In einer Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) leben die Familien Schneider und Pielcke Tür an Tür. Sie sind gute Nachbarn, aber in vielen Dingen gänzlich verschieden. Das zeigt sich, als bei der Bundestagswahl eine rechtspopulistische Partei überraschend die absolute Mehrheit erringt. Während die Schneiders die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, sieht Familie Pielcke Grund zum Feiern: "Vielleicht werden jetzt mal die ganzen Probleme angepackt!" Die Verhältnisse ändern sich sogar schneller als erwartet.

Über vier Episoden zeigt die Fernsehserie "Deutscher" , wie rechtes Gedankengut salonfähig wird und das Miteinander einer Gesellschaft vergiftet. Nicht auf der großen politischen Bühne, sondern im Alltag normaler Leute werden die Weichen neu gestellt. Auch das Leben der Schneiders und Pielckes bleibt von den politischen Geschehnissen nicht unberührt. Mit einer Mischung aus realistischen und satirischen Elementen entwirft die Serie des Senders ZDFneo, bekannt für satirischen Formate wie etwa das "Neo Magazin Royale" mit Jan Böhmermann und für sein junges Zielpublikum, ein Was-wäre-wenn-Szenario. Ort der Handlung ist eine Durchschnittssiedlung mit gepflegten Vorgärten und betonierten Auffahrten. Ihre augenzwinkernde Stilisierung – das Haus der Pielckes ist blau, das der Schneiders rot (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) – erinnert an die Optik einer Sitcom oder gar der Fernsehwerbung. Die friedvolle Anmutung dieses vertrauten Settings bildet einen wirkungsvollen Kontrast zur Gewalt, die mit dem Fortgang der Handlung Einzug hält.

In der Schule, wo Vater Schneider unterrichtet und die Söhne beider Familien ihr Abitur vorbereiten, gehören rassistische Sprüche bald zum Alltag. Doch dabei bleibt es nicht. Auf das Burger-Restaurant einer türkischstämmigen Familie wird ein Brandanschlag verübt. Als Frau Schneider, die in einer Apotheke angestellt ist, mit ihrem ebenfalls türkischstämmigen Kollegen Burak einen Autounfall verursacht, wird dieser rassistisch beleidigt und zusammengeschlagen. Buraks Krankschreibung nutzt die Apothekerin, um seinen befristeten Arbeitsvertrag nicht zu verlängern: Zuvor hatte sie seine konfrontative Haltung gegenüber einer offen rassistischen Kundin moniert.

Zwischen Zivilcourage und Resignation

In der Reaktion auf diese Vorfälle offenbaren sich die Charaktere. Eva Schneider dringt auf eine Aufklärung des rassistischen Übergriffs und wird dabei zunächst von ihrem Mann unterstützt. Sie hofft auf Polizei und Justiz, die allerdings kein Engagement zeigen. Vielleicht bereits eine Folge der Politik der neuen Regierung? Als Eva einen der Täter wiedererkennt, ausgerechnet auf einer Gartenparty der Pielckes, bittet sie die Nachbarin um dessen Namen. Die "unpolitische" Ulrike Pielcke sieht sich dadurch in einem Loyalitätskonflikt: Ihr Mann würde seinen kleinen Installationsbetrieb gerne vergrößern. Kellenberg, ein Unternehmer, der ihn dabei unterstützt, ist Arbeitgeber des mutmaßlichen Täters. Die rechtsnationalen Ansichten von Kellenberg sind Frank Pielcke zwar etwas zu großkotzig, und Gewalt lehnt er ab, doch "Türken" betrachtet er nicht als "echte" Deutsche und im Übrigen solle man solche Zwischenfälle nicht allzu hoch hängen. Mit zunehmender Eskalation des Streits beginnt auch Evas Mann Christoph zu schwanken. An seiner Schule, wo neuerdings muslimische Schüler/-innen getrennt unterrichtet werden sollen, hat er genug Probleme.

Eine besondere Rolle in den immer komplexeren Verwicklungen spielen die befreundeten Söhne David und Marvin. Marvin Pielcke will es sich mit seinen rechten Freunden nicht verscherzen, als unter ihnen der Täter des Brandanschlags vermutet wird. David Schneider ist mit Cansu Oktay, der Tochter des Restaurantbesitzers zusammen. Doch statt sich für die Aufklärung des Anschlags stark zu machen, zieht er sich, mit einer überraschenden Mischung aus Desinteresse und Sorglosigkeit, zurück. Er ist die moralischen Belehrungen seiner Eltern offenbar leid und von zu viel Verantwortung überfordert. Wie viele der handelnden Figuren bemerkt er die realen Folgen der neuen Verhältnisse erst, als es zu spät ist.

Stille Akzeptanz rechter Positionen

"Deutscher" nutzt das TV-Miniserienformat für eine genaue Charakterzeichnung, in der sich bewusste Stereotype mit Ambivalenzen mischen. Die Konflikte ziehen sich mitten durch die Familien, die Sympathien sind weniger klar verteilt, als es scheint. Hat der freundliche Handwerker Pielcke ("Hallöchen!") nicht recht mit mancher Spitze gegen das "Gutmenschengelaber" der Schneiders? Doch auf eben diese stille Akzeptanz rechter Positionen macht der Vierteiler pointiert aufmerksam. Vom provokanten Spruch zum offenen Rassismus, Hetze in den sozialen Medien und der Bagatellisierung von Hasskriminalität ist es in einer polarisierten Gesellschaft nur ein kleiner Schritt. Lange gehegte Ressentiments entfalten ihre Wirkung, sicher geglaubte Überzeugungen weichen der Gleichgültigkeit. "Die gewinnen, Tag für Tag gewinnen die!", sagt Burak. Doch die Menschen mit Migrationshintergrund spielen in dieser Geschichte von Deutschen, die sich doch noch etwas "deutscher" wähnen, nur eine Nebenrolle.

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