Kategorie: Interview
"Die Animatoren verleihen der Figur Menschlichkeit"
Richard "Golly" Starzak und Mark Burton arbeiten beide seit den 1980er-Jahren für die englische Animationsfilmfirma Aardman. Im Interview erzählen sie von den Anfängen der Produktionsfirma, wie das Drehbuch zu Shaun das Schaf – Der Film entstand und wie ihre Arbeit als Regisseure bei einem Knetfilm aussieht.
Im Interview sprechen die Filmemacher Richard "Golly" Starzak und Mark Burton u. a. über die Besonderheit des Aardman-Humors und wie sie als Regisseure eines Stop-Motion-Films am Set arbeiten.
Richard "Golly" Starzak (das Pseudonym von Richard Goleszowski, im Foto links) kam 1983 als Animator zum Trickfilmstudio Aardman. Zwischenzeitlich selbstständig, kehrte er 2005 als Creative Director zurück. Starzak betreute über Jahre die erfolgreichen TV-Serien "Creature Comforts" und "Shaun das Schaf" . Mark Burton startete als Drehbuchautor 1988 bei der britischen Puppensatire "Spitting Image" . Bei Zum Filmarchiv: "Shaun das Schaf – Der Film" führten beide Regie und schrieben auch das Drehbuch.
Mister Starzak und Mister Burton, Sie arbeiten schon lange für Aardman. Können Sie uns etwas über die Anfänge des Studios erzählen? Und wie wurden Sie zum Animator, also Puppenkünstler?
Starzak: Ich hätte damals ohne Bezahlung für die Firma gearbeitet. Peter Lord und David Sproxton machten Kurzfilme fürs Kinderprogramm, als ich als „Angestellter Nummer Eins“ dort einstieg. Da arbeiteten zwei Leute in einem zimmergroßen Studio, mehr nicht. Ich hielt es auch nicht für einen dauerhaften Job und wollte die vermutlich kurze Zeit einfach nur genießen. Stattdessen wurde die Firma größer und größer. Am Anfang schmierte ich morgens Brötchen für das Team und fummelte danach an meinem Fahrrad herum, um Material für den Dreh am Abend zu haben.
Sie sind beide auch Drehbuchautoren. Wie "schreibt" man einen Animationsfilm wie "Shaun das Schaf – Der Film", in dem die Figuren nicht reden?
Burton: Bei der Entwicklung einer Geschichte stehen die Dialoge sowieso nicht am Anfang. Die Geschichte entwickelt sich aus den Charakteren und ihrer eigenen Welt. Das Drehbuch für „Shaun“ bestand ausschließlich aus Beschreibungen, ohne jeden Dialog – tatsächlich keine leichte Sache.
Starzak: Besonders am Anfang schauten wir auch viele Stummfilme, um das Prinzip zu begreifen. Der Stummfilmschauspieler Buster Keaton war schon immer eine wichtige Inspiration für die Figur von Shaun. In diesem Film mussten wir jedoch vor allem die Story erweitern.
Mit Shaun verlassen wir diesmal das gemütliche englische Landleben und reisen in die "große Stadt". Sind die dortigen Eindrücke „modernen Lebens“ etwas Neues in der Welt von Shaun?
Burton: Nun, Aardman wird immer für etwas altmodisch gehalten. In der echten Welt benutzen Menschen soziale Medien, und das wollen wir nicht ausblenden. In diesem Sinne ist es keine neue Entwicklung, sondern einfach unser Blick auf die heutige Welt. In der Serie war es nicht anders: Kommt ein Bauarbeiter mit einem Bagger, sind das ein moderner Bauarbeiter und ein moderner Bagger.
Ihre Filme sind Stop-Motion-Filme. Das bedeutet: Jede Figur muss für jedes Bild einzeln neu bewegt werden, auf einer kleinen Bühne, die im Film viel größer wirkt. Wie sieht so ein "Filmset" ungefähr aus, und wie groß sind etwa die Figuren?
Starzak: Die menschlichen Hauptfiguren, zum Beispiel der Bauer, sind etwa 20 bis 30 cm groß. Das ist ein recht kleiner Maßstab. Bei der Größe der Kulissen ist alles möglich, von der Tischplatte bis zur Hälfte des Studios. Dann klettern die Puppen-Animatoren eben auf dem Set herum.
Burton: Eine Szene im Film, in der die Kamera über eine ganze Straße fliegt, beanspruchte fast eine ganze Lagerhalle. Auf einem anderen Straßen-Set arbeitete der Animator mit 40 Figuren – ich denke, ein Aardman-Rekord. Er brauchte dafür zwei Wochen.
Eine Sekunde Film besteht aus 12 Einzelbildern. Die Figuren werden von den Animatoren per Hand bewegt. Wie lange benötigt man denn in der Regel für, zum Beispiel, eine Minute?
Starzak: Als Produktionsstandard verlangen wir von unseren Animatoren zwei Sekunden pro Tag. Es arbeiten mehrere Animatoren parallel auf verschiendenen Bühnen. So schaffen wir im Durchschnitt bis zu zwei Minuten Film in einer Woche.
Wie reden Sie als Regisseure mit den Animatoren? Dürfen Sie die Figuren bewegen?
Burton: Nein, das wäre, als würde man für einen Schauspieler die Worte sprechen. Die Animatoren sind für uns die eigentlichen Schauspieler. Wir besprechen die Szene mit ihnen und erklären die innere Motivation der Figuren. Sie schmücken das aus und verleihen der Figur so Menschlichkeit.
Woran erkennen wir als Publikum eigentlich Shaun? Er sieht doch eigentlich aus wie alle anderen Schafe.
Burton: Nun, er ist etwas kleiner. Vor allem ist es seine Art, mit der er immer im Mittelpunkt steht.
Starzak: Man denkt immer, Schafe seien dumm, aber er ist es nicht. Deshalb beobachten die anderen immer, was er als nächstes tut.
Aardman-Filme sind bekannt für ihren ureigenen sympathischen, kindgerechten Humor. Kann man mit Knete überhaupt „gemein sein“?
Starzak: Ich mag einfach Familienfilme, die jeder genießen kann. Speziell in Großbritannien hat Stop-Motion zudem eine lange kulturelle Tradition, die wir mit „guten Zeiten“ verbinden. Ansonsten ist es einfach nur eine Technik. Sie mag ihre Beschränkungen haben, aber sie weckt in den Menschen große Gefühle.
Mister Burton, sie haben für Dreamworks in Hollywood auch an großen Digitalanimationen wie „Madagaskar“ gearbeitet. Sehen Sie große Unterschiede zur Arbeit mit klassischer Animation?
Auf die Geschichte kommt es an! Die Frage ist immer dieselbe: Wie bekommt man ein Publikum von 5 oder 50 Jahren dazu, sich eineinhalb Stunden nicht zu langweilen? Bei Dreamworks habe ich gelernt, dass man sich dafür Zeit nehmen muss. Der einzige Unterschied zur Stop-Motion sind die Puppen. Im Gegensatz zur digitalen Welt, wo alles im Computer abläuft, sind sie sichtbar, man muss den Film drehen wie einen Spielfilm. Das ist alles.
Wie sehen Sie die Zukunft der traditionellen, handgemachten Animation? Hat sie im digitalen Zeitalter noch eine Chance?
Starzak: Ich denke schon. Die Presse spricht schon seit Jahrzehnten vom baldigen Ende der Stop-Motion-Animation. Stattdessen wird der Bereich immer größer und breiter. Nein, ich sehe unsere Art der Animation keineswegs als altmodisch. Es ist einfach eine andere Technik, die Bestand haben wird.