Hierarchie und Machtumkehr

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Black Falls ist eine US-amerikanische Kleinstadt mit strengen Hierarchien: Die Erwachsenen arbeiten ohne Ausnahme für den Elektronik-Konzern Black Box Industries. Dessen Chef Mister Black feuert Mitarbeiter/innen nicht nur nach Belieben, sondern entscheidet damit gleichzeitig über ihr Wohnrecht. Die ungleichen Machtverhältnisse spiegeln sich auch in den Beziehungen der Kinder wider. So muss der elfjährige Außenseiter Toby "Toe" Thompson in der Schule unter den Quälereien seiner Klassenkameradin Helvetica, Mr. Blacks Tochter, ebenso leiden wie seine Eltern unter deren Vater. Doch eines Tages fällt ein regenbogenfarbener Stein vom Himmel und bringt das starre Autoritätsgefüge durcheinander. Dieser Stein kann jeden Wunsch erfüllen, und so versucht jede/r in Black Falls, ihn an sich zu reißen. Doch weil niemand mit Verstand zu wünschen weiß, geschehen die kuriosesten Dinge: Dem cleveren Loogie wächst plötzlich ein Telefonhörer aus dem Kopf, der bakterienscheue Nose wird vom eigenen Nasenpopel angegriffen und Tobys arbeitswütige Eltern kommen sich als siamesische Zwillinge ungewohnt nah.

Wünsche im Realitätscheck

In einer turbulenten Komödie greift der US-amerikanische Regisseur Robert Rodriguez einen uralten Topos des Märchens auf, um die Folgen des Wünschens für Individuum und Gemeinschaft auszuloten. Indem selbst die aberwitzigsten Wünsche der Filmfiguren Wirklichkeit werden, stürzt der geordnete Alltag von Black Falls mehr und mehr ins Chaos. Denn die meisten nutzen den Stein leichtfertig zu ihren Gunsten – mal aus naiver Abenteuerlust, mal aus Rache oder aus Machtgier, aber stets ohne an die Konsequenzen zu denken. In der Folge spitzen sich in der Schule, am Arbeitsplatz und in den Familien die Konflikte zu, Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Bei der Lösung zwischenmenschlicher Probleme hilft der Stein allerdings nicht: Auch mit den riesigen Ohren, die Helvetica ihrem Vater angezaubert hat, hört er ihr nicht besser zu. Am Ende ist es der Zusammenhalt der Kinder und kein Wunderstein, der zu einem neuen respektvollen Umgang miteinander führt.

Märchenmoral

Wie in seinen früheren Filmen nutzt Rodriguez konventionelle Genreformeln, um in deren Rahmen mit filmsprachlichen Mitteln zu spielen und zu experimentieren. Nach einigen Horrorfilmen wie etwa "From Dusk Till Dawn" (USA 1996), der Adaption des Neo-Noir-Comics "Sin City" (USA 2005) und drei Komödien rund um die Kinderagenten

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"Spy Kids" greift Rodriguez diesmal auf eine klassische Märchenhandlung zurück, die er mit Fantasy- und Komödien-Elementen mixt. So vermittelt "Das Geheimnis des Regenbogensteins" anhand von wundersamen und komischen Szenen auf unterhaltsame Weise eine eindeutige moralische Lektion. Ähnlich dem Fischer und seiner Frau im gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm müssen die Bewohner/innen von Black Falls lernen, maßvoll und bedächtig zu handeln. Wie im Märchen sind in Rodriguez‘ Film auch Gut und Böse klar zu unterscheiden - zum einen durch eindimensional gestaltete Figuren und ihre sprechenden Namen, zum anderen durch Farbgebung (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) und Zum Inhalt: Kameraperspektive. Während etwa Helvetica und ihr Vater schwarze Kleidung tragen, ist Tobys Familie bunt gekleidet und blickt häufig aus der Froschperspektive auf ihre von dort aus umso bedrohlicher wirkenden Peiniger.

Komische Fantasiewelt

Doch Plot, Figuren und ihre Beziehungen zueinander sind nur holzschnittartig ausgearbeitet. Von Mobbing, Rivalität, Autoritätsmissbrauch bis zur Vernachlässigung von Kindern und Ehepartnern lassen sich anhand des Films zwar zahlreiche Beziehungskonflikte diskutieren, aber ein differenzierter Einblick in Hintergründe wird nicht gewährt. Rodriguez konzentriert sich vielmehr auf die Gestaltung von komischen Pointen und einer Fantasiewelt mithilfe von Requisiten, digitalen Effekten (Glossar: Zum Inhalt: Visueller Effekt) und computergenerierten Animationen. Abwegige und verunglückte Wünsche dienen in erster Linie als Katalysatoren für komische Missverständnisse, Slapstick und kindlich-anarchischen Humor: ein monströser Popel, ein Riesenwürstchen, winzige Aliens.

Komische Nummernrevue

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Überdies reflektiert Rodriguez flüchtig, aber amüsant, das Medienkonsumverhalten der Kinder- und Erwachsenenfiguren: einerseits durch überspitzte Computer- oder SMS-Sucht, andererseits durch die spezielle Zum Inhalt: Montage des Films, die auf einer Idee von Rodriguez‘ zehnjährigem Sohn basiert. Die Geschichte wird aus Sicht des Erzählers Toby, der auch im Zum Inhalt: Voiceover die Handlung begleitet, in fünf nicht chronologischen Episoden erzählt. Ihre Reihenfolge ergibt sich aus der Bedeutung, die Toby ihnen beimisst. Wie bei einer DVD "spult" er die Geschichte vor und zurück, und drückt nur dann auf "play", wenn es besonders spannend wird. Dank solcher kreativer und witziger Regieeinfälle ist "Das Geheimnis des Regenbogensteins" doch mehr als ein vorhersehbarer Mainstream-Plot mit stereotypen Charakteren und einer Message, die wir bereits aus Märchenbüchern kennen: Wenn Wünsche wahr werden, muss das noch lange nicht glücklich machen.

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