Er ist brutal und blutig, ein Schrecken für die einen, ein lohnendes Geschäft für die anderen. Er fordert Menschenleben und befördert manche der Überlebenden zu Helden. Der Krieg ist, spätestens seit Vietnam, nicht zuletzt auch ein mediales Ereignis. Aus der ganzen Welt fluten die Bilder von Leichen, Verwundeten, Versehrten aus dem Fernseher. Gewalt wird zur Unterhaltung, Leid zum Quotengaranten, Krieg zum Abbild seiner selbst. Nur den Beteiligten, so absurd das klingen mag, fehlen mitunter die persönlichen Bilder. Weil sie überlagert werden von den medienproduzierten "Images", oder einfach weil sie verdrängt werden von einer Psyche, die sich selbst schützen muss. Das kann Opfern ebenso geschehen wie Täter/-innen.

Das geschah auch Ari Folman, Regisseur und ehemaliger Wehrdienstpflichtiger in der israelischen Armee zur Zeit des ersten Libanonkrieges 1982. Filmisch begibt sich Folman nun auf eine Reise in seine verschüttete Erinnerung an eine lange zurückliegende Zeit. Die autobiografische Spurensuche, ein durchaus konventioneller dokumentarischer Ansatz, wird allerdings durch die innovative ästhetische Umsetzung neu aufgewertet und bereichert: "Waltz with Bashir" ist ein gezeichneter Zum Inhalt: Dokumentarfilm und damit wahrscheinlich der erste lange animierte Dokumentarfilm der Filmgeschichte.

Wiederkehrende Albträume

Der Film beginnt mit einer Traumsequenz. Hunde hetzen durch die nächtlichen Straßen und versammeln sich unter einem Balkon, Speichel tropft von ihren Lefzen. Ein Horror, ein immer wieder kehrender Albtraum, den ein Freund Folman erzählt. Die Hunde, die ihn im Schlaf verfolgen, sind die Hunde, die er im Libanonkrieg 1982 erschießen musste, wenn seine Einheit ein Dorf einnahm. Nun erinnert sich auch Folman an einen wiederkehrenden Traum von jenem Krieg, den er als 19-jähriger Sergeant der Infanterie erlebte: Die Maschinenpistolen im Anschlag steigt er gemeinsam mit anderen Soldaten nackt aus dem Meer. Vor ihnen, ahnt er, muss Schreckliches liegen. Doch die Erinnerung daran, stellt er im Gespräch mit dem Freund fest, gibt das Traumbild nicht frei. In Gesprächen mit ehemaligen Kameraden, Vorgesetzten und einem Kriegsberichterstatter begibt er sich auf die Suche nach dem Verdrängten. Langsam kehren die Bilder zurück, setzt sich die Erinnerung aus immer neuen Bruchstücken zusammen, bis er zu dem eigentlichen Kern vorstößt: seiner Nebenrolle bei dem berüchtigten Massaker in den im Libanon gelegenen palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila.

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Verbrechen der Vergangenheit

Folman hat "Waltz with Bashir" für ein israelisches Publikum gedreht, zudem liegt sein Augenmerk auf dem persönlichen Vorgang des Verdrängens und Wieder-Erinnerns. Der Film verzichtet deshalb auf eine ausführliche Darstellung der politischen und historischen Hintergründe. Der Feldzug in den Libanon von 1982 ist ein prägendes, wenn nicht traumatisches Ereignis in der Geschichte Israels. Als die israelischen Truppen am 6.Juni 1982 unter dem Kommando des damaligen Verteidigungsministers Ariel Sharon die Grenzen zum Nachbarland im Norden überschreiten, um die von dort operierende Palästinensische Befreiungsorganisation PLO zu zerschlagen, erwarten die jungen Soldaten einen schnellen Sieg. Die israelische Armee war es seit dem "Sechstagekrieg" 1967 gewohnt, die Auseinandersetzungen mit den arabischen Nachbarn rasch und ohne große Verluste zu gewinnen. Doch dieser Krieg wird grausamer und länger als erwartet und kulminiert in dem Massaker von Sabra und Shatila, das bis heute die Geschichte der israelischen Armee überschattet.

Während der Belagerung Beiruts richten libanesische Milizionäre zwei Tage lang, vom 16. bis 18. September 1982, in den palästinensischen Flüchtlingslagern ein Blutbad an. Dem vorausgegangen war die Ermordung des pro-israelischen libanesischen Präsidenten Béchir (Bashir) Gemayel durch ein Bombenattentat, das der PLO angelastete wurde. Diesen historischen Kontext führt Folman nicht weiter aus, greift ihn allerdings im Filmtitel "Waltz with Bashir" auf. Die israelische Armee, um die Lager herum postiert, beobachtet das Morden, illuminiert den Ort des Geschehens noch mit Leuchtraketen, und greift nicht ein. Hunderte, möglicherweise tausende Menschen, darunter unzählige Frauen und Kinder, fallen dem Massaker zum Opfer. Eine israelische Untersuchungskommission wird Ariel Sharon später eine politische Mitverantwortung zuweisen, und er muss 1983 als Verteidigungsminister zurücktreten.

Eine Stimme geben

Folman, der während der vier Jahre währenden Produktion von "Waltz with Bashir" parallel eine Psychotherapie machte, gibt mit seinem Film nun jenen eine Stimme, die den Schrecken, den sie gesehen haben, bis heute so wenig verkraften können wie ihre eigene Untätigkeit. Sein Film ist einerseits die Verarbeitung eines nationalen Traumas, andererseits aber auch eine allgemeingültige Studie psychologischer Spätfolgen von Kriegen. "Die Erinnerung", sagt ein Freund von Folman im Film, "führt uns dahin, wo wir hin müssen." Das heißt: hin zu den verschütteten Erfahrungen, die erst dann verarbeitet werden können, wenn man sich ihnen stellt. Das heißt aber auch: hin zu der Erkenntnis, dass der Staat Israel zugelassen hat, dass unter seinen Augen unschuldige Zivilisten/-innen ermordet wurden.

Erinnerungsbewältigung im Animationsfilm

So schmerzhaft sind diese Erkenntnisse, dass Folman mit Hilfe der Animation eine Distanz schaffen muss. Obwohl weitgehend realistisch gehalten, nimmt der Zum Inhalt: Zeichentrick dem traumatischen Geschehen die Schonungslosigkeit abgefilmter Wirklichkeit. Die animierte Dokumentation hat Folman in einem komplexen Verfahren produziert: Auf der Basis eines ausführlichen Zum Inhalt: Drehbuchs wurde ein Videofilm gedreht, der wiederum die Grundlage für ein detailliertes Storyboard bildete. Davon ausgehend wurden mehr als 2.300 Illustrationen gezeichnet und anschließend animiert. Im Ergebnis hat Folman nun die Möglichkeit, auch Traumsequenzen in Bilder zu fassen, ohne auf Nachstellungen von Zum Inhalt: Szenen zurückgreifen zu müssen, wie es ein herkömmlicher Dokumentarfilm geboten hätte.

Stattdessen kann er den Krieg darstellen als das surreale Ereignis, als das er ihn empfunden hat – und so eine neue Stufe der Wahrhaftigkeit erreichen, fast schon eine Meta-Realität. Er kann die Szenerie von hellem Sonnenlicht überfluten lassen, wenn die jungen Soldaten wohlgemut in den Krieg ziehen oder seinen eigenen Albtraum in unwirkliches Sepia tauchen. Die mit hartem Strich konturierte Animation, das Nebeneinander von Traum und Realität, die konterkarierend eingesetzte Musik – Popsongs der 1980er-Jahre und ein sphärisches Grundmotiv (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) – erzählen, was mit Sprache alleine nicht zu erzählen wäre. Folman kann die Bilder sprechen lassen von Angst und Absurdität. So lange jedenfalls, bis seine Erinnerung am Ende vollständig zurückkehrt. Diesen Einschnitt markiert der Filmemacher mit dem Wechsel des Materials. An die Stelle der Animation treten nun historische Archivaufnahmen (Glossar: Zum Inhalt: Found Footage). Der Schrecken des Krieges kehrt zurück aus der privaten Erinnerung und tritt wieder in unser aller Bewusstsein. Erst in diesem scharfen Kontrast wird das ganze Trauma deutlich, das der Krieg hinterlässt.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.

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