Mit Flucht und Migration zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hat sich Markus Imhoof schon in seinem Spielfilm "Das Boot ist voll" (CHE 1980) auseinandergesetzt. Sein eindringlicher Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Eldorado" verknüpft nun die historische mit der aktuellen Situation. Imhoof hat dafür einen persönlichen Zugang gewählt: Ihn erinnert die heutige Grenzpolitik der Europäischen Union an die Situation in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg, als Imhoofs Familie das Flüchtlingsmädchen Giovanna aufnahm, das später – gegen den Willen der Familie und des Kindes – nach Italien abgeschoben wurde und dort starb. Seitdem beschäftigt er sich mit den individuellen Folgen politischer Entscheidungen: Imhoof hinterfragt die Migrationspolitik und schaut dabei nicht nur auf die Ausnahmesituation im Mittelmeer, sondern auch vor seine eigene Haustür. "Eldorado" zeigt die bürokratischen Hürden für Asylsuchende in der Schweiz und die von der Mafia kontrollierte Schattenwirtschaft in Italien, in der Geflüchtete notgedrungen oft landen. Rechtlos und ausgebeutet werden sie Teil einer Produktionskette, die auch in deutschen Supermärkten für frisches Obst aus Italien sorgt.

Einige der auf See gedrehten Zum Inhalt: Szenen sind nicht leicht zu ertragen. Dennoch – so sagt Imhoof im Film – sei es wichtig, sich diesen Bildern auszusetzen, weil sie die Folgen politischer Entscheidungen verständlich machten. "Eldorado" misst die medial verbreiteten Schlagworte (etwa: "Flüchtlingswelle") mit unmittelbaren Bildern, die zeigen sollen, was es bedeutet, wenn Tag für Tag Menschen auf dem Weg über das Meer ihr Leben riskieren. Der persönliche Zum Inhalt: Off-Kommentar des Regisseurs wird ergänzt durch die starke Stimme, die er der verstorbenen Giovanna gibt. Sie macht Kindern und Jugendlichen verständlich, was das abstrakte Wort Flucht eigentlich bedeutet: Trennung von der Familie, Angst vor einer anderen Umgebung, die Herausforderung einer fremden Sprache, aber auch neue Chancen und Erfahrungen. Immer wieder nimmt der Regisseur die kindliche Perspektive ein und fügt Zeichnungen, Briefe und Fotos aus dem eigenen Familienarchiv ein. Gleichzeitig macht er klar, dass er nicht als Betroffener, sondern "nur" als Beobachter spricht. Die daraus resultierenden Probleme negiert er nicht. Dennoch bleibt die Frage, ob es vertretbar ist, Ertrinkende zu filmen statt selbst einzugreifen, den Zuschauenden überlassen.

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Diese Frage ist ein guter Einstieg in die Diskussion und die Erörterung alternativer Herangehensweisen – bezogen auf "Eldorado" , aber auch auf die tägliche journalistische Berichterstattung. Die eigene Reaktion auf Schreckensbilder in den Nachrichten kann in diesem Zuge im Ethik-, Kunst- oder Deutsch-Unterricht genauer untersucht werden und in Bezug zur Bildproduktion gesetzt werden. Die im Film angesprochenen und gezeigten Ursachen und Folgen von Flucht und Migration eignen sich als Thema im Politik- und im Gemeinschaftskunde-Unterricht. Die Unterscheidung dieser beiden Begriffe in der Gesetzgebung sollte dabei erarbeitet werden. Anschließend kann der im Film skizzierte Wirtschaftskreislauf der Tomaten als Beispiel und Ausgangspunkt für eigene Recherchen dienen. Auch wenn die humanitäre Lage im Süden Italiens anders ist als in Deutschland, sollten die Schüler/-innen sich aktiv mit der Frage auseinander setzen, welche (rechtlichen) Zusammenhänge zwischen der Flüchtlingspolitik beider Länder bestehen. Warum ist es möglich, dass andere von der Notlage der Menschen, die im Film in unmenschlichen Wohn- und Arbeitssituationen zu sehen sind, profitieren?

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