Der Krieg in Afghanistan hat bislang 43 tote Deutsche gefordert. 466 Soldaten und Soldatinnen wurden im Jahr 2009 mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) behandelt. Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann arbeitet als Facharzt und Leitender Arzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses Berlin und engagiert sich in der Forschung wie in der Praxis für psychisch erkrankte Soldatinnen und Soldaten.

Dr. Zimmermann, in der psychiatrischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses behandeln Sie Heimkehrer, die unter Kriegstraumata leiden. Welche Erfahrungen belasten Soldatinnen und Soldaten – in der Mehrzahl sind es ja Männer, die an Auslandseinsätzen teilnehmen – am stärksten?

Das sind ganz verschiedene Arten von Einwirkungen: Kampfhandlungen gehören dazu oder lebensbedrohliche Ereignisse, die das Wert- und Sicherheitsgefühl des Betroffenen tief erschüttern. Aber auch schweres Leid und Elend ansehen zu müssen, wie beispielsweise bei der Zivilbevölkerung in Afghanistan, kann ein Trauma auslösen, also ein Ereignis mit so katastrophaler Bedeutung, dass es das menschliche Verarbeitungssystem überfordert.

Was sind die Folgen für die Betroffenen?

Posttraumatische Belastungsstörungen, also eine psychische Erkrankung, die aus drei Symptomkomplexen besteht: Zum einen ist da die Wiederaufdrängung der Erinnerung als Flashback oder in Alpträumen. Man kann dann auch Dinge spüren, riechen, schmecken, die man während der traumatischen Einwirkung erlebt hat. Das kann sehr unangenehm sein. Da Flashbacks oder Alpträume unerwartet kommen, wird der Betreffende nervös. Dieses Nervositäts- und Unruhesyndrom ist das zweite Symptom. Dieses geht auch häufig mit Aggressivität einher, mit Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit. Der dritte Komplex ist ein nachfolgendes Rückzugsverhalten. Die Betroffenen werden zurückhaltender und lassen Freunde, Angehörige oder Bekannte nur noch wenig an sich heran.

Die Schwierigkeiten wieder im Alltag anzukommen und die Unmöglichkeit, Schockerlebnisse mit Anderen zu teilen, ist eines der zentralen Themen des Films Zum Filmarchiv: "The Messenger". Wie erleben die Soldatinnen und Soldaten die Rückkehr in den Alltag hier in Deutschland?

Das hängt sehr von der Familie und vom sozialen Umfeld ab. Manche erzählen, ich hab mich gut aufgehoben gefühlt. Viele erzählen aber auch, dass sie sich nicht mehr so richtig zurechtfinden und sich nicht verstanden fühlen. Das kann einfach an der Unwissenheit seitens der Familie und des Umfeldes liegen oder an Unsicherheiten und Ängsten, zuviel zu fragen oder Ähnliches. Wir haben auch eine spezielle Telefonhotline und verschiedene Internetangebote für Angehörige. Und sie melden sich reichlich: Mein Mann oder meine Frau hat sich verändert, woran kann das liegen? Er war im Auslandseinsatz, was soll ich tun? Das sind häufige Probleme, bei denen wir beraten.

In Zum Filmarchiv: "The Messenger" informieren zwei US-amerikanische Offiziere streng nach Protokoll die Familien über den Tod gefallener Angehörige. Wie erfolgt diese Benachrichtigung in Deutschland?

Es gibt bundeswehrinterne Führungshilfen, so nennt sich das, also Schriftstücke, die Vorgesetzte darauf vorbereiten. Wenn bei Auslandseinsätzen jemand ums Leben kommt, setzt die Bundeswehr alles daran, die Angehörigen vor der Presse zu informieren. Das geht soweit, dass die Funknetze abgeschaltet werden. Ich glaube, nichts ist schlimmer, als wenn eine Frau aus der Presse erfährt, dass ihr Ehemann gefallen ist. Trotzdem ist es manchmal möglich, dass etwas durchsickert. Aber wir setzen erstmal alles daran, dass als erstes die Angehörigen direkt durch einen Vorgesetzen und einen Militärpfarrer informiert werden und dann wird natürlich auch psychologische Hilfe angeboten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kriegstraumata kaum ein Thema. Hingegen wurden nach Angaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr alleine im letzten Jahr 466 Soldatinnen und Soldaten wegen posttraumatischen Belastungsstörungen behandelt – fast doppelt soviel wie im Jahr zuvor.

Ich glaube, nach dem Zweiten Weltkrieg war unsere Gesellschaft noch nicht so weit, solche Erkrankungen zu erkennen und ernst zu nehmen. Sie wurden eher als Charakterschwäche beurteilt, so dass sich viele auch nicht getraut haben, damit nach Außen zu gehen. Nun galt es nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich auch, ein Land wieder aufzubauen, und das ließ wenig Zeit, sich um solche Problematiken zu kümmern. Im Moment haben wir die Situation, dass viele alte Menschen den Aufbruch früherer Erinnerungen erleben und große Probleme haben, sich darüber zu äußern. Wir müssen alles daran setzen, dass uns das in Afghanistan oder anderen Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht wieder passiert. Aber innerhalb der Bundeswehr gibt es langsam eine positive Entwicklung zu mehr Offenheit und Akzeptanz. Wir betreiben viel Aufklärungsarbeit, reden mit Vorgesetzten, machen Seminare, sind auch in der Presse vertreten. Für die Gesamtgesellschaft vermag ich das nicht so präzise einzuschätzen. Aber ich würde sagen, da müssen wir noch nachlegen.

Wie könnte ein solches "Nachlegen" aussehen?

Es wäre sicher wünschenswert, wenn in unserer Gesellschaft ein Verständnisprozess einsetzen würde, dass es solche Störungen gibt und man sie auch äußern darf. Man sollte ja auch eines nicht vergessen: Es gibt eine ganze Reihe von Soldaten, die aus Idealismus nach Afghanistan gehen. Dafür gebührt ihnen Wertschätzung. Aber die bekommen sie nicht immer. Ich glaube, wenn eine Gesellschaft sowohl die dahinter stehende Leistung als auch die daraus entstehenden Probleme akzeptiert, dann hilft das.

Stellen Soldatinnen und Soldaten nach einer traumatischen Kriegserfahrung häufig den Sinn eines solchen Krieges in Frage?

Es gibt Menschen, die stellen sich diese Frage, und es gibt welche, die trennen das und sagen: Ich habe schlimme Sachen erlebt und versuche, die wieder loszuwerden. Ob der Krieg richtig ist oder nicht, ist eine andere Frage. Andere zweifeln sehr stark an der Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung dort und überlegen sich, ob sie es noch mit sich selbst vereinbaren können, Soldat zu sein. Das Spektrum ist sehr weit.