Kategorie: Videoanalyse
Filmischer Realismus in "Sorry We Missed You"
"Sorry We Missed You" ist ein Beispiel für die Kunst des britischen Regisseurs Ken Loach, sich in seinen Filmen der Wirklichkeit anzunähern. Unsere Videoanalyse veranschaulicht seine Herangehensweise.
Wie nur wenige Filmschaffende versteht es Ken Loach, mit seinen Sozialdramen den Eindruck von Wirklichkeitsnähe zu erwecken. Unsere Videoanalyse zu Zum Filmarchiv: "Sorry We Missed You" (GB/FR/BE 2019) verdeutlicht, wie konsequent der britische Regie-Altmeister einen realistischen filmischen Ansatz verfolgt – sowohl bei der Entwicklung des Zum Inhalt: Drehbuchs und der Wahl der Zum Inhalt: Drehorte als auch bei der Zum Inhalt: Bildgestaltung und der Auswahl und Führung der Schauspieler/-innen.
Im Folgenden können Sie die Videoanalyse auch im Textformat nachlesen:
Sprecher: Der britische Regisseur Ken Loach gilt als wichtiger Vertreter des filmischen Realismus. Was mit Realismus gemeint ist, schauen wir uns jetzt am Beispiel seines aktuellen Films an. Allgemein formuliert, ist Realismus in einem Spielfilm die künstlerische Annäherung an Aspekte der realen Welt: zum Beispiel soziale Verhältnisse oder familiäre Konflikte.
Filmszene: Ricky (zu seinem Sohn): "Was ist denn jetzt nur los? Du warst doch früher immer gut in der Schule. Verbau dir doch nicht deine Zukunft, mein Junge!"
Sprecher: Entscheidend ist dabei, dass die Form des Films eine realistische Wirkung erzielt. Drehbuch, Zum Inhalt: Inszenierung und Zum Inhalt: Schauspiel müssen glaubwürdig und realitätsnah wirken. Dabei kommt es nicht zuletzt darauf an, was wir, das Publikum, als realistisch wahrnehmen.
Von der Recherche zum Drehbuch
Sprecher: "Sorry we Missed You" geht von einer realen gesellschaftlichen Entwicklung aus: Im Dienstleistungssektor haben sich die Arbeitsbedingungen drastisch verändert. Der Protagonist Ricky arbeitet selbstständig als Zusteller für einen Paketdienst. Der Auftraggeber setzt ihm strenge Vorgaben. Stress und Überstunden gehören für Ricky zum Alltag.
Filmszene: Vorgesetzter (zu Ricky): "Das hier ist der Herzschlag des Depots: Das ist dein persönlicher Scanner, mit dem arbeitest du. Der ist wertvoll und verdammt teuer. Wenn du ihn verlierst, dann musst du ihn bezahlen."
Sprecher: Die Firma im Film ist fiktiv. Die Arbeit von Ricky deckt sich aber grundsätzlich mit der Realität eines Kurierfahrers. Ken Loach und sein Autor Paul Laverty haben vor der Arbeit am Drehbuch lange recherchiert. Sie haben mit zahlreichen Zustellern gesprochen und deren Erfahrungen teilweise ins Drehbuch aufgenommen. Das Gleiche gilt für Abbys Rolle als Pflegerin.
Filmszene: Abbie: "Rosie? Rosie?!"
Sprecher: Das Drehbuch verdichtet diese Recherchen zu einer dramatischen Geschichte. Wir sollen Anteil daran nehmen, wie der berufliche Alltag von Ricky und Abbie den Zusammenhalt der Familie bedroht.
Realistische Inszenierung
Sprecher: Die Zum Inhalt: Szene im Depot ist charakteristisch für die Zum Inhalt: Inszenierung von Ken Loach: Der Drehort ist ein Originalschauplatz, ein Gewerbegebiet in der Nähe von Newcastle. Die Kameraführung vermeidet einen auffälligen Stil. Nach einem kurzen Überblick über den Schauplatz bleibt sie auf Augenhöhe (Glossar: Zum Inhalt: Kameraperspektiven) und in halbnaher Distanz (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) zu den Protagonisten. Die Bilder sind ausdrücklich keine schön komponierten Zum Inhalt: Einstellungen: Manchmal laufen Leute durchs Bild oder sind angeschnitten im Hintergrund zu sehen. Dazu hören wir eine sogenannte Atmo, also die atmosphärischen Hintergrundgeräusche eines Versandhandel-Depots.
Filmszene: Vorgesetzter (zu Ricky) : "Also warte kurz auf mich, ich kümmere mich um die beiden Jungs und dann komm ich zu dir."
Sprecher: Unverständliche Gesprächsfetzen und Hintergrundgeräusche des Depots sind zu hören. Es soll so wirken, als hätte jemand im normalen Betrieb kurzerhand eine Kamera aufgestellt. Genau diesen Effekt soll die Inszenierung hervorbringen.
Schauspiel
Sprecher: Ken Loach arbeitet bewusst nicht mit Stars zusammen. Statt dessen sucht er nach unbekannten Personen mit Talent vor der Kamera. Im besten Fall sind es Leute, die seinen Figuren ein Stück weit ähnlich sind. Die aus dem gleichen Milieu kommen und den Dialekt der Figuren sprechen.
Filmszene: Ricky: "Hast du Erkältungssalbe drauf?" – Abby (lacht): "Nein, das reibe ich mir unter die Nase, sonst ertrage ich den furchtbaren Gestank nicht bei der Arbeit. Entschuldige!"
Sprecher: Kris Hitchen und Debbie Honeywood hatten zuvor kaum professionelle Schauspielerfahrung. Honeywood ist von Beruf Sozialarbeiterin. Hitchen war jahrelang als Klempner tätig. Im Film spielen sie fiktive Rollen. Aber sie bringen persönliche Hintergründe in den Film ein. Wenn Hitchen als Ricky zum Beispiel über seine Herkunft, seinen Fußballclub und seine Berufserfahrungen spricht, erzählt er auch aus seinem eigenen Leben. Solche authentischen Details können den Unterschied ausmachen. Ob wir einem Zum Inhalt: Spielfilm glauben, dass er etwas Wahres über die reale Welt aussagt – oder eben nicht.