinische Wurzeln hat, sehr körperlich auf: Er stellt Damien nach seinem Vortrag ein Bein und baut sich nach Schulschluss herausfordernd am Hoftor auf. Im Gegensatz zu Damien, der von seiner Mutter mit dem Auto abgeholt wird, muss er seinen langen Schulweg per Fußmarsch und Bus zurücklegen. Die hier anklingende soziale Polarität der beiden Hauptfiguren entwickelt der in drei Trimester gegliederte Film in seinem ersten Drittel subtil, aber konsequent fort.

Mit siebzehn, Szene (© Kool Filmdistribution)

Unterschiedlicher Umgang mit Gefühlen

Damien ist der Sohn der Landärztin Marianne und eines Armeepiloten. Zu seinen Eltern hat er ein liebe- und vertrauensvolles Verhältnis, das wohl auch wegen der häufigen Auslandseinsätze von Vater Nathan zur Mutter sehr innig ist. Obwohl er von ihr einerseits bemuttert wird, wirkt ihre Beziehung andererseits fast partnerschaftlich: Damien kocht häufig, sie trinken zusammen Wein und sprechen offen miteinander. Der moderne Umgang mit Geschlechterrollen und die angstfreie Kommunikation schlagen sich auch in Damiens männlichem Selbstverständnis nieder: Er trägt einen Ohrstecker und Shirts mit Blumenmustern, was seiner Erscheinung eine androgyne Note gibt. Sein gelungener Rimbaud-Vortrag verrät zudem einen offenen Zugang zu Gefühlen. Gleichwohl möchte er wohl nicht als sensibler, "femininer" Junge festgelegt werden, denn von einem pensionierten Soldaten lässt er sich im Kampfsport trainieren. Gegen Thomas wehrt sich Damien allerdings anfangs mit seinem Intellekt: In der Mathematikstunde führt er ihn an der Tafel vor.

Thomas hingegen lebt mit seinen Adoptiveltern auf einem Bauernhof in den Bergen. Trotz schlechter Schulnoten ist auch er ein guter Sohn: Auf dem Hof hilft er fleißig mit, wobei ihm die harte Arbeit sichtlich liegt. Dass er sich über physische Stärke und Zähigkeit definiert, betont der Film in den einsamen Streifzügen des Jungen in den Bergen, auf denen er in einem eiskalten See badet. Als seine Mutter krank im Bett liegt, erweist sich Thomas in seiner Fürsorge als Pragmatiker: Ihr Fieber senkt er mit einem Medikament aus der Viehhaltung, wie er Marianne erzählt, als sie seiner Mutter einen Hausbesuch abstattet. Thomas, der sonst schweigsam ist und sein Schulbrot alleine in der Umkleide isst, verhält sich gegenüber der Ärztin zugänglich und selbstbewusst. Ihm behagt die Zuwendung der Ärztin, die seinen Wunsch, Tierarzt zu werden, mit Interesse registriert und erzählt, dass sie selbst aus einer bäuerlichen Familie stammt. Eine verletzliche Seite zeigt Thomas, als seine Mutter nach mehreren Fehlgeburten erneut ein Kind erwartet. Er befürchtet, dass seine Eltern ihn, den Adoptivsohn, zurückweisen könnten. Doch er traut sich nicht, mit ihnen über seine Angst zu sprechen.

Mit siebzehn, Szene (© Kool Filmdistribution)

Helfen aus Berufung: Marianne als vermittelnde Instanz

Mit ihrem Hausbesuch wird Marianne zu einem Bindeglied zwischen Damien und Thomas und nimmt fortan in deren Konflikt die Rolle einer Mediatorin ein. Ihren Arztberuf sieht sie als soziale Berufung: "Ich bin da, um zu helfen", sagt sie. Bei ärmeren Patienten verzichtet Marianne auch mal auf ein Honorar – wie bei der Familie von Thomas, wo sie beweist, dass sie sich sensibel in fremden Milieus bewegen kann. Ihr soziales Bewusstsein zeigt Marianne auch privat. Nach einer Schulschlägerei von Damien und Thomas ergreift sie zunächst beim Direktor für den Bauernsohn Partei, weil sie dessen Benachteiligung wittert. Schließlich geht sie so weit, Thomas in ihr Haus einzuladen, vorgeblich, um ihm den langen Schulweg zu ersparen und ihm somit mehr Zeit zum Lernen zu ermöglichen.

Die tieferen Gründe für diesen Schritt werden von Téchiné jedoch wiederum der Interpretation überlassen. Marianne dürfte nämlich durchaus bewusst sein, dass ihr Sohn eine Phase der sexuellen Selbstfindung durchlebt. So ahnt sie womöglich, dass Damiens angespanntem Verhältnis zu Thomas eine uneingestandene Anziehung zugrunde liegt, und möchte ihrem Sohn helfen, Klarheit zu gewinnen. Für diese Variante spricht, dass Marianne nach ihrem Hausbesuch im Gespräch mit Damien erzählt, dass Thomas ein attraktiver Junge sei – womit sie Damiens Gefühle zu erraten scheint.

Mit Thomas' Einzug beginnt das zweite Trimester des Films, in dem das Spannungsverhältnis der Jungen in Schwingung gerät. Thomas beobachtet den offenen Umgang innerhalb der Arztfamilie zunächst fasziniert, ohne daran teilzuhaben. Doch dann gesteht er Marianne schließlich seine Angst, nach der Geburt eines leiblichen Kindes von seinen Adoptiveltern nicht mehr als „richtiges“ Kind wahrgenommen zu werden. "Es gibt keine falschen Kinder", antwortet ihm Marianne. Damien allerdings reagiert eifersüchtig auf die Annäherung zwischen Marianne und Thomas in Abwesenheit des Vaters. Er wirft seinem neuen Mitbewohner vor, eine Erkältung herbeigeführt zu haben, damit Marianne ihn untersuche. Damit tritt im Film der erotische Aspekt des Konflikts, der bisher nur angedeutet war, in den Vordergrund. Als Folge des Streits tragen die beiden Jungen in den Bergen einen Zweikampf aus. Dabei erweist sich der durch das Training gestählte Damien als würdiger Gegner für den kraftvolleren Thomas. Und tatsächlich scheint sich unter der Erfahrung des Kampfs die Akzeptanz der Jungen füreinander zu verbessern: Gemeinsam mit Marianne verbringen sie einen harmonischen Abend, der in einem Wettbewerb im Armdrücken gipfelt.

Mit siebzehn, Szene (© Kool Filmdistribution)

Liebe als beiderseitiger Lernprozess

Als Thomas nach dem Kampf im eisigen Bergsee badet, beobachtet ihn Damien. Sein Begehren wird hier erstmals für das Kinopublikum deutlich. In den folgenden Tagen versucht er, für sich Gewissheit zu erlangen, und gesteht Thomas schließlich seine Gefühle für ihn. Seine Versuche, Thomas zu küssen, wehrt dieser jedoch ab. Nun, da er sich seiner Gefühle bewusst ist, fällt es Damien, geprägt von der angstfreien Kommunikation seines Elternhauses, anscheinend nicht allzu schwer, sich auch Marianne gegenüber zu offenbaren. Thomas dagegen scheint nicht nur über seine Gefühle noch im Unklaren zu sein, sein persönlicher Hintergrund erschwert es ihm offenbar auch, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen.

Der Film zeigt die Annäherung der Jungen als beiderseitigen Lernprozess: Damien begreift Thomas' Körperlichkeit, was sich auch in seiner physischen Angleichung widerspiegelt. Als die Jungen nach ihrem Kampf von Marianne untersucht werden, sind beide mit Hämatomen übersät. Thomas hingegen lernt, mit Gefühlen umzugehen und zu seinen Ängsten zu stehen – was schließlich auch dazu führt, dass er Damiens Familie nach dem Tod des Vaters im Kriegseinsatz zur Seite stehen kann. So ist ihre Beziehung am Ende ein Austausch auf Augenhöhe.

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