Auch Schafe wollen gelegentlich ein bisschen Spaß. Den verschaffen sich Shaun und seine Freunde durch einen ausgeklügelten Plan: Erst wird Hund Bitzer durch einen anspruchsvollen Köder abgelenkt und dann der Bauer mit der altbewährten Schäfchenzähl-Methode ins Land der Träume befördert. Nun erfüllt sich der Traum vom freien Zugang zu Kühlschrank und Fernbedienung und die Party kann beginnen – allerdings stören die fiesen Schweine die Stimmung gehörig.

Ausgangspunkt von "Shaun das Schaf – Der Film" ist also eine vertraute Standardsituation der seit 2007 produzierten Serie, die in Deutschland regelmäßig als Abschluss der "Sendung mit der Maus" zu sehen ist. In den siebenminütigen Kurzfilmen stellt das "seltsame Tier", wie es im Titelsong heißt, mit seinen schrägen Ideen immer wieder den beschaulichen irischen Farmalltag auf den Kopf. Aber Shaun ist den anderen Schafen, dem Hund und letztlich auch dem Bauern intellektuell überlegen und eigentlich ein grundguter Kerl. Deshalb sorgt er meistens selbst dafür, dass der angerichtete Schlamassel wieder einigermaßen aufgelöst wird. Der psychologische Grundkonflikt der erfolgreichen Reihe mit den charakteristischen Knetfiguren aus dem Hause Aardman, der in immer neuen, lustigen Episoden variiert wird, ist der zwischen "brav" und "wild", zwischen Unabhängigkeitsstreben und Sicherheitsbedürfnis. Im Presseheft zum Spielfilm wird der Bezug auf diesen Grundwiderspruch der kindlichen Situation anerkannt, indem Bauer und Hund treffend als "die Erziehungsberechtigten" beschrieben werden.

Shaun das Schaf, Szene (© Studiocanal)

Shauns Eskapaden feiern das lustvolle Brechen von Regeln bei prinzipiell vorhandenem gutem Willen – was bei einer Länge von 85 Minuten noch viel deutlicher wird. Auch eine andere Eigenheit der Erzählweise der Serie wird über die Langstrecke durchgehalten, nämlich der komplette Verzicht auf gesprochene Dialoge. Stattdessen knurrt, dudelt, quietscht und mäht es auf der Tonspur. Der Film stellt sich damit in eine Tradition des Widerstands gegen das mit dem Tonfilm, den Talkies, um 1930 einsetzende "große Gequatsche". Dafür steht beispielsweise Charlie Chaplin, der in den 1930er Jahre in seinen Filmen weitestgehend der Macht der Bilder vertraute. Ganz konkret berührt "Shaun das Schaf – Der Film" thematisch Chaplins Zum Filmarchiv: "Moderne Zeiten" (1936), in dem der Tramp ins Räderwerk der technischen Moderne gerät. In "Shaun das Schaf" kommt der Effekt hinzu, dass Mensch und Tier sich weitaus besser auf Augenhöhe begegnen, wenn das Problem der gemeinsamen Sprache wegfällt.

Auch die Schafe bekommen es ungeplant mit den Herausforderungen der technologisch und medial hochgerüsteten Gegenwart zu tun. Eigentlich hatten sie den Bauern in einem alten Wohnwagen zur Ruhe gebettet, der sich dann aber eigenmächtig in Bewegung setzt und in Richtung große Stadt rollt. Nachdem sie von den Schweinen aus dem Wohnzimmer vertrieben wurden, macht sich die gesamte Herde auf, um ihren Bauern zurückzuholen. Durch diese Ausweitung des Handlungsraumes erschließt sich der Film auch eine neue Bildwelt. Sein visueller Ideenreichtum überschlägt sich fast in den Stadtszenen mit ihren Werbetafeln, Schildern, Schaufenstern und Beschriftungen, ihren Autos und Passanten. Für die Tiere ist hier alles fremd, ein militärisch hochgerüsteter Tierfänger verfolgt sie und zudem wird die Rückholung des Bauern durch eine unfallbedingte Amnesie enorm erschwert. Doch mit Witz und Chuzpe meistert Shaun die Situation und am Ende liegen sich alle selig in den Armen. Das Glück ist die Wiederherstellung des Status quo.

Shaun das Schaf, Szene (© Studiocanal)

Bild 1: Shaun das Schaf, Szene (© Studiocanal)

Shaun das Schaf, Szene (© Studiocanal)

Die Macher von "Shaun das Schaf" , Richard Starzak und Mark Burton, kultivieren einen neugierigen, vom britischen Humor geschärften Blick auf Zustände und Zumutungen des modernen Lebens. Im Kontrast zu den Gefahren der Stadt wird die heimatliche Farm als Sehnsuchtsort ausgestellt. So beleuchtet der Film über das Stadt-Land-Thema ironisch den wichtigen Platz, den die Landschaft bis heute im emotionalen Selbstverständnis der britischen (und irischen) Gesellschaft einnimmt. Das Shaun-Universum erweitert sich auf reizvolle Art, es treten mehr und unterschiedlichere Figuren auf, die Erzählung wird angereichert durch Genreverweise und populärkulturelle Zitate. Diese erschließen sich der Kernklientel der Serie im Vorschulalter nicht unbedingt, sorgen aber dafür, dass auch ein älteres Publikum sich nicht unter Niveau amüsiert.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Unterrichtsmaterial