Kategorie: Hintergrund
Visuelle Effekte oder: Wie kommt der Tiger ins Boot?
Digitale Bildproduktion: Der Tiger Richard Parker in "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" ist größtenteils ein Geschöpf modernster Computertechnik und zeigt, welche Fortschritte das "Computer Generated Imagineering" (CGI) gemacht hat.
Tiere sind am Filmset launischer als jede Diva: unberechenbar, anspruchsvoll, mitunter höchst gefährlich, machen sie selten, was die Regie verlangt. Ang Lees Zum Filmarchiv: "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" (Life of Pi, USA 2012) wäre mit einer echten Wildkatze nicht realisierbar gewesen. Ein Junge und ein Tiger gemeinsam in einem Rettungsboot auf hoher See – das klingt dramaturgisch nach einer reizvollen Konstellation. Logistisch ist eine solche Geschichte aber ohne die Hilfe moderner, digitaler Technologie nicht glaubwürdig zu erzählen. Die Kino-Adaption einer fantastischen, literarischen Allegorie erfordert ein hohes Maß an filmischem Realismus. Der Tiger muss hyperreal wirken, um den gewünschten dramatischen Effekt zu erzielen. Das "darstellerische" Repertoire des gefährlichen Tieres selbst ist zu limitiert, als dass ein lebendiger Tiger seinesgleichen im Kino glaubhaft verkörpern könnte. Hier erweist sich digitale Technik als zunehmend verlässliches – und sicheres – Werkzeug.
Digitale Bildproduktion
Technologisch hat das "Computer Generated Imagineering" (CGI), die digitale Bildproduktion, in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht. Die Zum Inhalt: Special-Effects-Teams hinter Peter Jacksons "King Kong" (Neuseeland, USA, Deutschland 2005), James Camerons Zum Filmarchiv: "Avatar – Aufbruch nach Pandora" (Avatar, USA 2009) und Rupert Wyatts (Rise of the Planet of the Apes, USA 2011) haben eine realistische Darstellung von Tieren und anderen Figuren ermöglicht, die mit frühen Fingerübungen wie dem T-Rex aus Zum Filmarchiv: "Jurassic Park" (Steven Spielberg, USA 1993) kaum noch vergleichbar sind. Was sich in den dreidimensionalen Zum Inhalt: Animationsfilmen der Pixar- und Dreamworks-Studios lange Zeit als kniffligstes Problem erwies – die originalgetreue Simulation von Haaren, Fell oder Wassertropfen, überhaupt von allem, was eine unregelmäßige Oberflächenstruktur besaß oder Licht reflektierte – ist heute in den digitalen Suiten der großen Postproduktionsfirmen Routine.
Technik und lebende Modelle
In "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" geht dieser Realismus so weit, dass dem Publikum zuweilen gar nicht mehr in den Sinn kommt, die Illusion zu hinterfragen, selbst wenn Schauspieler und animierter Tiger im gleichen Bildausschnitt zu sehen sind. Dieser fotorealistische Eindruck entsteht jedoch nicht nur in den Rechenzentren. Zwar basieren Mienenspiel und kleinste Regungen auf komplizierten Algorithmen – computergenerierten Zahlenkolonnen, um die Geschmeidigkeit einer Bewegung zu erhöhen oder einen Gesichtsmuskel zu aktivieren –, die jedoch ihrerseits aus Beobachtungen des lebenden Tieres hergeleitet wurden. So bestand die größte Herausforderung bei der Entwicklung lebensechter 3D-Tiger-Modelle darin, die animalischen Eigenschaften von Richard Parker, die für den Plot von zentraler Bedeutung sind, nicht zu domestizieren, mit anderen Worten: den Tiger nicht zu vermenschlichen – ihn gleichzeitig aber als ebenbürtigen Charakter neben der menschlichen Hauptfigur zu etablieren.
Spiel vor blauem Hintergrund
Hunderte Stunden Videoaufnahmen von Tigern in freier Wildbahn dienten den Digital Artists unter der Leitung des Special-Effects-Veteranen Bill Westenhofer, der für die Spezialeffekte in (The Chronicles of Narnia: The Lion, The Witch & The Wardrobe, Andrew Adamson, USA 2005) verantwortlich war, als Bewegungs- und Verhaltensstudien, nach denen sie den digitalen Tiger modellierten. An vier lebendigen Exemplaren, wovon eines auch Kurzauftritte im Film hatte, konnten die Tiere wiederum aus nächster Nähe studiert werden. So saß Hauptdarsteller Suraj Sharma während der Dreharbeiten allein in dem Boot, das sich in einem Wassertank vor einer Zum Inhalt: Blue Screen befand. Auf diesen neutralen Hintergrund wurden in der Postproduktion Tiere und Himmel projiziert. Wichtig im Entstehungsprozess war, sowohl die Erscheinung des Tigers im Ganzen glaubwürdig zu simulieren – über ein Dutzend Digital Artists waren allein mit der Animation des Fells beschäftigt – als auch die Mimik in den Zum Inhalt: Close-Ups von Richard Parker so nuanciert wie möglich zu gestalten. Gerade in diesen Einstellungen erweist sich die 3D-Technologie, mit der "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" gedreht wurde, als bahnbrechend: Die drahtigen Schnurrhaare der Wildkatze sind so lebendig animiert, dass sie im Kinosaal fast greifbar werden.
Ein Tiger entsteht
Um die Natürlichkeit von Richard Parkers Bewegungen zu optimieren, wurde der Tiger in vier Phasen zum Leben erweckt. Zunächst entwickelten die 3D-Künstler/innen die Knochenstruktur des Tieres, innerhalb der die einzelnen Segmente, die beim Springen zum Beispiel interagieren, durch einen gemeinsamen Algorithmus verknüpft waren. Über dieses Skelett wurde im nächsten Schritt die Muskelschicht gelegt, die die Bewegungen des Tigers fließender macht. Danach wurde ihm das Fell übergestreift, das bei bengalischen Tigern sehr locker sitzt und leicht Falten wirft, was eine realistische Animation zusätzlich erschwert. Zuletzt erhielt das Fell seine Textur. Die Bewegungsmuster jeder dieser vier Ebenen funktionieren unabhängig voneinander, was die Bewegungen des Tieres besonders realistisch wirken lässt.
Menschen als Vorbilder
Westenhofer und sein Team konnten sich bei ihrer Arbeit auf die Erfahrungen von Peter Jacksons Special-Effects-Firma Weta Digital stützen, die für die -Trilogie (The Lord of the Rings, Peter Jackson, USA 2001-2003), "King Kong" und "Planet der Affen: Prevolution" bereits erfolgreich das Performance-Capturing-Verfahren getestet und perfektioniert hatte. Bei dieser Technik werden Bewegungen und Mimik eines/r Schauspielers/in mit Hilfe von Datenanzug und Miniaturkameras aufgezeichnet und in digitale Informationen umgewandelt. "Performance Capturing" hat gegenüber der klassischen 3D-Animation, bei der die Figuren quasi aus dem Nichts entstehen, den Vorteil, dass der Körper des Schauspielenden bereits als Matrix der digitalen Schöpfung fungiert. Die realen Bewegungen werden also in virtuelle umgerechnet, die Animation ist gewissermaßen ein Avatar. Dieses Verfahren erleichtert auch die Arbeit der Darsteller/innen, die mit realen Kollegen/innen spielen, statt allein im Blue- oder Green-Screen-Raum zu agieren.
Virtuelle Identifikationsfiguren
Ob 3D-Animation oder Performance Capturing – Filme wie "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" und "Planet der Affen: Prevolution" zeigen, dass dem Kino dank digitaler Technologien kaum noch Grenzen gesetzt sind. Nebenbei räumen sie auch mit einem hartnäckigen Vorurteil des analogen Kinos auf: Der Tiger Richard Parker und der Schimpanse Caesar sind so liebevoll und realistisch gezeichnet, dass sie dem Publikum als Identifikationsfiguren dienen können. Damit dürfte wohl auch die Erklärung "No Animals Were Harmed in the Making of This Motion Picture" auf absehbare Zeit aus dem Abspann der Filme verschwinden. Eine gute Nachricht für Hollywood. Und erst recht für die Tiere.