Nur wenige Dokumente belegen das Schicksal afroamerikanischer Sklaven/innen auf den Plantagen der amerikanischen Südstaaten im 19. Jahrhundert. Solomon Northups Tatsachenbericht "12 Years a Slave" , 1853 erstmals erschienen, ist geradezu einzigartig: Northup war ein freier Mann, als er entführt und in die Sklaverei verkauft wurde. Auf der detaillierten Schilderung seines zwölfjährigen Martyriums beruht der erschütternde Film des britischen Regisseurs Steve McQueen.

Vom freien Mann zum Sklaven

Foto: TOBIS Film

Saratoga im Staat New York, 1841. Im sklavenfreien Norden führt der verheiratete Familienvater Solomon Northup ein bürgerliches Leben. Als talentierter Violinist nennt er einige Honoratioren der Stadt seine Freunde. Als ihn zwei freundliche Schausteller mit der Aussicht auf ein lukratives Engagement nach Washington locken, ahnt er nichts Böses. Am nächsten Morgen erwacht er jedoch in Ketten. Unter Drohungen und Schlägen nach New Orleans verschleppt, hat sein Alptraum erst begonnen. Erste Station ist der dortige Sklavenmarkt.

Ein Leben unter der Peitsche

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Die Gegensätze könnten nicht größer sein: In den Hinterzimmern der feinen Gesellschaft werden Menschen wie Vieh gehandelt, weinende Mütter von ihren Kindern getrennt, ihre Würde und Persönlichkeit mit Füßen getreten. Solomon erhält den Namen "Platt", als Zeichen seiner Rechtlosigkeit. Sein erster Besitzer ist der Baptistenprediger Ford, ein gutmütiger Mann, der jedoch nichts gegen die Misshandlungen seines Aufsehers Tibeats – laut literarischer Vorlage Northups zweiter Besitzer – unternimmt. Erst nach und nach lernt Solomon Northup, seinen Stolz zu unterdrücken, seine Talente zu verheimlichen, um dessen Jähzorn zu entgehen. Nur als auszubeutende Arbeitskraft erfüllen die Sklaven/innen ihren Wert; Lesen und Schreiben, selbst nützliches Ingenieurswissen wird mit der Peitsche bestraft. Auf der Plantage seines nächsten Besitzers, Edwin Epps, wirken auch solche Überlebensstrategien nicht mehr: Der sadistische "Master" nutzt die Peitsche zur täglichen Disziplinierung, oft aus reiner Willkür. Seine beste Baumwollpflückerin Patsey ist dem fanatischen Rassisten zudem auch sexuell ausgeliefert. Ihr Leiden wird so unerträglich, dass sie Solomon vergeblich anfleht, sie umzubringen.

Eindringliche Bilder ohne Voyeurismus

Foto: TOBIS Film

Regisseur McQueen, vor seiner Filmkarriere als bildender Künstler tätig, inszeniert die bedrückende Erzählung so naturalistisch wie nüchtern. Mit zurückhaltender Musikuntermalung (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik), aber ohne überzeichnete Effekte stellt er das persönliche Erleben der Sklaven/innen in den Vordergrund. Kurze Momente poetischer Naturbetrachtung – die herrliche Landschaft bildet einen schmerzhaften Kontrast – erweisen sich stets als trügerisch. In einer insgesamt exzellenten Bildgestaltung, die vor drastischen und brutalen Darstellungen nicht zurückschreckt, sind zwei besonders lange Einstellungen bemerkenswert: In der ersten ringt der von Tibeats an einem Baum aufgeknüpfte Solomon um sein Leben, während der Alltag um ihn herum seinen gewohnten Gang geht. Erst nach Stunden wird er von seiner Qual erlöst. In der zweiten wird Solomon von Epps gezwungen, Patsey auszupeitschen. In zwei Kreisbewegungen (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) erfasst die Kamera die beteiligten Personen und den Tumult ihrer unterschiedlichen Motivationen. Es ist die Szene, in der Solomons Dilemma zwischen notwendiger Anpassung und dem Verlust seiner Seele am deutlichsten wird. Doch hier wie dort gelingt dem Regisseur das fast Unmögliche: Er zwingt das Publikum zuzusehen und das Leiden der Entrechteten nachzuvollziehen, ohne sich voyeuristisch zu ergötzen.

Filme über Sklaverei

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Filme zur Sklaverei, ein Thema zwischen Trauma und Tabu, hatten es in den USA lange schwer. Zwar gelang der Fernsehserie "Roots" (USA 1977) die Schaffung eines ersten öffentlichen Bewusstseins. Doch weitere Auseinandersetzungen wie Steven Spielbergs "Amistad " (USA 1997) blieben Einzelanstrengungen. Erst in jüngster Zeit drang das Thema mit Filmen wie "Lincoln" (Steven Spielberg, USA 2012) und "Der Butler (The Butler" , Lee Daniels, USA 2013) verstärkt in den Vordergrund. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr dabei "Django Unchained" (USA 2012) von Quentin Tarantino. Mit seinem actionreichen "Sklavenwestern" schuf er ein Stück Unterhaltungskino, das zu McQueens Film Parallelen aufweist, in der Machart aber kaum unterschiedlicher sein könnte.

Ein problematisches Happy End?

"12 Years a Slave" , in seiner historischen Gewissenhaftigkeit frei von Kitsch oder Lust an der Gewalt, könnte aus anderen Gründen aber als problematisch angesehen werden. Solomon Northup wird befreit und schließt im letzten Bild seine Familie in die Arme. Wie der Titel schon andeutet, erfährt er eine Erlösung, die Millionen Schicksalsgenossen/innen verwehrt blieb. Den Film "60 Years a Slave" hingegen werde man so bald nicht sehen, schrieb ein US-Kritiker. Tatsächlich macht es sein besonderer Fall dem Publikum leichter, die Geschichte zu verkraften. Doch McQueen, der Northups Bericht mit dem Tagebuch der Anne Frank vergleicht, will die Geschichte keineswegs schönen. Gerade der bittere Kontrast zwischen einem Leben in Freiheit und dem Grauen der Sklaverei öffnet auch die Augen. Die Sklaverei ist eben kein Schicksal, sie ist nicht wie in früheren Filmen – man denke etwa an "Vom Winde verweht" ("Gone by the Wind" , Victor Fleming, George Cukor, USA 1939) – einfach gegeben: Sie ist ein Verbrechen an der Menschheit. Solomon Northups Bericht, beeindruckendes Dokument seines Lebenswillens und freien Geists, wurde – bevor es in Vergessenheit geriet - eine wichtige Streitschrift im Kampf gegen die Sklaverei. Weil er als schwarzer Mann auch im freien New York nicht aussagen durfte, wurden seine Entführer nie belangt.

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