Die DDR, Anfang November 1989. Während in den Städten Tausende gegen die SED-Regierung demonstrieren, scheint in dem kleinen Dorf Malkow alles beim Alten. Hier lebt die zehnjährige Friederike, die einmal Kosmonautin werden will. Das Mädchen ist wie ihre Freunde Fabian und Jonathan begeisterte Anhängerin der West-TV-Serie "Raumschiff Interspace". Ihre freie Zeit verbringen die drei Kinder meist in ihrem Geheimlabor, wo sie an einem Teleporter bauen, mit dem sie ihren "Captain", Rikes nach Westberlin ausgereisten Onkel Mike, "zurückbeamen" wollen. Denn sie glauben, dass sie nur mit seiner Hilfe ihren Traum – den Bau eines "Sputnik" (so hießen die ersten sowjetischen Satelliten) verwirklichen können. Gefährdet wird das Vorhaben vom Abschnittsbevollmächtigten Mauder, dem Rike aufgrund ihrer Unangepasstheit verdächtig ist. Doch auch der Volkspolizist kann die jungen Erfinder nicht aufhalten und so geht die Maschine am 9. November an den Start – mit ungeahnten Folgen: Denn statt Rike zur Abholung ihres Onkels nach Westberlin zu beamen, hat der Apparat offenbar die Erwachsenen aus Malkow teleportiert – und zwar ausgerechnet an die Berliner Mauer! Beim Versuch der Kinder, sie aus der Gefahrenzone zu retten, geschieht das Unglaubliche: Die Beam-Strahlen lösen den Mauerfall aus.

Der Mauerfall aus Kinderperspektive

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Markus Dietrich ist mit seinem Spielfilmdebüt "Sputnik" ein spannendes Kinderfilmabenteuer mit Science-Fiction-Anspielungen gelungen, das zugleich ein komplexes Stimmungsbild der Endphase der DDR entwirft. Mit seiner jungen Heldin als Zum Inhalt: Ich-Erzählerin schildert der Film die Wendezeit aus der Distanz der ländlichen Peripherie und mit den Augen eines Kindes, das hinter die Fassaden der Erwachsenenwelt blickt. Dabei vermittelt "Sputnik" anschaulich, warum sich DDR-Bürger/innen für oder auch gegen eine Ausreise in den Westen entschieden haben und welche existenzielle Tragweite ein solcher Entschluss hatte.

Ein Dorf als Abbild der DDR

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Das Filmgeschehen spielt sich fast vollständig in dem fiktiven Dorf Malkow ab, dessen Bewohner/innen als Figuren so angelegt sind, dass sie typische Haltungen gegenüber dem SED-Staat in exemplarischer Weise aufzeigen. So erscheint Malkow wie eine Miniatur-DDR. Dass dieser Ansatz nicht didaktisierend ist, liegt einerseits an der vitalen Inszenierung des Alltagslebens zwischen Dorfkonsum und Kneipe, zu der die authentisch wirkende Zum Inhalt: Ausstattung entscheidend beiträgt, aber ebenso an den amüsanten Auftritten von Schauspielern wie Andreas Schmidt in der Rolle des sympathisch umtriebigen Konsum-Betreibers und Devid Striesow, der den dienstbeflissenen Volkspolizisten Mauder augenzwinkernd als Filmbösewicht überzeichnet.

Rückzug ins Private

Das Dorf Malkow symbolisiert eine erstarrte Gesellschaft, die ihren Bürgern/innen keine Perspektiven bietet. Die Menschen im Dorf haben sich sichtbar ins Private zurückgezogen. Auffällig viele Szenen spielen in Zum Inhalt: dunklen Innenräumen, denen die Kamera eine oft beklemmende Wirkung verleiht. Das breite Zum Inhalt: Cinemascope-Format und die flache Schärfentiefe machen die Enge der Verhältnisse greifbar und lassen die Erwachsenen mitunter regelrecht lethargisch erscheinen. Zugleich vermitteln die Bilder ein Gefühl des Heimlichen, was erahnen lässt, dass der Rückzug in die eigenen vier Wände auch der staatlichen Überwachung geschuldet ist. Das Kollektiv findet nur mehr beim Bier in der Gaststätte zusammen. Das zugeprostete "Freundschaft!" wirkt dabei ironisch, allein der Abschnittsbevollmächtigte Mauder und die Lehrkräfte in der Schule tragen die sozialistischen Parolen im Brustton der Überzeugung vor. Mauders Identifikation mit dem System erscheint umso skurriler, da sie im Widerspruch zur allgemeinen Tristesse steht, die der Film stimmungsvoll einfängt.

Erwachsene und Kinder

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Dem Opportunismus und der Resignation der meisten Erwachsenen setzen Rike und ihre Freunde Willenstärke und Kreativität entgegen. Der Erfolg ihrer Beam-Maschine versinnbildlicht, dass es sich lohnt, für seine Träume zu kämpfen und dass sich mit Einfallsreichtum und Mut die Welt verändern lässt - und nicht zuletzt mit vereinten Kräften, denn sie finden schließlich sogar in ihrem Mitschüler Oliver einen Verbündeten, der ihnen anfangs noch feindselig gegenübersteht. Das Geheimprojekt der Kindergemeinschaft charakterisiert der Film zu keiner Zeit als Flucht vor einer tristen Wirklichkeit. Schon die schwungvolle Anfangssequenz, in der sie gemeinsam mit Mike versuchen, den Satelliten mit Hilfe eines Ballons aufsteigen zu lassen, zeigt, dass es den Kindern darum geht, ihr Lebensumfeld mitzugestalten. In den Westen zu gehen, ist folglich zumindest für Rike – im Gegensatz zu ihrer Mutter – keine Option. Während das Mädchen noch an die Möglichkeit von gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR glaubt, haben die Erwachsenen angesichts deprimierender Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus längst resigniert.

Gegenentwürfe

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Während die Erwachsenen größtenteils in ihrem monotonen Alltag verharren, agieren die Kinder in einem Labor, das wie ein aufregender Gegenentwurf in Szene gesetzt ist: eine selbst geschaffene und damit auch selbst verantwortete Welt voll von technischen Apparaturen, die Dampf und Blitze freisetzen. Diese Welt steht ebenso für die freie Entfaltung der Fantasie, wie für die Neugierde und die Lust, in unbekannte Dimensionen vorzustoßen. Bezeichnend freilich ist, dass der eigentliche Triumph der Freunde letztlich nicht darin besteht, dass ihr Teleporter funktioniert, sondern vielmehr darin, dass – zumindest aus Sicht der Kinder – dank ihres Engagements die Dorfbewohner/innen aus ihrer Lethargie erwachen und den Ort wieder in Besitz nehmen: In einer Zum Inhalt: Plansequenz vereint der Abspann Kinder und Erwachsene, die am 9. November euphorisiert durchs sonnige Malkow ziehen. Auf der Tonspur läuft dazu der alte Ostrock-Song "Apfeltraum" von Renft. Die Freiheitssehnsucht, die in der Zum Inhalt: Musik zum Ausdruck kommt, findet im Happy End des Films ihre Erfüllung.

Anregung zum Nachfragen

Historische Bild- und Tondokumente werden in "Sputnik" ansonsten nur äußerst sparsam verwendet. Als zum Finale Günter Schabowskis berühmte Pressekonferenz im Fernsehen zu sehen ist, kommen die entscheidenden Aussagen des Funktionärs, der das Ende des Ausreiseverbots verkündet, nicht vor. Die Bedeutung der TV-Übertragung erschließt sich so weder Rike und ihren Freunden, die sich ihren eigenen Reim auf die Vorkommnisse machen, noch den jungen Adressaten des Films. Das Beispiel zeigt, dass die Filmemacher nicht darauf abzielen, ihrem jungen Publikum abschließende Erklärungen zu den Ereignissen zu liefen. Stattdessen animiert "Sputnik" seine Zuschauer/innen dazu, nachzufragen. Darin und in seiner humorvollen Leichtigkeit liegen die besonderen Qualitäten des Films.

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