Drei Generationen sind es in der Regel, die eine Familiengeschichte ausmachen. Die Jüngsten bilden dabei so etwas wie das (vorläufige) Ziel, die Eltern sind in deren Leben typischerweise sehr präsent, die Großeltern stellen die Verbindung zu einem größeren historischen Kontext her, der intergenerationelle Fragen deutlicher werden lässt. Einer der berühmtesten Romane über eine solche Familienkonstellation, Die Buddenbrooks (1901) von Thomas Mann, ist ein Dreigenerationenroman. Und auch Zum Filmarchiv: "Walchensee Forever" (Janna Ji Wonders, DE 2020) lässt sich in dieses Schema einordnen, allerdings ist hier die Perspektive ein wenig anders als bei einem chronologisch erzählten Roman: Der Zum Inhalt: Dokumentarfilm folgt einer Bewegung der Rekonstruktion. Die Regisseurin Janna Ji Wonders versucht herauszufinden, wo sie herkommt. Sie spricht dafür ausführlich mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, und sie findet reichlich Material vor, denn es wurde in der Familie viel fotografiert, gefilmt, Briefe und Tagebücher wurden geschrieben und aufgehoben, die Großmutter sogar einmal gemalt. "Walchensee Forever" ist auch ein Film über ein Jahrhundert, in dem die Literatur als Medium der Erzählung von (Familien-)Geschichte zwar nicht abgelöst wurde. Bilder sind aber inzwischen mindestens genauso wichtig für das private wie für das kulturelle Gedächtnis. Diesem Umstand ist auch die Entstehung eines neuen Zum Inhalt: Genres zu verdanken: Im Kino häufen sich schon seit einer Weile dokumentarische Familiengeschichten. "Walchensee Forever" ist in vielerlei Hinsicht beispielhaft, denn man trifft nicht oft eine Familie, die Medien so vielfältig in ihr Leben integriert hat. Aber die Recherche in den persönlichen Archiven, verbunden mit Gesprächen, ist zu einer geläufigen Form geworden, (Familien-)Geschichte in einem allgemeineren Sinn zu erschließen.

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Film als Erinnerungsmedium und Bewältigungsstrategie

In "Die Wohnung" (DE/IR 2011) von Arnon Goldfinger wird der Aspekt des privaten Archivs besonders deutlich. Die Großeltern des Filmemachers sind gestorben. Sie haben in Tel Aviv gelebt, nachdem es ihnen gelungen war, sich vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu retten. Ihre Wohnung ist voll mit Zeugnissen, unter anderem finden sich Hinweise auf eine unerwartete Freundschaft mit der Familie eines SS-Offiziers. Arnon Goldfinger ist als Regisseur von "Die Wohnung" zugleich der Vertreter der dritten Generation. Gerade in jüdischen Familiengeschichten hat das eine besondere Bedeutung, denn die dritte Generation ist in sehr vielen Fällen diejenige, die miterleben muss, wie die letzten Zeugen und Zeuginnen aus der Zeit der Shoah sterben. Dabei stellt sich die Frage, wie das Gedächtnis an das Leid der Opfer bewahrt werden kann. Häufig ist dabei von "postmemory" die Rede: eine (Nach-)Erinnerung, die auch traumatische Ereignisse beinhaltet, die nicht persönlich erlebt wurden, sondern die jemand gleichsam übertragen bekommen hat.

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Dokumentarfilme können für ein solches postmemorisches Erinnern zugleich Trägermedium wie Bewältigungsstrategie sein. Zum Filmarchiv: "Heimat ist ein Raum aus Zeit" (DE 2019) von Thomas Heise ist dafür ein Beispiel. In diesem Fall sind in erster Linie Fotos und Briefe überliefert, aus denen sich die Geschichte vor allem der Mutter und der erweiterten Familie des Filmemachers erschließen lässt. Die Lücke in der Überlieferung, also das, was nicht unmittelbar dokumentiert ist, schließt Heise mit Landschaftsaufnahmen oder ganz allgemein mit Bildern, die eher so etwas wie eine Projektionsfläche für die Bewusstseinsarbeit sind. Eine besondere Eindringlichkeit erreicht der Film, als eine lange Liste mit den Namen der Wiener Bürger/-innen durchs Bild läuft, die 1942 in die Vernichtungslager deportiert wurden. Dieses bürokratische Dokument erweitert die persönliche Geschichte von Heises Familie auf die schrecklichste Weise ins Weltgeschichtliche, und ist gleichzeitig radikal individuell, denn man wünschte sich zu allen genannten Personen ein ausführlicheres Andenken.

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Erkundung der eigenen Wurzeln

Eine der spannendsten Varianten jüdischen Erinnerns in der dritten Generation bekommt man in Zum Filmarchiv: "Endlich Tacheles" (DE 2020) von Jana Matthes und Andrea Schramm zu sehen. Im Mittelpunkt steht ein junger Berliner Jude namens Yaar, der sich der Geschichte seiner Familie auf eine ungewöhnliche Weise nähert: Gemeinsam mit Kommiliton/-innen versucht er ein Computerspiel zu entwickeln, in dem man entweder in die Rolle des Nazis oder in die des Juden während des Holocausts schlüpfen kann. Yaar steht mit seiner Idee allerdings in der Kritik. Sein Vater findet, dass es nicht zulässig sei, den Holocaust auf einer Tastatur nachzuspielen. In "Endlich Tacheles" versucht ein junger Mann, sich von dem familiären Gedächtnis zu emanzipieren, das ganz auf einen Angehörigen konzentriert ist, den die Nationalsozialisten ermordet haben. Yaar sieht nicht ein, dass er auch noch an etwas leiden soll, was ihn persönlich nicht betrifft. Der Film ist klug strukturiert in Form einer Bewegung, die den jungen "Helden" zu einem besseren Verständnis für seine Wurzeln (zurück)führt.

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Endlich Tacheles from Real Fiction on Vimeo.

Für eine gelingende Biografie ist es allgemein wichtig, sie als Erzählung zu vergegenwärtigen. Menschen erben von ihren Eltern und Großeltern einen Nachlass, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Christoph Hübner und Gabriele Voss haben diesen Begriff als Titel für einen Film gewählt, in dem sie einige Personen aus der dritten Generation nach dem Nationalsozialismus zeigen. Opfer und Täter gleichermaßen haben ihnen Aufgaben hinterlassen, die sie bewältigen müssen. In Zum Filmarchiv: "Nachlass" (DE 2017) werden diese individuellen Bemühungen mit den offiziellen geschichtspolitischen Anstrengungen verbunden, denn gedreht wurde auch an Erinnerungsorten wie dem Gelände der Topographie des Terrors in Berlin.

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NACHLASS_Trailer from Christoph Hübner on Vimeo.

Die Familie von Janna Ji Wonders hatte das Glück, dass sie vom Terror des Zweiten Weltkriegs und von den NS-Genoziden im Wesentlichen nicht betroffen war. In "Walchensee Forever" geht es vor allem um den Aufbruch der Nachkriegsgeneration in die weite Welt. Die Großmutter erreicht dabei ein sehr hohes Alter, und steuert beinahe bis zum Schluss noch Erinnerungen bei. Ein Musikvideo, in dem Janna Ji Wonders das Gesicht der Großmutter mit ihrer eigenen Stimme "synchronisiert", wird zum Sinnbild der Verbindung zwischen den Generationen. Mehr denn je bringen heute Filmemacher/-innen die Geschichte zum Sprechen, und finden dabei für sich selbst eine Position in der Welt.

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