Ein deutsches Filmteam dreht im Nordosten der Türkei (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) einen Zum Inhalt: Dokumentarfilm über vom Geheimdienst verschleppte Kurd/-innen sowie deren Angehörige, die das Andenken bewahren und die Schuldigen benennen. Frage dabei ist, welche Rituale und Erzählungen Menschen entwickeln, um an geschehenes Unrecht zu erinnern. Was wie ein politisch engagiertes Sozialdrama über transgenerationale Traumata und das Leben der Kurd/-innen "im toten Winkel" der Türkei beginnt, wird im zweiten Kapitel zu einem geheimnisvollen Zum Inhalt: Thriller. Gleichzeitig wandert der Fokus vom deutschen Filmteam zur kurdischen Dolmetscherin Leyla und ihrer kleinen Nachbarin Melek, einem stillen Mädchen, das Geister zu sehen scheint. Nach und nach wird offenbar, wie stark die einzelnen Geschichten miteinander verwoben sind. Im dritten Kapitel rückt schließlich Meleks Vater Zafer – der als Mitglied des türkischen JİTEM-Geheimdienstes Oppositionelle entführt, an deren Ermordung beteiligt ist und das Filmteam beschattet – in den Mittelpunkt und verstrickt sich hoffnungslos im Dickicht von Angst, Gewalt und Schuld.

Ayşe Polats Film ist subtil gebaut und entschlüsselt erst nach und nach die Zusammenhänge. Wiederkehrende Themen sind das Sehen und Gesehen-Werden, die Paranoia im titelgebenden toten Winkel eines Landes und damit Geschehnisse, die für die Welt unsichtbar bleiben. In jedem der drei Kapitel wird eine neue Erzählperspektive eingenommen. Weil die Geschichte außerdem in Ellipsen (Glossar: Zum Inhalt: Elliptische Struktur) strukturiert ist und Zum Inhalt: Szenen – jeweils aus einem anderen Blickwinkel erzählt – mehrmals auftauchen, verändert sich die Interpretation des Zum Inhalt: Plots ständig. Von Beginn an steht die Bildproduktion im Fokus, wenn beim Dokumentarfilmdreh immer wieder "authentische" Bilder für die Kamera eingerichtet werden oder Zafer Handyaufnahmen zur Einschüchterung wie zur Beweissicherung nutzt. Im dritten Kapitel vermitteln die Bilder diverser Überwachungskameras Teile der Geschichte und so findet der geisterhafte Aspekt der Erzählung auf der visuellen Ebene eine weitere Entsprechung.

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"Im toten Winkel" ist ein komplexer und thematisch voraussetzungsreicher Film, der sich nur bedingt als Einstieg anbietet, um sich mit der Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei zu beschäftigen. Grundsätzlich bietet der Film Anlässe, um sich im Politikunterricht mit dem Thema Trauma oder den Folgen staatlichen Terrors auseinanderzusetzen, da die Regisseurin (Glossar: Zum Inhalt: Regie) und Drehbuchautorin (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) mit ihrem multiperspektivischen Zugang sowohl die Opfer- als auch die Täterperspektive vermittelt. Dies lässt sich im Deutschunterricht wie auch in den gesellschaftskundlichen Fächern analysieren und inhaltlich diskutieren. Die Figur des Geheimdienstlers etwa, dessen Angst sich bis zur Paranoia steigert, zeigt, wie autoritäre Systeme, die auf Angst und Überwachung beruhen, das Leben aller Menschen zerstören – nicht nur das ihrer tatsächlichen Opfer. Auf formaler Ebene legt die komplexe Filmstruktur eine Untersuchung der verschachtelten Zum Inhalt: Dramaturgie nahe. Eine Analyse der Erzählhaltung lässt sich durch die Kapitelstruktur gut arbeitsteilig in Kleingruppen durchführen. Dabei lohnt besonders, die verschiedenartigen Bildmaterialien (etwa Handyaufnahmen oder Aufzeichnungen der Überwachungskameras) herauszufiltern und zu untersuchen, wie sie eingesetzt werden und welche Wirkung sie jeweils auf das Publikum haben.

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