In Demmin leben gut 11.000 Menschen, das Klima ist familiär, man kennt sich. Doch jedes Jahr am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, ist die Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern im Ausnahmezustand. Hunderte Polizisten sichern einen Aufmarsch, der als Trauermarsch angemeldet wird. Gedacht wird Einwohnerinnen und Einwohnern Demmins, die sich 1945, wenige Tage vor Kriegsende, aus Angst vor der Roten Armee das Leben nahmen. Binnen weniger Tage starben schätzungsweise 900 Menschen – vor allem Frauen und Kinder. Mütter vergifteten oder ertränkten ihre Kinder und erschossen oder erhängten sich selbst, bevor die sowjetische Armee Demmin erreichte und während des kurzen Aufenthalts der Soldaten in der Stadt. In der DDR wurde über den Massensuizid geschwiegen. Heute vereinnahmen Neonazis mit dem Trauerzug das Ereignis politisch und wütende Gegendemonstranten versuchen genau das zu verhindern. Die Bewohner/-innen Demmins selbst sind tief gespalten. Einerseits sind viele von der Tragödie direkt betroffen, andererseits spüren sie auch, dass ihre Erinnerungen hier für politische Zwecke missbraucht werden.

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Regisseur (Glossar: Zum Inhalt: Regie) Martin Farkas zeigt, was passiert, wenn die Vergangenheit verdrängt und eine Stadt mit einem Trauma allein gelassen wird. Die Ereignisse rund um die Demonstration am 8. Mai 2015 bilden das erzählerische Rückgrat des Zum Inhalt: Dokumentarfilms. Sie werden mit Gesprächen (Glossar: Zum Inhalt: Talking Heads) kombiniert, denen man anmerkt, dass sie nicht leicht zu führen waren. Zeitzeugen, Anwohnerinnen, Politiker und Zugezogene geben vor der Kamera viel von sich preis, bleiben im Film aber bewusst namenlos und werden politisch nicht eingeordnet. Manche erlebten, wie Angst, Ideologie und Gruppenzwang die Menschen in den Suizid trieben, andere mussten mitansehen, wie ihre Mütter vergewaltigt wurden. Ihre Aussagen stehen für sich, Farkas versagt sich einen wertenden Kommentar (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) über das, was er zeigt. Das ist manchmal schwer zu ertragen, bietet aber die Möglichkeit, selbst einen differenzierten Blick zu entwickeln, um eine nicht restlos aufklärbare Vergangenheit so umfassend wie möglich verstehen zu können.

Die Beschäftigung mit dem Massensuizid in Demmin und seiner politischen Indienstnahme kann Schülerinnen und Schülern die Einsicht vermitteln, dass ein Blick zurück in die Geschichte nie eine simple Deutung erlaubt. Auf der Straße in Demmin findet ein Geschichtsrevisionismus statt, den die unterschiedlichen Erinnerungen und Deutungen der Bewohner/-innen schnell als solchen entlarven. Durch seine bedachte und nie in Überwältigung umschlagende Zum Inhalt: Dramaturgie bietet der Film selbst ein Gegenrezept gegen jede Art von verkürzter Wahrnehmung an. Eine Beschäftigung mit "Über Leben in Demmin" ist deshalb für den Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht zu empfehlen, nicht zuletzt deshalb, weil sich Regisseur Martin Farkas als Fragender und nicht als Wissender definiert. So bleibt der Film anschlussfähig, ohne dabei die eigene Haltung zu verleugnen.

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