Zum Filmarchiv: "The Florida Project" ist nur einer von vielen bemerkenswerten Filmen mit Kindern in den Hauptrollen, die in den letzten Jahren entstanden sind und ein breites Spektrum an Themen der Kindheit aufgreifen: das Aufwachsen als Außenseiter in Zum Filmarchiv: "Boyhood", die Suche nach dem Vater in Zum Filmarchiv: "Bal – Honig", das Spiel mit der sexuellen Identität in "Tomboy" (Céline Sciamma, FR 2011) oder die allein gelassenen Kinder in . Kindheitsfilme, also Filme mit Kindern als Hauptfiguren, gibt es seit den Anfängen des Kinos, lange bevor Zum Inhalt: Kinderfilme, das heißt Filme speziell für Kinder als Zuschauerinnen und Zuschauer, produziert wurden. Schon das Filmprogramm der ersten Kinovorführung der Brüder Lumière in Paris 1895 widmete vier der zehn einminütigen Kurzfilme Kindern.

Die Präsenz von Kindern auf der Leinwand, ihre unkontrollierten Bewegungen und ungestellte Mimik, brachten die Qualität des Mediums Film selbst zur Geltung: das alltägliche Leben festzuhalten und es dem Zuschauenden näherzubringen. Der Filmkritiker und Theoretiker Béla Balázs schrieb deshalb 1924 in "Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films": "Es liegt aber an der ganzen Atmosphäre und Mentalität des Films, dass das Kind mehr Spielraum darin hat." Zeitgleich erschien mit Jacques Feyders "Kindergesichter" ("Visage d'enfants" , SUI/F 1925) einer der ersten Filme, die aus der Perspektive von Kindern erzählt sind und für ihre Lebenssituation - hier ein Junge, der seine Mutter verloren hat - sensibilisieren. Aus der vielgestaltigen Geschichte des Kindheitsfilms sollen einige Aspekte vorgestellt werden, die mit der von Balázs beschworenen "kindlichen Mentalität des Mediums" verbunden sind: Film als Medium des Blicks und der Bewegung, des Zugangs zur Realität und zur Imagination.

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Authentizität und Star-Potenzial: Kinder in der Filmindustrie

In den 1920er- und 1930er-Jahren brachte das Hollywood-Kino seine ersten Kinderstars hervor: Jackie Coogan in Charlie Chaplins "The Kid" (USA 1921), Shirley Temple in den "Baby Burlesk" -Filmen (Charles Lamont, Ray Nazarro, USA 1931-33) oder später Judy Garland in Zum Filmarchiv: "Der Zauberer von Oz" – an ihren Biografien lassen sich auch die ausbeuterischen Tendenzen der Filmindustrie ablesen. Luchino Visconti hat dies in "Bellissima" (IT 1951) thematisiert, in dem eine Mutter ihre Tochter in einem Casting platzieren möchte. Als diese beim Vorsprechen in Tränen ausbricht, wird sie von den Produzenten verlacht, vom Regisseur aber ausgewählt - der auf der Suche nach Authentizität ist. Der Film reflektiert den Zynismus der Filmindustrie, aber auch die besondere Wirkung von Kinderdarstellerinnen und -darstellern, die scheinbar nicht spielen, sondern zu empfinden scheinen, was sie auf der Leinwand zeigen.

François Truffaut hat dagegen in Bezug auf seine Arbeit mit Kinderschauspielern gefordert, man müsse sie als "Mitarbeiter" behandeln, die "man auffordert, Leben, Plausibilität und Fantasie einzubringen" (Revue belge du cinéma, 1980). Besondere Wirkung entfalten Kinder daher häufig in solchen Produktionen, die sich ihren Eigenarten "anpassen" und diese zur Geltung bringen, anstatt sie Rollenbildern, Drehbuchvorgaben und Produktionszwängen unterzuordnen - ein herausragendes Beispiel dafür ist François Truffauts eigener Film " Zum Inhalt: Sie küssten und sie schlugen ihn" ("Les Quatre Cents Coups" , FR 1959), der als Geburtsstunde der französischen Zum Inhalt: Nouvelle Vague gilt.

Funktionen von Kindern in der filmischen Erzählung

Gerade wegen ihrer Zugänglichkeit fungieren Kinderfiguren häufig als Mittler/-innen oder Grenzgänger/-innen, die sich zwischen verschiedenen Orten bewegen und unterschiedliche soziale Schichten verbinden. Ein berühmtes Vorbild ist Charlie Chaplins "The Kid" , in dem der Tramp ein Findelkind aufnimmt und aufzieht, bis seine Mutter, eine mittlerweile zu Ruhm und Geld gekommene Künstlerin, wiederauftaucht. In "Chocolat – Verbotene Sehnsucht" ("Chocolat" , FR/BRD/CM 1988) von Claire Denis, der die Freundschaft zwischen der Tochter französischer Kolonialbeamter mit dem Kameruner Hausangestellten in den 1950er-Jahren erzählt, überbrückt das Kind kulturelle Differenzen und Vorurteile. Das utopische Potenzial dieser Kinderfiguren liegt darin, dass sie nicht so stark von sozialen Urteilen und Gewohnheiten geprägt sind, dass sie offen sind für andere Welten und fähig, in andere Milieus hineinzuwachsen.

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Kinder sind dabei nicht selten Spiegel von erwachsenen Hauptfiguren, die selbst auf der Suche sind, die sich im Spiel mit den kindlichen Gefährten als "große Kinder" erweisen und von den "kleinen Kindern" lernen. Dieses Motiv findet sich in zahlreichen Zum Inhalt: Roadmovies, in denen ein Kind durch die Welt streunt und sich mit Außenseitern anfreundet: In Wim Wenders' Zum Filmarchiv: "Alice in den Städten" gewinnt der wurzellose Held mithilfe des Mädchens Alice einen neuen Zugang zu seiner Heimat im Ruhrgebiet. In Takeshi Kitanos "Kikujiros Sommer" begleitet ein Gammler und Spieler einen Jungen auf der Suche nach der Mutter und kehrt dabei zu seiner eigenen Mutter zurück. Und in "Cléo & Paul" ("Allons enfants" , Stéphane Demoustier, FR 2018) verläuft sich ein kleines Mädchen im Pariser Park La Villette und heftet sich an die Fersen einer jungen Frau, die in ihr einen kurzzeitigen Schutz gegen die eigene Einsamkeit findet.

Ein anderer Blick auf die Gegenwart

Diese streunenden Kinderfiguren erlauben häufig einen anderen Blick auf die Wirklichkeit. Nach einer Filmvorführung von "Cléo & Paul" nannte der Regisseur Stéphane Demoustier als Grund, einen Film mit seinen eigenen Kindern in der Hauptrolle zu drehen: Er habe das Frankreich "nach dem Terrorismus" darstellen wollen, aber mit Poesie und Leichtigkeit. Er knüpft damit an ein Motiv des europäischen Nachkriegskinos an, in dem Kinderfiguren (meist Jungen) durch die vom Krieg zerstörten oder von sozialen Verwerfungen geprägten Stadtlandschaften streifen: durch die Trümmer Berlins in , durch ein von Arbeitslosigkeit geprägtes Rom in , oder die Brachflächen des Kohlebergbaus der belgischen Borinage in "Déjà s'envole la fleur maigre" (Paul Meyer, BEL 1969). Je nach Perspektive verkörpern diese Kinderfiguren, die an etwas teilhaben, das sie doch nicht verantworten, einen moralischen Appell an die Erwachsenen oder auch – wie in "Cléo & Paul" oder "The Florida Project" – eine kontrastierende Leichtigkeit. Die "großen Themen" werden hier mit Blick auf den Alltag erzählt, gefiltert durch die Wahrnehmung von jemandem, der nicht alles versteht.

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Die Grenzen des Verstehens: Kindheitserinnerungen

Kinder fungieren vielfach als Seismografen für den Zustand der Gesellschaft: für die Fragen, die wir an unsere Gegenwart richten, und die Hoffnungen oder auch Ängste vor der Zukunft. Gerade in Nachkriegs- und (Nach)diktatur-Kinematografien wie dem Neuen Deutschen Kino, dem spanischen Kino im späten Franquismus ("Der Geist des Bienenstocks" , Víctor Erice, ES 1973) oder dem südamerikanischen Kino nach den Militärdiktaturen ("Kamtschatka" , Marcelo Piñeyro, ARG/ESP/I 2002) vermitteln Kinderfiguren häufig einen anderen Blick auf die Vergangenheit. Erinnerungen an die eigene Kindheit in Filmen wie "Deutschland, bleiche Mutter" (Helma Sanders-Brahms, BRD 1980) oder "Kindheit" (Siegfried Kühn, DDR 1987) erlauben es, die Geschichte aus einer radikal subjektiven Perspektive zu erzählen und dabei das Nachwirken der Traumata auf die nachfolgenden Generationen zu thematisieren.

Häufig ist damit die Aufhebung konventioneller Erzählweisen verbunden. In lückenhaften, fragmentarischen Plots, in denen kausale Zusammenhänge aufgehoben werden, bleibt manches rätselhaft und es durchdringen sich verschiedene Realitätsebenen – wie in "Peppermint Frieden" (BRD 1983) von Marianne Rosenbaum. Gefiltert durch die Spiele und Träume der kleinen Marianne erzählt der Film in radikaler Form von Holocaust, Kriegszeit und Kaltem Krieg. Kindheitserinnerungen erlauben es, zu thematisieren, was zu schmerzhaft oder tabuisiert ist, um es direkt anzusprechen. Dies gilt auch für Kinderfiguren in Kinematografien, die in Diktaturen der Zensur unterliegen, wie zum Beispiel dem iranischen Kino. In den Filmen Abbas Kiarostamis, etwa in Zum Filmarchiv: "Wo ist das Haus meines Freundes?", sind die Kämpfe der Kinder gegen autoritäre Erwachsene auch ein Spiegel der autoritären Gesellschaft des zeitgenössischen Iran.

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Kinder als Botschafter der Fantasie

Kinderfiguren verschieben aber nicht nur den Blick auf die Gegenwart und die Vergangenheit, sie eröffnen auch einen Zugang zur Fantasie: Dorothy, Alice oder Elliot entführen uns in "Der Zauberer von Oz" , Zum Filmarchiv: "E.T." oder Zum Filmarchiv: "Alice im Wunderland" in den Bereich der Imagination. Sie haben einen Sinn für die fantastischen Welten oder Wesen, die Hollywoods Traummaschine hervorbringt. Wie um darauf anzuspielen, übertreten auch die Kinder in "The Florida Project" am Ende die Grenze zum Disney-Wunderland, das ihnen eigentlich verschlossen ist und doch die Zum Inhalt: kunterbunte Ästhetik ihrer Lebenswelt prägt. Solche Kinderfiguren werden auch zu Mittlern des Kinos selbst, das die Zuschauer in fremde Welten entführen und sie – wie in der Filmtheorie immer wieder dargelegt – in die Gefühle und Erfahrungen der Kindheit zurückversetzen kann.

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