Kategorie: Interview
"Die rechtsextreme Szene in Deutschland hat sich verändert"
Ein Gespräch mit dem Berliner Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke über die Taten des NSU und zum Rechtsterrorismus in Deutschland.
Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke ist Politikwissenschaftler und Experte für innere Sicherheit und politischen Extremismus. Er lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement. Von 2002 bis 2007 leitete er den Fachbereich der Rechts- und Sozialwissenschaften an der Deutschen Hochschule der Polizei.
Beim Oktoberfest-Attentat und auch bei den Morden des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) reden wir von terroristischen Taten. Wie grenzen sie sich ab von anderen Formen der politischen Gewalt?
In Bezug auf den NSU und den Oktoberfest-Anschlag von Terrorismus zu sprechen, finde ich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive problematisch. Beim Terrorismus handelt es sich um politisch motivierte Anschläge, um Empörung zu erzeugen, um das politische System zu provozieren. Dazu gehört unbedingt Öffentlichkeitsarbeit. Beim NSU tauchte erst fünf Jahre nach dem letzten Mord ein Bekennervideo auf. Auch beim Oktoberfest-Anschlag gab es kein Bekennerschreiben oder andere klassische Öffentlichkeitsarbeit wie beim Terrorismus üblich. Insofern müssen wir vorsichtig sein mit der Verwendung des Begriffs Rechtsterrorismus, auch wenn er sich vor allem durch die Verwendung von Medien, Politikern, aber auch Fachwissenschaftlern durchgesetzt hat. Im Gegensatz dazu steht dann allerdings die strafrechtliche Definition nach §129a und b im Strafgesetzbuch, die Terrorismus weiter fasst, und zwar im Sinne der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Darauf bezieht sich auch die Anklage der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess.
Welche Bezeichnung wäre aus Ihrer Sicht für die erwähnten Taten treffender?
Rechtsextreme Militanz, also Gewaltbereitschaft. Damit schließt man nicht nur terroristische Taten, sondern auch andere Formen der Gewalt von rechts mit ein, etwa Brandanschläge, Körperverletzung oder auch Steinwürfe auf Flüchtlingsunterkünfte.
Wie haben sich rechtsextreme Gewalttaten in der Nachkriegszeit entwickelt?
Politische Gewalt von rechts entwickelt sich im Nachkriegsdeutschland seit den 1970er-Jahren. Ursprünglich sind solche Taten auf ihre große provokative Kraft zurückzuführen. Die Verwendung des Hakenkreuzes oder ähnlicher Symbolik weckt insbesondere in Deutschland die Erinnerung an den Nationalsozialismus und die unverarbeitete Geschichte. Das haben die Täter bewusst ausgenutzt, bevor die rechtsextreme Militanz dann Bestandteil einer Jugendkultur wurde, nämlich bei den Skinheads der 1980er-Jahre.
Ist aktuell – man denke an die "Identitäre Bewegung" oder rechtspopulistische Bewegungen – eine Veränderung der rechtsextremen Szene in Deutschland zu erkennen?
Die rechtsextreme Szene in Deutschland hat sich verändert, indem populistische Ausprägungen – die Alternative für Deutschland (AfD), Pegida und deren Umfeld – entstanden sind. Die AfD kommt aus der bürgerlichen Mitte, entwickelt aber eine magnetische Wirkung auf die rechtsextreme Szene, was daran zu erkennen ist, dass es nun einige Mandatsträger in Bund und Ländern mit rechtsextremer Vergangenheit gibt. Auch Gewalt von rechts ist weiterhin ein Thema: So ist die Anschlagszahl gegen Flüchtlingsheime weiterhin hoch. Laut Bundeskriminalamt wurden 2017 allein bis Ende September 211 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Asylbewerberheime verübt. Die meisten von ihnen werden Tätern mit einem rechtsextremen Hintergrund zugeordnet.
Auch die Reichsbürgerbewegung ist zunehmend medial präsent. Ist das eine neue Entwicklung in der rechten Szene?
Die Reichsbürgerbewegung ist kein neues Phänomen. Die Reichsidee selber, also das Fortbestehen des Deutschen Reiches, wurde schon in der rechtsextremen Szene nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gepflegt und hat diese über Jahrzehnte zusammengehalten. Dass diese Idee heute noch verbreitet wird, hat derzeit vor allem mit dem Anwachsen von Verschwörungstheorien von rechts außen zu tun.
In den Filmen zum NSU und dem Oktoberfest-Attentat spielt die Arbeit der Sicherheitsbehörden eine große Rolle. In beiden Fällen sind die Ermittler lange nicht von politisch motivierter Gewalt als Tatmotiv ausgegangen. Ist man in Deutschland gehemmt, Terror von rechts als Tatmotiv zu nennen?
Es gab jahrzehntelang ein Vertuschen, Verharmlosen oder Umdeuten als Einzeltat. Das hat in Deutschland Tradition bis in die 1990er-Jahre. Dann wurde durch verschiedene Anschläge – etwa in Rostock, Hoyerswerda oder auch Solingen – deutlich, dass es eine strukturierte rechtsextreme militante Szene gibt, insbesondere in den neuen Bundesländern. Das erhöhte die Aufmerksamkeit bei Verfassungsschutz und Polizei. Aber es ist durch die Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern bekannt, dass im Falle NSU die Sicherheitsbehörden systematisch versagt haben, insbesondere weil sie einen falschen Tatverdacht genährt und darüber hinaus schlecht kooperiert haben. Die Sicherheitsbehörden im Jahr 2017 sind allerdings wesentlich sensibler geworden gegenüber der Gewalt von rechts.
Auch die Rolle von V-Leuten bei der Aufarbeitung rechter Gewalttaten wird immer wieder kritisiert.
Es ist schwer nachvollziehbar, dass Steuergeld an V-Leute in militanten rechtsextremen Gruppen fließt, damit diese politisch aktiv sein können. Andererseits sind V-Leute ein wichtiges geheimdienstliches Instrument bei der Aufdeckung geplanter schwerer Straftaten. Aber wir brauchen eine bessere, sehr entschiedene und offensive parlamentarische Kontrolle dieser geheimdienstlichen Vorgänge. Als Konsequenz der Kritik und Fehler, die im NSU-Untersuchungsausschuss aufgedeckt wurden, verwendet der Verfassungsschutz Thüringen keine V-Leute mehr.
Die filmische Darstellung von Rechtsextremismus hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Wie hat sich die Medialisierung solcher Taten entwickelt?
In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es eine Reihe von Zum Inhalt: Dokumentarfilmen als Instrument der Aufklärung und Anklage gegen das Fortwirken des Nationalsozialismus. Dass das Format des Spielfilms jetzt zunehmend aufgegriffen wird, kann man auf klar benennbare Opferfiguren zurückführen, die sich eher für fiktionale Stoffe anbieten. Diese Opferperspektive spielt heute eine wesentlich größere Rolle.
Ist es denn angemessen, solche Taten fiktionalisiert darzustellen?
Die filmische Darstellung ist ein sehr sinnvolles und gutes Mittel, um insbesondere nachfolgende Generationen mit diesem Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte vertraut zu machen. Dass viele junge Menschen heute noch großes Interesse an der RAF der 1970er-Jahre zeigen, führe ich auf die starke Fiktionalisierung dieser Gruppe zurück. Doch die Fiktionalität muss bei solchen nicht-dokumentarischen Filmen als solche immer klar erkennbar sein.
Weiterführende Links
- External Link bpb.de: Dossier Rechtsextremismus
- External Link Bundesministerium des Innern: Rechtsextremismus
- External Link bpb.de: Aus Politik und Zeitgeschichte: Rechtsextremismus
- External Link bpb.de: Zwischen Verschwörungsmythen, Esoterik und Holocaustleugnung – die Reichsideologie
- External Link bpb.de: Der NSU und die Medienberichterstattung
- External Link bpb.de: Die Identitären – mehr als nur ein Internet-Phänomen