"Dies ist der Mittelpunkt des Weltkinos, alle sind sie in Berlin, alle, die Alten wie die Jungen", heißt es in Christian Krachts Roman "Die Toten" aus dem Jahr 2016. In dem Buch begibt sich der fiktive Schweizer Filmregisseur Nägeli in den frühen 1930er-Jahren in die deutsche Reichshauptstadt, um mit dem UFA-Boss Alfred Hugenberg ein lukratives Projekt zu besprechen. Man trifft sich in einem mondänen Nachtclub am Nollendorfplatz. Der Deutschnationale Hugenberg poltert, Komödiant Heinz Rühmann gibt den Pausenclown und Nägeli schweigt betreten. Bis der Journalist Siegfried Kracauer und die Filmkritikerin Lotte Eisner auftauchen und den Schweizer auf eine nächtliche Sauftour mitnehmen. Die rasante Taxifahrt endet mit einem Crash an einer Litfaßsäule. Anschließend entwickeln die drei beim Katerfrühstück noch die Idee, das bevorstehende deutsche Grauen in einem Zum Inhalt: Horrorfilm zu verarbeiten.

Hauptstadt des europäischen Stummfilms

Kolportagehaft verdichtet Kracht in seiner filmhistorischen Roman-Groteske zahlreiche Konfliktlinien der damaligen "Filmhauptstadt" Berlin. Da gibt es den Kulturkampf zwischen konservativen Eliten und der liberal-hedonistischen Kunstszene. Den sich ankündigenden Exodus der linken und jüdischen Filmschaffenden. Den ewigen Drahtseilakt zwischen Kommerz und Filmkunst und die dazugehörigen Figuren – den Mogul Hugenberg, einen Wegbereiter der NS-Medienpolitik, und die Chronisten des Weimarer Kinos: Kracauer, Autor des filmsoziologischen Buchs "Von Caligari zu Hitler" (1947), und Eisner, deren Stil-Studie "Die dämonische Leinwand" (1952/55) ein Standardwerk über den expressionistischen Zum Inhalt: Stummfilm wurde. Nicht zuletzt sind die Schilderungen einer rauschhaften Weltstadt in Krachts Roman ebenso wie in der Serie Zum Filmarchiv: "Babylon Berlin" (D 2017) maßgeblich geprägt von den Filmbildern jener Zeit.

Babylon Berlin, Trailer (© X Verleih (Kino), DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)

Nach der Eingemeindung mehrerer Vororte (1920) erreicht Berlin im Laufe des Jahrzehnts mehr als vier Millionen Einwohner/-innen, wird zur drittgrößten Stadt der Welt und einflussreichen Filmstadt. Das Filmbusiness erlebt einen rasanten Aufschwung und zieht zahlreiche Stars aus dem Ausland an. Schon 1919 werden in Deutschland mehr als fünfhundert Filme produziert, viele davon in Berlin, wo mit der UFA (Universum-Film Aktiengesellschaft) die größte Filmproduktion ansässig ist und moderne Studios im Bezirk Tempelhof und in Potsdam-Babelsberg (ab 1922) bereitstehen. In diesen Studios entstehen auch die ersten Berlin-Filme. "Der letzte Mann" (1924) von Friedrich Wilhelm Murnau, filmhistorisch berühmt für seine genuin visuelle Erzählweise und seine elaborierten Zum Inhalt: Kamerafahrten, markiert in dieser Hinsicht einen Grenzstein. Das Drama über einen älteren Hotelportier, der seine Anstellung verliert, verhandelt klassische Motive der Großstadt-Literatur. Andererseits ist die Stadt hier – wie auch in anderen Filmen der Zeit – nur hintergründiger Handlungsort der Geschichte. Mit seinen wenigen, ausschließlich im Studio gedrehten Zum Inhalt: Schauplätzen bleibt der Film ein auf Innenräume fokussiertes Zum Inhalt: Kammerspiel.

Die Entstehung des Großstadtfilms

Es dauert jedoch nicht lange, bis die Großstadt Berlin auch zum Sujet und Protagonisten des Films wird. Nur ein Jahr später dreht Adolf Trotz mit "Die Stadt der Millionen" (1925) einen abendfüllenden Zum Inhalt: Dokumentarfilm über den urbanen Alltag ("Kulturfilm" nannte man die Gattung damals). 1927 folgt Walther Ruttmann diesem Beispiel mit "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" . Beide Regisseure entdecken, beeinflusst vom kunstübergreifenden Trend der "Neuen Sachlichkeit", das geschäftige Treiben auf den Straßen als Filmstoff und etablieren ein neues Zum Inhalt: Sub-Genre, den Querschnittsfilm. Statt einer Geschichte über wenige dramatis personae erzählt der Querschnittsfilm von einem größeren sozialen Raum in der Absicht, eine "breitere Front des Lebens" (Béla Balázs) zeigen zu können. Eine moderne filmische Form, die der Großstadt als Ort der Moderne gerecht wird. Bis heute gibt es zahlreiche Nachfolger dieses Konzepts, wobei vor allem Ruttmanns rhythmisch-musikalische Zum Inhalt: Montage eines urbanen Tagesablaufs immer wieder als ausdrückliches Vorbild dient (zuletzt: "Symphony of Now" , D 2018).

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Mit seinem Nebeneinander von sozialen Gegensätzen, dem Gewusel aus Menschen, Pferdekutschen, Trams und Automobilen und dem maschinellen "Herzschlag" der Industrieanlagen erscheint die Großstadt Berlin bei Ruttmann als zivilisatorischer Organismus. Die Reizüberflutung dieser vielfältigen Sinneseindrücke registriert der Film mit einer Reserviertheit, die der Berliner Soziologe Georg Simmel bereits 1903 als Grundhaltung der Großstädter/-innen identifiziert hatte ("Die Großstädte und das Geistesleben"). Wie schon in der expressionistischen Literatur der 1910er-Jahre rückt das urbane Berlin nun auch in den Fokus des Spielfilms: Von der Wohnungsnot in den Mietskasernen, der Kriminalität im Schutz der Menschenmassen, aber auch von den zahlreichen Vergnügungsorten erzählen "Menschen am Sonntag" (1930) und die frühen Tonfilme "Berlin Alexanderplatz" (1931) Zum Inhalt: nach Alfred Döblin sowie Zum Filmarchiv: "Emil und die Detektive" (1931) nach dem Kinderbuch von Erich Kästner. Der ästhetische Einfluss der Querschnittsfilme zeigt sich in der Wahl authentischer Schauplätze und der Kombination dokumentarischer Straßenszenen mit einer fiktionalen Handlung.

Berlin als Schauplatz politischer Machtkämpfe

Steht im filmischen (und literarischen) Expressionismus meist die individuelle, oft entrückte Wahrnehmung der Stadt im Vordergrund, setzt sich in den "neusachlichen" Werken eine betont nüchterne Sozialbeschreibung durch. In der Spätphase der Weimarer Republik spiegeln sich darin auch die politischen Kämpfe. Gerade Zum Inhalt: Filme über das proletarische Milieu in Berlin, etwa die von der KPD-nahen Prometheus Film produzierten "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (1929) und "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" (1932), wollen mit ihrer Darstellung urbaner Missstände politisch agitieren. Im Hinterhofelend der Arbeiterklasse erscheinen dabei auffällig oft emanzipierte Frauen als Hoffnungsschimmer einer besseren Stadt-Gesellschaft. Der kurz nach der Machtübernahme der NSDAP gedrehte "Hitlerjunge Quex" (1933) wirkt wie eine faschistische Antwort auf diese Werke. Dramaturgisch geschickt instrumentalisiert der Vorbehaltsfilm die realen Straßenkämpfe im Arbeiterviertel Moabit und imaginiert eine "Volksgemeinschaft" – die allerdings symbolträchtig außerhalb der Stadt im Zeltlager begründet wird. Die Gegenwart des modernen Berlins spielt im NS-Kino fortan keine wesentliche Rolle mehr.

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Die Gefahr einer totalitären Ordnung ist zuvor hingegen ein Fixpunkt in Fritz Langs Hauptwerken des Weimarer Kinos. In seinen Genre-Erzählungen steht fast immer das zeitgenössische Berlin Modell, mal als realer Handlungsort und mal als verfremdetes Vorbild einer futuristischen Megacity wie im Zum Inhalt: Science-Fiction-Klassiker Zum Filmarchiv: "Metropolis" (1927). In Zum Filmarchiv: "M" (1931) wird die filmische Stadt, aus Studio-Kulissen und Originalschauplätzen künstlich zusammengesetzt, nahezu im wörtlichen Sinne kartografiert, wenn die Kommissare anhand des Stadtplans die Fahndung nach dem Kindermörder einleiten. Die Zum Inhalt: Kriminalhandlung bietet den dramaturgischen Anlass, auch im fiktionalen Film einen Querschnitt der Berliner Milieus zu erkunden – eine Idee, die "Babylon Berlin" offensichtlich von Lang übernommen hat. Die filmhistorischen Bezüge der Serie sind sogar so ausgeprägt, dass man sie auch als eine Art "Meta-Querschnittsfilm" sehen könnte – eine Hommage an die zahlreichen Berlin-Filme des Weimarer Kinos.

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