Können wir von TikTok etwas über Film lernen? Sicherlich. Und das auf viele verschiedene Arten. Über Besprechungen der dort geposteten Inhalte, kurze und maximal komprimierte Filmanalysen bis hin zu zahlreichen Tutorial-Videos, die teils mehr, teils weniger sprachlich erklärend vorgehen, bietet TikTok eine reiche Fundgrube an Ideen für eine filmvermittelnde Arbeit und für eigene Filmexperimente.

Was ist TikTok?

Die Social-Media-App TikTok wurde vom chinesischen Konzern ByteDance 2018 veröffentlicht und dient vor allem dem Aufnehmen, Bearbeiten und Teilen von Videos. Als TikToks werden hochgeladene Videos bezeichnet, auf die andere Nutzer/-innen der App mit einem Like oder Kommentar reagieren können. Sie können außerdem über verschiedene Funktionen bestehende Sounds und Videos weiterverwenden und mit TikToks anderer User/-innen interagieren.

Über den persönlichen Startseiten-Feed, die sogenannte For-You-Page, werden jeweils Videos angeboten, die sich nach einer algorithmischen Logik durch die bisherige individuelle TikTok-Nutzung in rasanter Geschwindigkeit den eigenen visuellen und thematischen Interessen anpassen. Mittlerweile gehört TikTok zu den beliebtesten und am schnellsten wachsenden Apps und bringt ständig neue Trends hervor – von viralen Tanz-Challenges, über Sketches beziehunsgweise "Pranks" bis hin zu LipSynch-Videos.

In den Nachrichten war TikTok zuletzt vor allem auch wegen Bedenken zum Datenschutz ein Thema. TikTok sammelt umfangreiche, sensible personenbezogene Daten von Nutzer/-innen, darunter hat die App Zugriff auf Dateien, Medien, Geräte, Kalender, Kamera, Kontakte, Mikrofon und Standort der Nutzenden. Sie überwacht Interaktionen wie Likes, Shares, Follows, Kommentare und erstellt detaillierte Profile zur Personalisierung von Inhalten und Werbung. Auch nicht veröffentlichte Videos werden analysiert, und biometrische Gesichtserkennungsdaten können gespeichert werden. Wie bei allen anderen Formen der Produktion, Nutzung und öffentlichen Präsentation von Bewegtbild sollten auch bei TikTok-Projekten in der Filmbildung neben urheberrechtlichen Aspekten Datenschutzfragen und Fragen der Persönlichkeitsrechte kritisch hinterfragt werden.

TikTok im Unterricht – Vermittlung von Film durch Film

Im Folgenden werden einige filmbildungsrelevante TikToks vorgestellt. Die Art und Weise, wie die Videos das Medium in den Blick nehmen, orientiert sich dabei weniger an der Vermittlung von Wissen mit Film als vielmehr an der Vermittlung von Film durch Film. Genau genommen geht es sogar um die Vermittlung von Video durch Video, wenn wir Film als eine Technik begreifen, die auf Zelluloidstreifen basiert und das digitale Video als eine, deren Material grob verkürzt Pixel sind. In den ausgewählten Beispielen erfahren wir mehr darüber, wie Videos oder digitale Bilder etwas zeigen.

Video-Vermittlung durch Video, das heißt durch die spezifische "Medialität" von Video – was ist hiermit konkret gemeint? Durch die folgenden zwei unter den QR-Codes abrufbaren Tiktoks finden wir es genauer heraus und erlangen dadurch eine erste Perspektive darauf, wie das audiovisuelle Bildmedium Video durch TikToks vermittelt werden kann.

TikTok-Clip 1: Zum externen Inhalt: www.tiktok.com/@trippy/video/7164031321126210822?_r=1&_t=8e0lUbaymlv (öffnet im neuen Tab)
TikTok-Clip 2: Zum externen Inhalt: www.tiktok.com/@connectioninterrupted/video/6863868529574268166?_r=1&_t=8f0BJ1JJvMn (öffnet im neuen Tab)

Datamoshing – wenn Pixel durcheinander geraten

Beide TikToks folgen dem Prinzip des "Datamoshing" (deutsch ungefähr: Daten vermengen). Dabei erzeugen die Gestalter/-innen absichtlich Störungen in digitalen Videos, indem sie bestimmte Bildinformationen aus dem Video entfernen, um so einen künstlerischen Effekt zu erzielen. Das gezielte Löschen von Einzelbildern, in denen die Pixelinformation des aktuellen Einzelbildes einer Videosequenz sich normalerweise aktualisieren würde, stört diese Prozess, sodass ein "Glitch" (deutsch: Störung) sichtbar wird: Die Pixelinformation des aktuellen (nicht aktualisierten) Einzelbildes bleibt bei den nachfolgenden erhalten und diese erneuern sich auf diese Weise erst nach und nach – Pixel für Pixel. So kann ein Video beispielsweise den Anschein erwecken, als wäre es möglich, mit der Gabel ein Stück aus dem eigenen Bein herauszupicken, da die Pixelinformation der dahinter geschnittenen Aufnahme einer Waffel erst sukzessive auftaucht.

Tiktok-Account “connectioninterrupted”

Die Methode des Datamoshing haben bereits wiederholt namhafte Videokünstler/-innen verwendet. Zu nennen wären beispielsweise die Arbeiten von Sven König, Takeshi Murata, Rosa Menkman oder Jacques Percontes.

Die Medialität von Video

Was hat dies nun mit der Medialität von Video zu tun? Medialität, damit bezeichnet der Medien- und Kunstphilosoph Dieter Mersch "jene Strukturen […], durch die 'Medien' hervorbringen, darstellen, übertragen und vermitteln." Wenn wir uns mit der Medialität von Video beschäftigen, dann geht es demnach nicht primär darum, was das Video zeigt, also zum Beispiel, welche Inhalte und Themen verhandelt werden. Stattdessen ist die Frage, wie es gezeigt wird: Welche – auch unsichtbaren – Strukturen liegen dem Video zugrunde? Wodurch zeigen sie? Bei einem Datamoshing-TikTok zu analysieren, welche Bildmotive vorkommen, sagt uns entsprechend wenig über die technischen Gegebenheiten des TikToks. Das Datamoshing kann aber auf unterhaltsame Weise vor Augen führen, woraus digitale Videos eigentlich bestehen und welche Verfahren im Hintergrund ablaufen, damit ein TikTok so glatt und reibungsfrei erscheint, wie wir es gewohnt sind. Denn normalerweise entzieht sich die Medialität des digitalen Videos (das gilt aber ebenso für den analogen Film) unserer Wahrnehmung. Momente der Irritation, die etwa durch das Datamoshing entstehen, ermöglichen einen Zugang dazu und damit eine Reflexion über die Funktionsweise des Mediums.

TikToks verdeutlichen die Medialität von Video und digitalen Bildern auf vielfältige Art und Weise. Weitere Beispiele zeigen andere Strategien und andere (unsichtbare) Strukturen von digitalen Bildern. Die Liste ließe sich aber reichlich erweitern.

(Un)sichtbare Grenzen

Im folgenden Beispiel, das Assoziationen zu Computerspielen der 2000er-Jahre weckt (etwa die Grand-Theft-Auto-, Call-of-Duty- oder Die-Sims-Serie), wird die Aufmerksamkeit auf die Künstlichkeit der Bewegungsabläufe gelenkt. Besonders die unsichtbaren Grenzen, die den Bewegungen der Spielfiguren etwa durch Wände oder nicht benutzbare Gegenstände gesetzt werden, rücken hierdurch in den Blick. Die programmierten Grenzen sind zwar nur für "das algorithmische Auge" des Computers sichtbar, werden für uns als Spieler/-innen aber als Spuren in den Bewegungen der Spielfiguren wahrgenommen. Diese Spuren werden von Nicki i Loczek in diesem TikTok aufgenommen, um daraus eine lustige praktische Reflexion über die Medialität von Computerspielen zu erzeugen. In den Bewegungsabläufen erinnern die TikToks auch an die Videokunst-Arbeit Zum externen Inhalt: Freeroam à Rembours (öffnet im neuen Tab) von Stefan Panhans, der sich mit deren künstlerischen Verknüpfung im Videoformat auseinandergesetzt hat.

Tiktok-Account "Nicki i Loczek"

Der Clip ist abrufbar unter Zum externen Inhalt: www.tiktok.com/@loczniki/video/7185954497188007174?_r=1&_t=8e0ldhTODCF (öffnet im neuen Tab)

Aus der Trickkiste

Auch die vielfältigen Auslotungen der Möglichkeiten, mit "Transitions" (deutsch: Übergängen) zu experimentieren, eignen sich für eine Reflexion über die Medialität von Video. Der Zum externen Inhalt: Stopptrick (öffnet im neuen Tab), mit dem schon Anfang des 20. Jahrhunderts von Georges Méliès reichlich experimentiert wurde, erfreut sich auf TikTok einer auffallenden Beliebtheit und zahlreiche Möglichkeiten, Übergänge zwischen Bildern auszuloten, werden verhandelt. Während der Content-Creator Kevin Parry zu Schnee zerfällt, lässt Karen Cheng die Kamera mithilfe eines Wischmobs, der ein Kugelgelenk hat, um sich herum kreisen. Ein Creator, der unter dem Namen Transition King Videos hochlädt, verkettet die Übergänge so eng miteinander, dass es eine haargenaue Zerlegung bräuchte, um hier noch mitzukommen. Diese Experimente laden direkt zum Nachmachen ein. TikToks, die sich wie die erwähnten Beispiele in der Nähe von Videokunstpraktiken befinden, können daher auch im Kunst-Unterricht eingesetzt werden, um nicht nur über Inhalte, sondern verschärft auch über die Gemachtheit von TikToks, Videokunst und Filmen nachzudenken und dies als Startpunkt für eigene praktische Auseinandersetzungen mit experimentellen Filmformen zu setzen.

Tiktok-Account "Kevin Parry"

Tiktok-Account "Karen X"

Der Clips ist abrufbar unter Zum externen Inhalt: www.tiktok.com/t/ZGJ47CXv5/ (öffnet im neuen Tab)

Den Clip von Transition King finden Sie unter Zum externen Inhalt: www.tiktok.com/t/ZGJ47ogd8/ (öffnet im neuen Tab). Die letzten drei Clip-Beispiele können Sie auch ansehen, indem Sie die QR-Codes mit einem Smartphone fotografieren.

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