Wo beginnt die Geschichte des Musikvideos? Durchgesetzt haben sich diese Kurzfilme in den 1980er-Jahren, als mit MTV oder VIVA Fernsehsender entstanden, deren Programm vorwiegend aus Musikclips bestand. Doch schon The Beatles, ABBA oder Queen – letztere zu ihrem Song "Bohemian Rhapsody" (1975) – haben dieses Medium genutzt. Oder beginnt die Geschichte bereits viel früher? Etwa mit den erfolgreichen Film-Musicals der 1950er- und 1960er-Jahren? Oder gar mit den Zum Inhalt: Propaganda-Revue-Filmen des Dritten Reichs? Mit dem kommerziellen Durchbruch des Tonfilms in den Kinos? Schaut man in die Filmgeschichte, so zeigt sich, dass schon im abstrakten und absoluten Film der 1920er-Jahre Klang, Licht und Bewegung zu avantgardistischer Kunst verschmelzen. Beispielhaft sind dafür die Werke von Hans Richter, Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger. Und bereits im Jahr 1900 wurden bei der Weltausstellung in Paris erstmals Tonfilme gezeigt, in denen das bewegte Bild zur Musik fand.

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Die Frage, wann die Geschichte dieses Formats beginnt, ist dabei nur eine von vielen, die womöglich niemals endgültig geklärt werden wird. Eine andere ist beispielsweise: Was ist überhaupt ein Musikvideo? Auch hier gehen die Definitionen auseinander: Ist es jede Zum Inhalt: Filmsequenz, auf der Musik zu hören ist? Muss der oder die Musiker/-in zu sehen sein? Muss ein Musikvideo eine Story erzählen? Muss es tatsächlich auf Video gedreht worden sein, nicht auf Filmmaterial? Muss sich das Bild direkt auf den Ton beziehen?

Das Musikvideo – ein schwer fassbares Format

Für Martin Lilkendey, einst VIVA-Mitarbeiter, nun Professor an der Universität Koblenz-Landau und Verfasser des Standardwerks "100 Jahre Musikvideos" (2017), ist ein Musikvideo "ein Musikkurzfilm der Unterhaltungsindustrie, in dem ein populäres Musikstück filmisch narrativ, performativ oder assoziativ thematisiert und gleichzeitig hörbar wird." Musikvideos können also einen Auftritt abbilden, eine Geschichte erzählen oder die Musik bebildern – und nicht selten tun sie all das auf einmal.

Doch selbst die relativ aktuelle, weit gefasste Definition von Lilkendey scheint schon wieder überholt. Denn viele aktuelle Musikvideos kommen gar nicht mehr aus der Unterhaltungsindustrie, nicht von der Künstlerin, dem Künstler oder der Plattenfirma, sondern von den Fans. Der weltweite Erfolg der Internet-Plattform TikTok gründet vor allem darauf, dass sie es den Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, zu ihren Lieblingssongs mit einfachen Mitteln eigene Videos herzustellen. Die Millionen Teenager, die auf TikTok tanzen, bedeuten nicht nur eine bis vor kurzem ungeahnte Demokratisierung des Mediums Musikvideo. Sie zeigen vor allem auch: Die Geschichte des Musikvideos ist untrennbar verbunden mit dem technischen Fortschritt der audiovisuellen Medien.

Kunst, Kommerz und Unterhaltung

Die goldene Ära des Musikvideos beginnt in den 1980er-Jahren, als das werbefinanzierte Fernsehen sich immer weiter ausdifferenziert, immer neue Kanäle entstehen, die Content benötigen. Es ist die Geburtsstunde von MTV, das 1981 auf Sendung geht, und in dem das Musikvideo einerseits zu seinem ursprünglichen Zweck als Werbemittel für Musik findet, andererseits sich aber auch neue ästhetische und künstlerische Dimensionen eröffnet. Der erste Clip, den MTV sendete, hätte kaum programmatischer sein können: "Video Killed The Radio Star" von Trevor Horns Projekt The Buggles.

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Das Radio gibt es zwar weiterhin, aber MTV – und später weitere Sender wie VIVA für den deutschen Markt – übernehmen eine zentrale Aufgabe des Radios: die Promotion von Musik. Jeder Clip, der gesendet wird, wirbt für ein Musikstück und steigert den Umsatz der Plattenfirmen. Alle Clips, die die Musikkanäle senden, bilden zusammen das Werbeumfeld, das die Finanzierung der Sender garantiert. Eine Win-Win-Situation für die Musikwirtschaft, die dazu führt, dass nun Millionenbeträge zur Verfügung stehen für Musikvideos, deren Produktion in diesen Tagen nicht selten teurer ist als die der Musik selbst. Höhepunkt dieser Entwicklung: das bahnbrechende Video für Michael Jacksons "Thriller", für das Hollywood-Regisseur John Landis 1983 einen gesamten Zum Inhalt: Teenage-Horror-Spielfilm auf 13 Minuten und 42 Sekunden komprimierte. Die Produktion von Zum Inhalt: Michael Jackson: Thriller"Thriller" kostete geschätzt zwischen 500.000 und einer Million Dollar, eine damals unfassbare Summe, die aber schnell zur Routine wurde. Michael Jackson ist auch verantwortlich für das teuerste Musikvideo aller Zeiten: 1995 kostete es sieben Millionen Dollar, den Aufritt des King of Pop mit seiner Schwester Janet in "Scream" zu bebildern.

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Musikvideos und das Kino

"Thriller" zeigt auch exemplarisch, was das Musikvideo spätestens in den 1980er-Jahren geworden war: ein eigenständiges filmisches Zum Inhalt: Genre, das sich regelmäßig der Ästhetik und visueller Ideen aus dem Film bediente, aber umgekehrt auch Kino, TV und generell Sehgewohnheiten vor allem der jungen, werberelevanten Generation prägte. Die slowenischen Konzept-Rocker Laibach zitierten für ihr Video "Wirtschaft ist tot" (1992) den Zum Inhalt: Stummfilmklassiker Zum Filmarchiv: "Metropolis", die Smashing Pumpkins gingen noch weiter zurück und bezogen sich für "Tonight, Tonight" (1995) auf Georges Méliès "Die Reise zum Mond" von 1902. Die Beastie Boys wiederum ließen sich für "Sabotage" (1994) von Spike Jonze in einer Hommage an klassische US-Krimiserien wie "Starsky & Hutch" oder "Die Straßen von San Francisco" inszenieren. Der Austausch zwischen Musikvideo und Kino war und ist nicht nur ästhetisch, sondern auch personell: Jonze oder David Fincher gehören zu den Regisseuren, die ihr Handwerk mit Musikvideos lernten, bevor sie ebenso erfolgreiche Spielfilm-Regisseure wurden.

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Ein Genre zitiert sich selbst

Mit dem Musikfernsehen der 1980er-Jahre verschmolzen Kunst, Kommerz und Unterhaltung, die drei grundsätzlichen Funktionen des Videoclips: Ein Werbefilm, der zuvorderst den Absatz eines Musikstücks befördern sollte, konnte nun als Kunstwerk wahrgenommen werden. In den frühen 1990er-Jahren beginnt MTV nicht mehr nur Songtitel und Interpret oder Interpretin einzublenden, sondern auch den Regisseur oder die Regisseurin. Seit 1999 vergeben die Oberhausener Kurzfilmtage den weltweit ersten Festivalpreis für Musikvideos, andere Filmfestivals folgen. Wie ernst sich das Kunstgenre Musikvideo nun nahm, war auch daran abzulesen, dass es begann sich selbst zu zitieren. Die Grungeband Nirvana wurde für "In Bloom" (1992) so in Szene gesetzt, als würden sie in der Ed Sullivan Show auftreten, in der Elvis Presley 36 Jahre zuvor seinen großen Durchbruch gefeiert hatte. Wir sind Helden waren nur eine von vielen Bands, die in "Nur ein Wort" (2005) die berühmten Papptafeln aus Bob Dylans "Subterranean Homesick Blues" (1965) zitierten.

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Vom Fernsehen ins Internet: Videoclips global

Seitdem ist viel passiert: MTV sendet kaum noch Musikvideos, sondern lieber Reality-Shows, VIVA wurde 2018 endgültig eingestellt und junge Menschen wissen kaum noch, was lineares Fernsehen ist. Das Musikvideo hat stattdessen seit den Nullerjahren eine neue Heimstatt im Internet gefunden. YouTube ist die bedeutendste Musikvideo-Abspielstation aller Zeiten, aber nur eine von vielen Video-Plattformen. Auf den Webseiten von traditionellen Medien werden Musikvideos ebenso eingebunden wie bei Streaming-Diensten. Der Traffic in den sozialen Medien besteht zu einem guten Teil aus dem Austausch von Musik, meist im Clip-Format.

Dieser Austausch aber findet nun über alle nationalen Grenzen hinweg statt. So global wie das Netz ist jetzt auch der Musikmarkt, weil die Musikvideos in Sekundenschnelle um den Erdball gereicht werden können. So konnte der bis dahin allein in Südostasien bekannte Südkoreaner Psy innerhalb von wenigen Tagen zum Weltstar aufsteigen, sein "Gangnam Style" (2012) zum Video mit den meisten Likes auf YouTube werden. Auch die aktuelle Begeisterung der westlichen Jugend für K-Pop, die an die Hysterie erinnert, die einst The Beatles auslösten, wäre undenkbar ohne das Internet, das die Musikvideos mit den perfekten Choreografien von südkoreanischen Acts überall verfügbar macht – und BTS oder Blackpink immer neue Klick-Rekorde aufstellen lässt. Der aktuelle Clip "Dynamite" der südkoreanischen Boyband BTS etwa wurde, laut YouTube, nach dem Release innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Millionen Mal angeschaut.

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Wie teuer der Clip ist, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Nun, da man mit einem handelsüblichen Smartphone einen technisch vorzeigbaren Film drehen kann, hat sich der Musikkurzfilm endgültig aus den Fesseln des Format-TVs befreit und nutzt seine unbegrenzten neuen Möglichkeiten. Das Spektrum reicht vom schlichten Lyric-Video über vertikale Videos, die – wie etwa für Billie Eilishs Hit "Bad Guy" – im Hochformat gedreht extra für Handys konzipiert sind, und interaktive Videos bis zu ganzen Alben, die von vornherein als Film angelegt werden. Projekte wie Beyoncés Konzeptalbum "Black Is King" (2020), das ebenso Film-Essay wie politischer Kommentar und alternative Geschichtsschreibung ist, zeigen: Wann die Geschichte des Musikvideos beginnt, mag nicht zu klären sein, aber um seine Zukunft muss man sich keine Sorgen machen.

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