Es gehört zu den großen Missverständnissen des Kinos, dass der so genannte Stummfilm jemals "stumm" gewesen sei. Stumm waren lediglich die Akteure/innen. Musik aber war von Beginn an ein integraler Bestandteil der Kinoerfahrung: zur Akzentuierung der Dramatik, als komödiantisches Element, aber auch als eigenständige künstlerische Darbietung. Kurz: Eine Filmvorführung ohne Zum Inhalt: musikalische Begleitung war schlicht undenkbar. Das Publikum hatte das Kino lange Zeit nur als eine elaborierte Form des Theaters betrachtet. Mit der Einführung des Tonfilms sollte sich das ändern. Der synchrone Ton löste – im Gegensatz zum gestenreichen, eher abstrakten Spiel der Darsteller/innen – erstmals einen Anspruch auf Realismus ein, und veränderte damit auch die Rezeption des Kinos an sich.

Sound Design

Realismus war lange der Schlüsselbegriff, wenn es um den Ton im Kino ging. Der Begriff "Sound Design" kam zu Beginn der 1970er-Jahre auf, als der Zusammenbruch des klassischen Studiosystems jungen Filmemachern/innen die Gelegenheit gab, sich an neuen Produktionsweisen zu versuchen. Die künstlerische Sozialisation von Regisseuren wie George Lucas, Steven Spielberg oder Francis Ford Coppola war maßgeblich über die Popkultur der 1960er-Jahre erfolgt. So zeigten sie ein verstärktes Interesse an der Technologie der Musikindustrie, die der Tontechnik im Film damals um etwa zehn Jahre voraus war. Der Begriff "Sound Design" meint nichts anderes als das, was schon Fritz Lang oder Alfred Hitchcock Jahrzehnte vor den Filmemachern der New-Hollywood-Ära praktiziert hatten: einen kreativen Umgang mit den Möglichkeiten des Tons sowie die künstlerische Bearbeitung von Geräuschen für einen bestimmten dramatischen Effekt.

Der frühe Tonfilm

Fritz Lang war einer der ersten Regisseure, der einen Klang im Film motivisch benutzte. In Zum Filmarchiv: "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (Deutschland 1931) kündigt das Pfeifen des Kindermörders eine Bedrohung an, noch bevor sein Schatten im Bild zu sehen ist. Die Melodie des Mörders ist also sein "Thema", sie stellte damals aber auch, so selbstverständlich das heute klingen mag, eine Herausforderung an die "Medienkompetenz" des Publikums dar. Anfang der 1930er-Jahre mussten die Zuschauer/innen erst noch lernen, ein "reales" Geräusch, dessen Zum Inhalt: Quelle nicht erkennbar war, einzuordnen. Solche Transferleistungen bestimmten die ersten Jahre des Tonfilms, zumal der frühe Lichtton für das menschliche Ohr noch sehr blechern klang. Dieser Mangel an Realismus machte es dem Publikum zunächst schwer, sich an den Tonfilm zu gewöhnen. Der Realismus des Filmtons sollte Kritik und Filmschaffende lange beschäftigen. Noch in den 1970ern gab es in der europäischen Filmtheorie Stimmen (unter anderen Christian Metz und Jean-Louis Baudry), die dem Ton eine rein technische Funktion zuschrieben, weil er einen vermeintlichen realistischen Eindruck vermittelte – während dem Spiel der Darsteller/innen immer eine künstlerische Qualität zugesprochen wurde.

Echte und unechte Töne

Dabei hatte Alfred Hitchcock 1963 mit "Die Vögel" (The Birds, USA 1963) bewiesen, dass die Vorstellung eines realistischen Filmtons veraltet war. Weil ihm echte Vogelgeräusche nicht "realistisch" und damit bedrohlich genug erschienen, suchte er nach einer Möglichkeit, das Gekreische der angriffslustigen Tiere zu imitieren, um einen stärkeren psychologischen Effekt zu erzielen. Dabei stieß er auf den Berliner Komponisten Oskar Sala, der Anfang der 1950er-Jahre das Mixturtrautonium entwickelt hatte: eine Art frühen Synthesizer mit einem völlig neuen Klangspektrum. Hierauf entstand das berühmte Vogelgeschrei, das längst in die Geschichte des (Horror-)Films eingegangen ist.

Der Foley Artist

Die Tatsache, dass der Mensch Geräusche im Kino bewusster wahrnimmt als im Alltag, hat in der Filmindustrie einen ganzen Berufszweig begründet: den Foley Artist. Der Foley Artist überhöht das "reale" Geräusch, indem er nach Klangquellen sucht, die Eigenschaften eines Geräusches verstärken, um ihm eine authentische Note zu verleihen. Schritte im Laub sind das häufigste Beispiel für die Arbeit eines Foley Artists. Sie werden in den seltensten Fällen "on location" aufgenommen, sondern in einem Tonstudio unter idealen akustischen Bedingungen aufwändig imitiert. Selbst Tierlaute in Zum Inhalt: Naturdokumentationen werden häufig im Studio kreiert. Der Foley Artist muss also über viel Fantasie und ein großes Repertoire an Klangerzeugern verfügen, um die Komplexität unserer Geräuschwelt nachzuempfinden.

Geräusche in Tativille

Die Filme Jacques Tatis gehören zu den schönsten Beispielen für einen künstlerischen Umgang mit Geräuschen. In "Play Time" (Frankreich, Italien 1967) sind die Dialoge oft nur als Gesprächsfetzen oder Gemurmel im Hintergrund zu hören. Dafür hat Tati, der einzige Stummfilmstar des Tonfilms, eine reiche Geräuschkulisse geschaffen, in der noch der nebensächlichste Gegenstand über ein akustisches Eigenleben zu verfügen scheint. Am Pariser Flughafen läuft Monsieur Hulot, Tatis bekanntester Charakter, einer amerikanischen Reisegruppe in die Arme. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Odyssee durch das Paris der Gegenwart, bis sie am Ende wieder zurück zum Flughafen transportiert werden. Worte fallen in den knapp zwei Stunden kaum, die Tonspur erzählt mit ihren absurden akustischen Spielereien eine ganz eigene Geschichte.

Kino als subjektive Erfahrung

Die Entwicklung des Filmtons war immer auch technologisch bedingt, von verschiedenen Kompressionsverfahren wie Dolby Stereo (1976) bis zu komplexen Surround-Systemen, mit denen erstmals ein räumliches Hörerlebnis simuliert werden konnte. Walter Murch war der erste Sound Designer, der den Mehrkanalton künstlerisch einsetzte. Für Francis Ford Coppolas Zum Filmarchiv: "Apocalypse Now" (USA 1979) arbeitete er mit einer dem späteren Dolby 5.1 vergleichbaren Tonspur: Die sechs Kanäle (zwei Lautsprecher vorne, zwei hinten, einer in der Mitte plus ein sechster Subwoofer für die tiefen Töne) erzeugten eine für die damalige Zeit ungehörte Klangdynamik. Murch und Coppola beabsichtigten, den Krieg physisch und psychisch spürbar zu machen: Kino als subjektive Erfahrung. Das hypnotische Rattern der Rotorblätter, das von allen Seiten auf das Publikum einwirkte, wurde zum Markenzeichen des US-amerikanischen Kriegsfilms. "The Sound of Vietnam", wie die Kritik später schrieb.

Der Klang der Stille

Mit dem Tonfilm kam auch ein Phänomen auf, das der Stummfilm nicht gekannt hatte: die Stille. Von Robert Bresson stammt der berühmte Ausspruch, dass erst der Tonfilm die Stille erfunden habe. Denn natürlich muss auch die Stille im Kino über einen Klang verfügen. Kelly Reichardt hat in ihrem Film (USA 2010) eine schöne Lösung für dieses Problem gefunden. Ihr Western erzählt die Geschichte eines Trecks durch die verlassenen Geröllwüsten Oregons. Doch statt die Tonspur "tot" zu belassen, hat Reichardt den umgekehrten Ansatz gewählt. Sie füllt den Klangraum mit Geräuschen, aufgenommen von Umgebungsmikrofonen, die den reinen Umweltgeräuschen ein atmosphärisches Grundrauschen hinzufügen. Das ergibt eine klanglich reiche Tonspur, ohne dass konkrete Geräusche zu hören sind. So unterstreicht sie akustisch eine Atmosphäre der Weite und Einsamkeit. Schöner (und realistischer) hat der Wilde Westen nie geklungen.

Mehr zum Thema