Kategorie: Filmbesprechung
"Treasure – Familie ist ein fremdes Land"
Treasure
Tragikomisches Roadmovie über den Holocaust als transgenerationelles Trauma
Unterrichtsfächer
Thema
Die US-amerikanische Journalistin Ruth fliegt 1991 mit ihrem Vater, dem Holocaust-Überlebenden Edek, in sein Geburtsland Polen. Die Reise führt sie quer durch das postsozialistische Land: von Warschau über Lodz nach Krakau und zur Gedenkstätte des ehemaligen deutschen KZs und Vernichtungslagers Auschwitz. Ruth will sich dem Familientrauma stellen und die Orte kennenlernen, an denen ihre Eltern einst lebten. Das Schweigen ihres Vaters lastet auf ihr. Ruths schwierige psychische Verfassung spiegelt sich in unkontrollierten Essattacken wider. Abends liegt sie im Bett und liest Nazipropaganda, heimlich hat sie sich die Häftlingsnummer ihres Vaters tätowiert. Dieser hat dagegen kein Interesse, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ruths Reiseprogramm erduldet er nur widerwillig, stattdessen vergnügt er sich an den Hotelbars. Die Situation spitzt sich zu, als beide Edeks elterliche Wohnung aufsuchen und entdecken, dass die neuen Bewohner/-innen sich Gegenstände aus dem Familienbesitz angeeignet haben.
"Treasure " basiert auf dem autobiografischen Roman Too Many Men (1999) der australisch-US-amerikanischen Schriftstellerin Lily Brett, der von Julia von Heinz recht frei Zum Inhalt: adaptiert wurde. So verzichtet von Heinz auf den im Buch von der Protagonistin imaginierten Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Auch ist die Darstellung des Antisemitismus in Polen abgeschwächt, dennoch bleibt das Thema präsent: Edek begleitet seine Tochter nur zu ihrem Schutz, weil er vor dem Hintergrund des Pogroms von Kielce (1946) glaubt, Polen sei nicht sicher für Jüdinnen und Juden. Und die polnische Familie in Edeks Elternhaus versucht, aus dem übernommenen Besitz Profit zu ziehen. Als Zum Inhalt: Roadmovie erinnert Treasure an "Alles ist erleuchtet" ("Everything is Illuminated" , Liev Schreiber, USA 2005), ist jedoch visuell im Gegensatz zum älteren Film durch entsättigte Farben (Glossar: Zum Inhalt: Farbgebung) geprägt. So entsteht der Eindruck, als lägen die Schatten der Vergangenheit gleichermaßen auf Vater und Tochter wie auf dem Land, in dem sie sich bewegen. Die schnelle Abfolge der Handlungsorte (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) kontrastiert eine ruhig geführte Kamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen). Der Wechsel von Nahaufnahmen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) der Protagonist/-innen auf Totalen und Panoramen vermittelt dabei die schwierige Beziehung von Edek und Ruth, ihre Sehnsucht nach Nähe und die Distanz zwischen ihnen.
Polen hatte vor dem deutschen Überfall 1939 einen der höchsten jüdischen Bevölkerungsanteile der Welt. Im Geschichtsunterricht kann ausgehend von "Treasure" die jüdische Geschichte Mittel- und Osteuropas thematisiert werden. Die Schüler/-innen können die sukzessive Entrechtung und Verfolgung nachzeichnen und sich dabei an den Stationen des Films orientieren: das zivile Leben in Warschau, die Ghettoisierung in Lodz, schließlich der Massenmord in den deutschen Vernichtungslagern. Im Fach Psychologie bietet der Film Anlass, das Thema transgenerationale Traumata zu behandeln: Wie wirken der Holocaust, aber auch andere Gewalterfahrungen in der Psyche von Nachfahr/-innen fort? Im Deutschunterricht können literarische Vorlage und filmische Umsetzung ausschnittsweise verglichen werden: Wie wird anhand von Familiengeschichte Welt- und Zeitgeschichte erzählt? Welche Rolle spielen dabei die oben genannten filmästhetischen Mittel? Im Ethikunterricht kann schließlich das Thema Restitution diskutiert werden: Wie sähe ein angemessener Umgang mit geraubtem jüdischen Familienbesitz aus?