"Rotkäppchen und der böse Wolf", Donald Duck oder der Clownfisch aus – in Fabeln, Märchen, Comics und Zum Inhalt: Zeichentrickfilmen kommen sie regelmäßig vor: Tierfiguren, die ihren Vorbildern äußerlich ähneln, sich aber wie Menschen verhalten. Das beginnt schon damit, dass viele Tierfiguren in diesen Geschichten und in Zum Inhalt: Animationsfilmen sprechen können. Zwar können sich auch Wale in Wirklichkeit miteinander "unterhalten", doch die menschliche Sprache können nur Papageien und Sittiche nachmachen. Oft tragen Filmtiere zudem auch menschliche Konflikte aus. Sie hadern mit ihrem Selbstbild, verlieben sich unglücklich oder verhauen eine wichtige Klassenarbeit.

Menschliche Konflikte mit Tierfiguren vereinfachen

Warum machen Filmschaffende das so? Zum einen fällt es den Zuschauenden leichter, sich in die Hauptfiguren hineinzuversetzen, wenn es Berührungspunkte zu Gefühlen gibt, die man selber kennt. Zum anderen geht es in diesen Geschichten aber eigentlich um menschliche Konflikte, die im Fantasiereich der Tiere etwas einfacher dargestellt werden können. Tiere sehen zwar anders aus als Menschen, aber manche äußeren Merkmale ähneln sich: Angst, Freude oder Trauer etwa lassen sich auch bei Tieren wunderbar am Augenausdruck ablesen.

Findet Dorie, Szene (© Disney/Pixar)

Außerdem kann man recht schnell den Charakter von tierischen Figuren erfassen, denn schon in alten Fabeln und Märchen wurden Tiere mit wenigen, ganz bestimmten Eigenschaften verbunden: der schlaue Fuchs, die diebische Elster, der starke Bär usw. So können die Wesensmerkmale und Charaktere der Figuren schnell verstanden werden. Die Macher/-innen von Animationsfilmen geben den Tieren also menschliche Eigenschaften, um den Betrachtenden das Einfühlen in das Wesen und in die Konflikte der Figuren zu erleichtern. So erklärt schon zu Beginn von Zum Filmarchiv: "Findet Dorie" eine kurze Zum Inhalt: Szene, in der die Heldin mit weit aufgerissenen Augen den Weg nach Hause sucht, dass dem kleinen Fisch Kurzzeitgedächtnis und Orientierungssinn fehlen. Und wenn "Bambi" (USA 1942), "Dumbo" (USA 1941) oder Simba aus den Tod ihrer Eltern betrauern, können vor allem Kinder das gut nachempfinden. Vielleicht können sie es auch besser verarbeiten, weil über die Tierfiguren zugleich etwas Abstand zum menschlichen Schicksal gewonnen wird.

Die fürsorglichen Störche

In Zum Filmarchiv: "Überflieger – Kleine Vögel, große Geklapper" ist der Held Richard ein kleiner Spatz, der sich für einen Storch hält. Wie kommt es dazu? Als ein Marder das Nest seiner Spatzen-Familie überfällt, bleibt nur ein Ei zurück, aus dem das Küken kurze Zeit später schlüpft. In freier Wildbahn hätte Richard wohl keine Überlebenschance. Zum Glück findet die Storchendame Aurora das Waisenkind und nimmt es unter ihre Fittiche. Richard wächst den Sommer über bei den Störchen auf und schläft wie einer von ihnen im Stehen mit angehobenen Bein. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie menschlich sich die Tiere im Film verhalten. Zwar weiß man von Affen und einigen anderen Tierarten, die verwaiste Artgenossen aufnehmen, doch weit verbreitet ist das nicht. Würden in der Natur andere Tiere – wie etwa der gefährliche Honigdachs am Filmende – Richard schutzlos finden, würden sie ihn wahrscheinlich fressen.

Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper, Szene (© 2017 Wild Bunch Germany)

Dem Papa etwas beweisen wollen

Richard ist – ähnlich wie in dem Märchen vom hässlichen Entlein, aus dem später erst ein Schwan wird – fest davon überzeugt, dass er ein zu klein geratener Storch ist. Er möchte zu der Storchenfamilie, die ihn aufgenommen hat, dazugehören. So erzählen Regisseur Toby Genkel und Co-Regisseur und Zum Inhalt: Drehbuchautor Reza Memari mit tierischen Figuren vom menschlichen Bedürfnis nach Zuneigung und Anerkennung. Doch seine Zieheltern sehen in ihm nicht einen Storch, sondern einen Spatzen, dem sie den langen Flug ins afrikanische Winterquartier nicht zutrauen. Weil Richard dies aber nicht wahrhaben will, brechen die Störche heimlich ohne ihn auf. Von nun an möchte der kleine Vogel seinem Ersatzvater beweisen, dass er doch einer von ihnen ist.

Außenseiter mit dem Wunsch nach Anerkennung

Der Wellensittich Kiki ermutigt seinen Spatzenfreund: "Na, dann zeigen wir ihnen doch, zu was du fähig bist!" Kikis Beweggründe sind ebenfalls menschlich: Jahrelang hat er in einem Käfig gelebt und von einer Gesangskarriere geträumt. Bei einem Wettbewerb muss er aber einsehen, dass ihm das nötige Talent fehlt. Das Abenteuer mit den neuen Freunden will die Diva dennoch für die Nachwelt festhalten: "Eins könnt ihr mir glauben – das kommt in meine Memoiren!", denn Kiki kann als einziger der Freunde lesen.

Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper, Szene (© 2017 Wild Bunch Germany)

Auch Olga verfügt über menschliche Eigenschaften und Probleme. Weil sie als Zwergeule zu groß geraten ist, ist sie eine Außenseiterin. Der beste Freund der zerzausten Nachteule ist Oleg, doch nur Olga kann ihn sehen, denn es gibt ihn nur in ihrer Fantasie. Wer sich selber manchmal allein und einsam fühlt, kann sicher gut mit der kleinen Eule mitfühlen. Und vielleicht gibt einem das Schicksal dieses einsamen Vogels auch zu denken. Darf man sich über andere lustig machen, nur weil sie etwas anders sind?

Stellvertreter/-innen menschlicher Interessen

Wenn Drehbuchautoren/-innen menschliche Sorgen auf die Tierwelt übertragen, machen sie die Tiere zu Stellvertreter/-innen menschlicher Interessen und Probleme. Solche Geschichten aus dem Tierreich sind oft lustig und unterhaltsam, können einem aber auch zu denken geben, wie das Beispiel der Zwergeule Olga aus "Überflieger" zeigt. Denn die Tiere erleben Dinge, die das Publikum im Kino womöglich aus eigener Erfahrung kennt. Auf die Realität von Tieren sollte man das Verhalten der Filmfiguren freilich nicht übertragen: Nur, weil ein Hamster im Film besonders gern kuschelt, muss das eigene Haustier das nicht immer gut finden!

Im Kern der Geschichten geht es nämlich eigentlich um Menschen, nicht um Tiere. Und die wichtigen Eigenschaften, die Menschen ausmachen, teilen Tiere nur in wenigen Ausnahmefällen: So bleiben in freier Wildbahn Brillenpinguine oder Seepferdchen – wie manche Menschen – ihrem Partner ein Leben lang treu. Dass Tiere aber darum kämpfen, ihren Traum wahr zu machen oder für ihr Anderssein akzeptiert zu werden, ist hingegen in der Natur eher nicht bekannt.

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