Hendrik "Henk" Handloegten (geboren 1968), Tom Tykwer (geboren 1965) und Achim von Borries (geboren 1968) sind seit den 1990er-Jahren als Regisseure und Drehbuchautoren an zahlreichen deutschen Produktionen beteiligt. Handloegten und von Borries studierten an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) und arbeiteten bereits 2004 zusammen an dem Filmdrama "Was nützt die Liebe in Gedanken" . Tykwer kam als cinephiler Autodidakt zum Film und arbeitet seit dem Erfolg von Zum Filmarchiv: "Lola rennt" (DE 1998) auch in Hollywood. Bei Zum Filmarchiv: "Babylon Berlin" zeichnen alle drei verantwortlich für Zum Inhalt: Regie und Zum Inhalt: Drehbuch.

Das Audio-Interview mit dem Regie-Trio führte Anna Wollner im August 2018. Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.

kinofenster.de: Wie entstand die Idee zu der Serie "Babylon Berlin" ?

Tom Tykwer: Ausgangspunkt der Idee war eine Sehnsucht, einen Stoff zu finden über die Zeit der Weimarer Republik, also die Zeit zwischen diesen beiden großen Kriegen, in denen Deutschland eine ungeheuerliche Verwandlung hinter sich gebracht hat und quasi ein Experimentierfeld wurde – ein gesellschaftliches und dann auch ein kulturelles. Wir wollten einen Stoff finden, der einerseits in der Lage ist, diese sehr aufregende und widersprüchliche und in vieler Hinsicht spektakuläre Zeit zu erzählen, die auch den Ausbruch der Moderne verkörpert; und gleichzeitig sollte die Geschichte fesselnd und spannend sein. Wir stießen dann auf die Romane von Volker Kutscher, der in Form eines Krimis ein ähnliches Projekt angefangen hatte (die achtteilige Buchreihe um den Kommissar Gereon Rath, Anm. der Red.). Ein Krimi, der sich aber auch so durch diese Zeit wühlt, dass die Zeit selber spürbar und sichtbar wird. Das fanden wir einen guten Trick und so haben wir uns die Romane unter den Nagel gerissenund sie dann mit allem, was wir noch zu erzählen hatten, angereichert.

kinofenster.de: Wie müssen wir uns diese Transformation von den Büchern zur fertigen Serie vorstellen?

Achim von Borries: Wir haben uns zusammengefunden und angefangen zu recherchieren und sind auf immer neue Schubladen oder Schatzkammern gestoßen. So wurde das Projekt immer länger und größer und letztlich das, was wir von Anfang an vorhatten: die Zeit als Sittengemälde aufleben zu lassen, sie spürbar zu machen. Denn die wenigsten haben jemals bewegte Bilder aus dieser Zeit gesehen. Wir wollten erzählen, wie diese Zeit vor dem Nationalsozialismus war. Denn die Nazis sind ja nicht 1933 von den Bäumen gefallen und die Menschen wurden nicht mit einem Schlag anders, sondern sie blieben sie selbst, zumindest in ihren eigenen Augen.

kinofenster.de: Auch wenn Sie es fast schon beantwortet haben: Woran liegt heute noch die Faszination und das Interesse an dieser Zeit?

Achim von Borries: Ich glaube, da gibt es zwei Gründe: Erstens war natürlich die Nazi-Zeit für viele Generationen ein Fixpunkt und man musste erst einmal die Geschichten darüber erzählen. Dass wir heute überhaupt darauf blicken können, auf die Zeit davor, hat damit zu tun, dass die anderen Geschichten weitgehend schon erzählt sind. Die andere Sache ist, dass sich in den letzten Jahren auf erschreckende Weise – weltweit, kann man sagen – Muster wiederholen: Die Demokratie ist gefährdet, die Einheit des Westens, das transatlantische Bündnis, also Amerika-Europa. In vielen Ländern Europas gibt es Krisen. Es gab eine Wirtschaftskrise vor vier, fünf Jahren, die wir auch 1929 schon mal hatten.

kinofenster.de: Berlin hat sich seitdem vor allem auch architektonisch sehr verändert und man findet kaum noch Orte, an denen man drehen könnte, ohne etwas verändern zu müssen. Nun lebt die Serie davon, dass darin das Berlin der 1920er-Jahre aufersteht. Wie baut man heute ein historisches Berlin auf?

Tom Tykwer: Wenn man Berlin so durchwandern will, als könnte man einfach die Kamera auf die Schulter hängen und losmarschieren – wie wir uns das vorgenommen hatten –, dann muss man das auch wirklich hier drehen. Dann kann man mit der Produktion nicht nach Prag oder Budapest auswandern, weil dort mehr historische Bausubstanz ist. Hier gibt es halt mehr Unterbrechungen. Jeder, der Berlin kennt, weiß, dass diese Brüche überall sind. Das ist ein Kuddelmuddel aus unterschiedlichen Epochen, was hier architektonisch so versammelt ist. Dann muss man sehr genau die Orte wählen, an denen man dreht, und sie dann ergänzen, verändern, umdekorieren, um das Zeitkolorit zu treffen. Gleichzeitig muss man sich aber auch nicht verpflichtet fühlen, bis ins Detail genau eine Epoche nachzubilden. Wir wollten auch unser Bild dieser Zeit vorstellen. Wir wollten auch eine, wenn man so will, Vision, eine Interpretation der Stadt in dieser Zeit zeigen.

kinofenster.de: Gab es visuelle, filmische Vorbilder?

Henk Handloegten: Es gab sicherlich Einflüsse, die meistens natürlich aus der damaligen Zeit stammen. "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" von Walther Ruttmann (DE 1927), Zum Inhalt: Menschen am Sonntag von Robert Siodmak und Billy Wilder (DE 1930). Zwei ganz unterschiedliche Filme. Und dazwischen Zum Inhalt: Genrefilme, Fritz Lang. Genrefilme scheinen es in Deutschland ja oft schwer zu haben, das war damals aber nicht so. Die Filme von Fritz Lang sind toll in ihrem Erfindungsreichtum, etwa die "Dr. Mabuse" -Filme, aber auch Zum Filmarchiv: "M".

kinofenster.de: Eine große Rolle in der Serie spielt die Musik. Wie sind Sie, Herr Tykwer, da Sie am Soundtrack beteiligt waren, die musikalische Herausforderung angegangen und wie ist der Song Zu Asche, zu Staub entstanden?

Tom Tykwer: Es gab den Wunsch, der sich durch alle Gewerke zog, etwas zu machen, das sich nicht nach Rekonstruktion anfühlt, sondern nach einer Art "Neuerfindung". Dass man sich einer bestimmten Epoche zwar verpflichtet fühlt, aber sie auch mit den Augen von heute erzählen möchte. Das galt sowohl für die Bildebene als auch für den Ton (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design) und die Zum Inhalt: Musik. Der Soundtrack hat zum Beispiel ganz viele elektronische Momente, er wirkt manchmal durchaus modern und nimmt sich die Freiheit, auszubrechen aus den Konventionen, die wir kennen, wenn wir Musik aus den 1920er-Jahren hören. Wenn man sich überlegt, wie experimentell die Zeit war und was da alles in der Kunst und in fast allen kulturellen Bereichen ausprobiert wurde, kann man davon ausgehen, dass möglicherweise so weit in die Zukunft gegriffen wurde. Vielleicht gab es ähnliche musikalische Experimente, die aber keiner gehört hat, weil sie einfach nur in irgendeinem Kabuff mal liefen. Insbesondere für den Song Zu Asche, zu Staub haben wir uns herausgenommen, auch die 1970er- und die 1990er-Jahre spüren zu wollen. Wir setzen die Instrumente ganz klar in den 1920er-Jahren an, eine Big Band spielt den Song, aber zu einem gewissen Anteil könnte es auch ein Hit aus den 1970ern oder 1990ern sein.

Ausschnitt aus dem Song "Zu Asche, zu Staub":
Es ist doch nur ein Traum / das bloße Haschen nach dem Wind / Wer weiß es schon genau? / Du bist dem Tod so nah / und doch dein Blick so klar / erkenne mich / ich bin bereit / und such mir die Unsterblichkeit …

Achim von Borries: Wir haben übrigens immer versucht, Anknüpfungspunkte in der Gegenwart zu finden für unsere Erzählung. Einfach, damit wir uns sicherer fühlen in dem, was wir erzählen, damit wir aber auch die Zuschauer mitnehmen. Ich glaube, wenn man sich die Serie anguckt, vergisst man relativ bald, oder so hoffe ich es zumindest, dass das vor 90 Jahren spielt.

kinofenster.de: Was können Jugendliche von der Serie mitnehmen oder auch lernen?

Achim von Borries: Vielleicht können sie sich ein Bild machen über die Zeit, das sie stärker emotional berührt als der reine Geschichtsunterricht. So wie Film einen eben immer emotional anspricht. Man versteht quasi subkutan, also wie unter der Oberfläche, Dinge, die sonst sehr kompliziert zu vermitteln sind. Und sie können vielleicht lernen, dass etwas wie Demokratie, dass etwas wie unsere Gesellschaft, unsere funktionierende Gesellschaft, nichts Gottgegebenes ist, sondern dass es sie zu verteidigen gilt, und zwar mit allen Zähnen und mit allen Waffen, die es gibt. Es ist die beste Gesellschaft, die wir je hatten.

Henk Handloegten: Ich habe als Jugendlicher immer gedacht, je länger etwas her ist, desto musealer oder verstaubter ist es. Aber gerade, wenn man sich als junge Frau heute unsere Serie anguckt, ist es doch absolut erstaunlich, dass die Frauen vor 90 Jahren viel selbstbestimmter leben konnten als vor 60 Jahren, also in den 1950er-Jahren. Die Geschichte ist nicht so, dass sie chronologisch verläuft. Es kann immer wieder Einbrüche geben und insofern hat Achim völlig recht: Man muss wachsam sein.

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