Frauen machen Filme. Das klingt so selbstverständlich, dass der Satz aus der Zeit gefallen scheint. Schließlich haben zuletzt mit Chloé Zhao ("Nomadland" , USA 2020) und Jane Campion (Zum Filmarchiv: "The Power of the Dog"; Neuseeland, Australien, Großbritannien, Kanada 2021) zwei Filmemacherinnen den Regie-Oscar® gewonnen. Tatsache ist jedoch: In zentralen Bereichen der Filmproduktion sind Frauen nahezu weltweit stark unterrepräsentiert. So belegt eine von der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentliche Studie (2022), dass in Europa zwischen 2016 und 2020 bei nicht einmal einem Viertel der Filmproduktionen Frauen Regie geführt haben.

Dabei haben Regisseurinnen, Produzentinnen, Autorinnen, Filmeditorinnen und andere weibliche Filmschaffende die Entwicklung des Kinos seit seinen Anfängen maßgeblich mitgestaltet. Die Filmgeschichtsschreibung hat sich lange Zeit jedoch fast nur den "Vätern des Kinos" gewidmet. Seit einigen Jahren korrigieren Filmhistoriker/-innen dieses Bild, indem sie die Leistungen und Biografien von Filmpionierinnen erforschen.

Eine Frau dreht den vermutlich ersten fiktionalen Film

Die Französin Alice Guy ist eine dieser Filmpionierinnen der ersten Stunde: Als die Brüder Louis und Auguste Lumière im Dezember 1895 in Paris erstmals ihren Kinematographen vorstellen, sitzt die Sekretärin der Firma Gaumont im Publikum. Gezeigt werden dokumentarische Filme, die junge Frau erkennt jedoch, dass sich mit der Kamera auch Erdachtes inszenieren lässt. Schon 1896 dreht sie für Gaumont den (vermutlich) ersten fiktionalen Film: den knapp einmütigen "La Fée aux Choux" , die Geschichte einer Zauberin, die Kohlköpfe zu Babys verwandelt.

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In den Folgejahren realisiert Guy hunderte Filme, die immer länger und aufwendiger werden. Die Gestaltung hält sie dabei komplett in ihrer Hand. 1907 geht sie – jetzt verheiratet mit dem Unternehmer Herbert Blaché – für Gaumont in die USA, um eine Dependance aufzubauen. Dort gründet Guy 1910 mit ihrem Mann ein Filmstudio und wird so zu einer, wenn nicht sogar zur ersten Produzentin der Welt. In Guys Werken stehen oftmals Frauen im Zentrum. Hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt weiblichen Filmschaffens: Es stärkt die Sichtbarkeit von Frauen. Guys Leistung ist umso bedeutsamer, da zu ihrer Zeit nicht nur Frankreich von einer Gleichstellung der Geschlechter weit entfernt ist und alte Rollenzuschreibungen fest verankert sind. Umso provokanter wirkt Guys Film Zum Filmarchiv: "Die Folgen des Feminismus" ("Les résultats de féminisme" , Frankreich 1906), in dem sie die Rollen von Männern und Frauen verkehrt.

Das entstehende Kino eröffnet Frauen Freiräume

Guy findet in der Kinobranche auch deshalb Freiräume, weil die industriellen Strukturen kaum entwickelt sind. So sind die einzelnen Gewerke nicht strikt voneinander getrennt und erfordern häufig keine spezifische Qualifikation. Diese "Offenheit" trägt dazu bei, dass zahlreiche Frauen um 1910 den Weg zum Kino einschlagen. Ein Beispiel ist Luise Fleck, die die erste österreichische Filmproduktionsfirma "Wiener Kunstfilm" mitbegründet. Im Unternehmen ist sie Produzentin, Szenaristin und Regisseurin in einer Person. Liddy Hegewald baut zur selben Zeit in Sachsen zunächst eine Kinokette auf, bevor auch sie anfängt, Filme zu produzieren.

Regisseurin Alice Guy (oben, links) bei den Dreharbeiten zu "La vie du Christ" in Fontainebleau

picture alliance / Everett Collection

In den 1910er-Jahren erzählen Filme bereits komplexe Geschichten und richten sich vermehrt an ein weibliches Publikum. Das eröffnet Chancen für Autorinnen wie die US-Amerikanerin Lois Weber. Sie beginnt ihre Karriere als Szenaristin für Alice Guy bei Gaumont. Ab 1911 führt sie zusammen mit ihrem Ehemann Phillips Smalley auch Regie. Ihre Filme zeichnen sich durch filmästhetische Innovationen aus: So nutzt Zum Filmarchiv: "Suspense" (USA 1913) unter anderem einen dreiteiligen Zum Inhalt: Splitscreen, um Spannung zu entwickeln. Den berühmten Filmen von David W. Griffith steht der Zum Inhalt: Thriller in formaler Brillanz nicht nach. 1916 wird sie die bestbezahlte Regiekraft bei Universal, dem größten Studio im aufstrebenden Hollywood. Verstärkt widmet sich Weber in ihren Werken nun sozialen Problemen, wie etwa dem "Skandalthema" ungewollter Schwangerschaften in "Where are my Children" (1916). 1917 gründet sie ein eigenes Filmstudio: Lois Weber Pictures.

Regisseurin Lois Weber (Mitte) bei den Dreharbeiten zu "The Doctor and The Woman" (1918)

picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Allein Universal beschäftigt in den 1910er-Jahren elf Regisseurinnen. Noch zahlreicher sind die Zum Inhalt: Drehbuchautorinnen in der Traumfabrik: Die frühere Journalistin Frances Marion, entdeckt und gefördert von Weber, avanciert zu einer der Gefragtesten. 1930 und 1932 gewinnt sie jeweils den Oscar® für das beste adaptierte Drehbuch. June Mathis, eine frühere Bühnenautorin, steigt bei Metro (später MGM) zur Chefin der Drehbuchabteilung auf – eine Schlüsselposition im Glamourstudio. Mathis entdeckt Rudolph Valentino und schreibt Kassenschlager wie "Die vier Reiter der Apokalypse" ("The Four Horsemen of the Apocalypse" , USA 1921, Regie: Rex Ingram) oder "Ben Hur" ("Ben-Hur: A Tale of the Christ" , USA 1925, Regie: Fred Niblo).

Vom Leinwandstar zur Produzentin

Die mächtigste Pionierin ihrer Zeit ist Mary Pickford. Als populärster der frühen Leinwandstars Hollywoods bildet sie das Modell für das Starsystem der Studio-Ära. Ihre Popularität als "girl with the curls" nutzt sie, um hinter der Kamera Einfluss zu nehmen. Mit ihren Rollen unzufrieden, sagt Pickford den Studiobossen den Kampf an und gründet mit Charles Chaplin, Douglas Fairbanks und Griffith die Produktionsfirma United Artists – mit dem erklärten Ziel, Filmkünstler/-innen mehr Freiheiten zu geben.

D.W. Griffith, Mary Pickford, Charlie Chaplin (sitzend) und Douglas Fairbanks bei der Unterzeichnung des Gründungsvertrags von United Artists

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In Deutschland gründet die Dänin Asta Nielsen, seit ihrem erotischen Tanz in "Abgründe" ("Afgrunden" , Dänemark 1910, Regie: Urban Gad) weltberühmt und bekannt dafür, ihre Filme aktiv mitzugestalten, etwa zur gleichen Zeit eine eigene Produktionsfirma. Und auch im lateinamerikanischen Kino nehmen weibliche Stars, wie die Brasilianerin Carmen Santos, ihre Filmprojekte in die eigene Hand.

Regisseur Urban Gad (links) und Asta Nielsen während der Dreharbeiten zu "Der Totentanz" (1912)

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Die Arbeit am Schneidetisch prägen Frauen von Beginn an mit, auch weil sich Männer für diese Arbeit nicht interessieren: Die Zum Inhalt: Montage verspricht wenig Geld und Prestige, denn sie wird noch nicht als wichtiges Gestaltungsmittel betrachtet. In der Folge haben Filmeditorinnen an der Entwicklung der Montageprinzipien entscheidenden Anteil. Das betrifft Hollywood, wo sich die "unsichtbare" Kontinuitätsmontage als Standard durchsetzt und Frauen wie Margaret Booth oder Anne Bauchens als Autoritäten gelten. Aber auch in der Sowjetunion, wo sich zunächst ein Gegenmodell zum Kommerzkino à la Hollywood entwickelt, tragen Filmeditorinnen zum revolutionären Montagekino bei: Als Pionierin des Kompilationsfilms führt Esfir Shub Montage und Regie zusammen: Mit Zum Filmarchiv: "Der Fall der Dynastie Romanow" ("Padenije dinastii Romanowych" , UdSSR 1927) gelingt ihr ein wegweisender Zum Inhalt: Propagandafilm, der aus dokumentarischem Archivmaterial zusammengesetzt ist.

Eine Industrie (fast) ohne Regisseurinnen

In den 1920er-Jahren verschlechtert sich die Situation für weibliche Filmschaffende in Hollywood und anderen Zentren der Filmindustrie eklatant. Angesichts der gewachsenen wirtschaftlichen Bedeutung des Kinos und seiner zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung verdrängen Männer die Frauen aus den Führungspositionen des Filmschaffens. Mitte des Jahrzehnts steht bei Universal keine einzige Regisseurin mehr auf der Lohnliste. Im zusehends perfektionierten, streng hierarchisch und arbeitsteilig organisierten Studiosystem sind weibliche Stars zwar als Blickfänger und Sehnsuchtsziel auf der Leinwand nach wie vor gefragt. Hinter der Kamera verschwinden die Frauen jedoch in Bereichen, die dem klassischen Rollenverständnis entsprechen: im Zum Inhalt: Make-Up- und im Zum Inhalt: Kostüm-Department. Ausnahmen bilden der Schnitt und das Drehbuch. Die Regisseurin Dorothy Arzner ist im Hollywood der 1930er-Jahre eine singuläre Erscheinung.

Die Silhouettenfilm-Künstlerin Lotte Reiniger bei der Arbeit (um 1930)

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Natürlich gibt es auch zu Hochzeiten der Studioära noch Filmemacherinnen – bloß arbeiten sie vornehmlich außerhalb des Big Business. Und auch dort leisten sie Pionierarbeit: In Deutschland entwickelt Lotte Reiniger (Zum Filmarchiv: "Die Abenteuer des Prinzen Achmed", 1926) den Scherenschnittfilm (Glossar: Zum Inhalt: Animationstechniken) maßgeblich weiter. In Frankreich dreht Germaine Dulac ("Madame Beudets sonniges Lächeln" /"La Souriante Madame Beudet" , 1922) bahnbrechende Avantgardefilme wie später auch Maya Deren ("Meshes of the Afternoon" , 1943) in den USA. Die deutsche Rennfahrerin Clärenore Stinnes sorgt 1931 mit einem Film über ihre Weltumrundung für ein Medienereignis. Auch die Nische des Wissenschaftsfilms bildet ein Biotop für Vorreiterinnen, wie etwa Herta Jülich, die für die UFA mikroskopische Aufnahmen filmt. Eine umstrittene Ausnahmeerscheinung schließlich ist die ehemalige Tänzerin und Schauspielerin Leni Riefenstahl: "Mit Triumph des Willens" (1934) und "Olympia" (1938) inszeniert die Deutsche für das nationalsozialistische Regime dokumentarische Zum Inhalt: Propagandafilme in Perfektion.

Pionierinnen abseits von Hollywood und Europa

Die Filmgeschichtsschreibung ist nicht nur männerdominiert, sie fokussiert sich auch auf die USA, an zweiter Stelle auf Europa – und auf weißes Filmschaffen. Umso mehr besteht Nachholbedarf, was die Forschung über Filmpionierinnen etwa in afrikanischen oder asiatischen Filmkulturen betrifft. Das generelle Problem, dass viele Filme speziell der Stummfilmära nicht erhalten sind, bildet hier eine besondere Herausforderung.

Dass Frauen je nach Weltregion teils unter höchst unterschiedlichen Voraussetzungen Pionierarbeit leisteten – und zu verschiedenen Zeiten – liegt auf der Hand. Dabei gestaltet sich der Zugang zum Filmemachen für Women of Color als besonders schwierig. In Japan etwa, einem Land mit reicher Filmtradition und einer zugleich stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft, gilt Tazuko Sakanes "New Clothing" (1936) als erste Regiearbeit einer Frau. Geradezu aussichtlos stellt sich die Situation für Schwarze Frauen in Ländern unter Kolonialherrschaft dar. So kann auch die Senegalesin Safi Faye ("Mossane" , Senegal 1996), die als erste afrikanische Regisseurin internationale Bekanntheit erlangte, als Pionierin gesehen werden.

Noch immer keine Geschlechtergerechtigkeit

Eine wegweisende Regisseurin ihrer Zeit ist aber auch die Französin Agnès Varda, die mit "La Pointe Courte" (Frankreich 1954) die Nouvelle Vague vorwegnimmt und den internationalen Autorenfilm inspiriert. Das gilt ebenso für die Filmemacherinnen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten einen Neuanfang vollziehen - wie etwa Annelie Thorndike, die in den ersten Jahrzehnten der DDR zur führenden Dokumentarfilmerin aufsteigt oder für die Bundesdeutsche Ulrike Ottinger, die seit den 1960er-Jahren auf ganz eigene Weise die Grenzen zwischen Bildender Kunst und Avantgardefilm auflöst.

Die Gründung von Filmhochschulen hat die Hürden für die Ausbildung von Frauen in Filmberufen zumindest in Deutschland reduziert. Die eingangs genannten Zahlen zeigen allerdings: Von einer Geschlechtergerechtigkeit ist die Filmbranche weit entfernt. Auch wenn weibliche Filmschaffende heute keine Pionierinnen mehr sind – im Kampf um die Gleichberechtigung gibt es noch reichlich zu tun.

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