Caroline Link, geboren 1964, studierte Zum Inhalt: Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Seit 1990 realisiert sie als Regisseurin und Zum Inhalt: Drehbuchautorin Spielfilme für Kino und Fernsehen. Ihr Drama Zum Filmarchiv: "Jenseits der Stille" wurde 1998 für einen Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert; 2003 gewann sie diesen Preis schließlich mit "Nirgendwo in Afrika" . Ihr neuer Film Zum Filmarchiv: "Der Junge muss an die frische Luft" ist eine Zum Inhalt: Adaption des gleichnamigen Buchs von Hape Kerkeling.

Das Audio-Interview mit Caroline Link führte Anna Wollner im Dezember 2018. Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.

kinofenster.de: Was hat Ihr Interesse an der Geschichte von Hape Kerkeling geweckt?

Caroline Link: Ich habe ein Drehbuch zugeschickt bekommen, in dem Ruth Toma, die Autorin, es ganz meisterlich verstanden hat, das Traurige an seiner Kindheitsgeschichte mit dem Heiteren und dem Lustigen zu verbinden. Das ist ja nicht so einfach, es geht immerhin um den Selbstmord einer jungen Mutter. Das ist nicht witzig, das kann man nicht relativieren oder bagatellisieren – das ist sehr schmerzhaft. Und trotzdem ist es kein furchtbar niederschmetternder Film geworden, weil Hape Kerkeling natürlich auch für Humor, Leichtigkeit und einen guten Sprachwitz steht. All das haben wir versucht unter einen Hut zu bringen. Es war ein ganz besonderes Drehbuch von Ruth Toma und wir haben uns bemüht, auch einen vielschichtigen Film daraus zu machen.

Wie war denn Ihre Zusammenarbeit mit Hape Kerkeling?

Als ich das Drehbuch bekommen hatte und den Filme machen wollte, habe ich Hape in Berlin getroffen. Er hat Kuchen gekauft, wir haben uns alte Familienalben von ihm angeschaut und über die Menschen in seiner Kindheit gesprochen: über seine Großmütter, die einen ganz wichtigen Anteil an seiner Erziehung hatten, über seine Mutter natürlich, über seinen Vater, über die ganze Familie, die ihn auch in den schweren Zeit gestützt und aufgefangen hat.

Er taucht ja selbst im Film auf. In der letzten Szene begegnen sich der junge Hans-Peter und der reale Hape Kerkeling. War das Ihre Idee oder war es ihm wichtig, auch auf der Leinwand Teil des Films zu sein?

Nein, er hat immer gesagt, dass er da eigentlich nicht mitspielen möchte. Aber ich habe ihn gebeten, zumindest einmal kurz aufzutauchen, weil ich den Gedanken schön fand, dass Hape auf seine Kindertage zurückschaut. Im Endeffekt schaut im Film jetzt eher der Junge in die Zukunft. Das hat sich im Schnitt erst ergeben und wir fanden es schön, dass der neunjährige Hans-Peter einen Weg entlangschaut und sieht, was da alles noch kommen könnte. Dass das Ende des Films einen nach vorne schauenden Optimismus hat, war mir ganz wichtig.

Das Herzstück des Films ist natürlich der junge Hans-Peter, gespielt von Julius Weckauf in seiner ersten Kinorolle. Wie haben Sie diesen göttlichen Jungen gefunden?

Er kann unheimlich gut mit Sprache umgehen, und die Gags von Hape Kerkeling, die für mich besonders gut funktionieren, haben meistens mit Sprache zu tun haben, also mit einem lockeren Umgang mit Worten, Dialekten und Fremdsprachen. Manche Sprachen spricht Hape ja zum Teil noch nicht einmal und trotzdem macht er damit unglaublich lustige Sketche. Genau so trocken kann auch Julius mit Sprache umgehen. Das haben wir beim Casting überprüft. Zusammen mit vielen anderen Jungs musste er singen, tanzen, kleine Witze erzählen und in verschiedene Rollen schlüpfen. Das alles hat Julius unglaublich gut gemacht. Für Jungs mit acht, neun Jahren ist das gar nicht so einfach, da stolpern die meisten noch über ihre Zunge und können solche Sprüche gar nicht so cool raushauen. Bei Julius ging das gut. Er hatte sich selbst auf einen Aufruf gemeldet – so haben wir ihn dann gefunden.

Wie schwierig ist es mit einem Kind zu arbeiten, das keine Schauspielerfahrung hat und das dann auch noch jemanden porträtieren soll, auf dessen Leben das Buch und der Film basieren?

Ich liebe es sehr mit Kindern zu arbeiten, die noch nie vorher gedreht haben, weil sie noch keine Meinung zu sich selbst haben. Sie sind in einem guten Sinne noch unschuldig. Wenn sie sich einmal auf der Leinwand gesehen haben und ein Bewusstsein dafür bekommen, wie sie Leute zum Lachen bringen oder am besten aussehen, dann fangen sie ein wenig an sich zu verstellen. Ich habe das Gefühl, Kinder von der "Straße", die keinerlei Spielerfahrung haben – aber natürlich ein gewisses Talent, vor allem ein sprachliches Talent –, bringen eine größere Natürlichkeit auf die Leinwand als sogenannte Profikinder.

Der Film lebt von einer besonderen Familienkonstellation, in der sich vielleicht jeder ein stückweit wiederfinden kann. Wie würden Sie die Familie von Hape Kerkeling, die der Film zeigt, beschreiben?

Ich bin wie Hape 1964 geboren und kenne das Milieu, in dem er aufgewachsen ist, sehr gut. Ich komme zwar nicht aus dem Ruhrgebiet, sondern aus Hessen, bin da aber in einem ähnlichen Familienverbund großgeworden. Im Film ist das eine große Gruppe von Leuten, die irgendwie ein bisschen spinnen, aber durchweg liebenswert und warmherzig sind. Als die Mutter von Hape irgendwann nicht mehr da ist, ist da immer noch ein dichtes Netz von zugewandten und liebevollen Verwandten, die den Schmerz des Jungen aufangen. Diese verrückten Tanten, diese etwas dominanten, warmherzigen Großmütter, der abwesende Vater und der zupackende Großvater – diese Figuren gab es in meiner Familie auch. Das beschreibt sehr schön, finde ich, wie die 1970er-Jahre funktioniert haben und was für eine Rolle da Familie in dieser Gesellschaftsschicht gespielt hat.

Der Junge muss an die frische Luft, Szene (© Warner Bros.)

Der Film spielt, Sie haben es gerade gesagt, in den 1970er-Jahren im Ruhrpott-Milieu. Wie haben Sie es geschafft, diese Zeit so detailgetreu für die Leinwand auferstehen zu lassen?

Das Schöne am Filmemachen ist, dass man sich mit vielen begabten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern austauschen kann und von deren Kompetenzen bereichert wird. Die Zum Inhalt: Szenenbildnerin Susann Bieling hat zum Beispiel alle meine bisherigen Filme ausgestattet. Man schaut sich vorab zusammen Fotobücher an und in diesem Fall konnten wir auch unsere eigenen Alben und Erinnerungen hervorkramen. Gemeinsam mit der Zum Inhalt: Kostümbildnerin und der Zum Inhalt: Maskenbildnerin haben wir dann ein Konzept entwickelt, wie die Welt des Films aussehen soll und welche Farben eine Rolle spielen in der Geschichte. Es ging mir nicht nur darum, dass jeder Stift oder jedes Glas oder jede Colaflasche richtig ist, sondern dass der Film vor allem ein Stimmungsbild von jener Zeit gibt, das nicht schrill und übertrieben ist, sondern eben realistisch etwas über die 1970er-Jahre erzählt.

Es ist kein ausgewiesener Film für Kinder, aber trotzdem können Kinder und Jugendliche aus dem Film etwas mitnehmen. Wie spricht der Film in Ihren Augen Kinder an?

Die wichtigste Botschaft des Films ist: Egal, wie schmerzhaft und schwer das Leben in manchen Momenten sein kann, es gibt immer wieder ein Licht am Ende des Tunnels. Ich glaube, was Hapes Geschichte wunderbar vermittelt, ist, dass auch wenn man als Kind mit einem großen Schmerz zu kämpfen hatte, es am Ende doch noch eine Erfolgsgeschichte oder Glücksgeschichte werden kann. Denn Hape hat das zu seinem Beruf gemacht, was er immer geliebt hat und immer gut konnte – und ist in diesem Beruf nicht nur erfolgreich, sondern auch sehr glücklich geworden. Ich finde es tröstlich, auch für andere, die Schicksalsschläge hinnehmen müssen: Es gibt viele Menschen, die kämpfen müssen, das heißt aber nicht, dass ihr Leben nicht noch eine positive Wendung nehmen kann.

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