5. September 1972 in München, der zehnte Tag der Olympischen Spiele. In der Zentrale des US-Senders ABC Sports am Olympiagelände macht sich die Frühschicht noch einmal an die Arbeit. Der US-Schwimmer Mark Spitz hat am Vortag seine siebte Goldmedaille gewonnen, es ist die Sensation der erstmals live per Satellit in alle Welt übertragenen Spiele. Doch eine fröhliche Olympiade in Deutschland, dem Land der Täter, ist auch für die Journalisten des US-Senders noch keine Selbstverständlichkeit. Sollte man den jüdischen Sportler zum Holocaust befragen? Sendeleiter Roone Arledge stellt klar: "Hier geht es nicht um Politik, sondern um Emotionen." Also weiter mit Volleyball und Tennis, bis zur Übergabe an die nächste Schicht. Um 4 Uhr 40 jedoch, als aus dem nahegelegenen Olympischen Dorf Schüsse ertönen, ist es mit der Routine vorbei. Nach und nach sickern die Informationen ein: Ein palästinensisches Terrorkommando hat das israelische Olympia-Team überfallen, zwei seiner Mitglieder sind bereits tot, neun weitere als Geiseln genommen. Von diesem Zeitpunkt an sind Politik und Emotionen nicht mehr zu trennen. Was mit Bildern der "heiteren Spiele" begann, der Welt das Gesicht eines neuen Deutschlands zeigen sollte, mündet in einen Albtraum.

Vom Sport zur Weltpolitik – beklemmendes Kammerspiel unter Zeitdruck

"September 5 – The Day Terror Went Live" präsentiert den tragischen Ablauf des Olympia-Attentats als spannungsgeladenen Nachrichtenthriller (Glossar: Zum Inhalt: Thriller), verdichtet auf ein klaustrophob wirkendes Zum Inhalt: Kammerspiel. In der fensterlosen Senderbaracke von ABC Sports schalten die Sportreporter von einer Sekunde auf die andere auf Ereignisse, die im selben Moment die Weltpolitik erschüttern. Nur kurz steht die Frage im Raum, ob diese Story "zu groß" ist für Arledges Team – keiner ist näher am Geschehen, die dramatische Geiselnahme vollzieht sich geradezu in Sichtweite der ABC-Zentrale. Der noch wenig erfahrene Produzent Geoffrey Mason übernimmt die Koordination der Live-Schalte. Ein Reporter schmuggelt Kameras und Filmrollen ins abgeriegelte Dorf. Die deutsche Übersetzerin Marianne Gebhardt besorgt Informationen der deutschsprachigen Sender und erläutert innenpolitische Zusammenhänge. Was sind die Forderungen der Geiselnehmer? Welche Maßnahmen ergreift die Polizei? Werden die Spiele unterbrochen? In einer Atmosphäre ständiger Anspannung, bestimmt von der Jagd auf das richtige Bild, sind nicht nur schnelle Entscheidungen und Improvisation gefragt. Unter extremem Zeitdruck stellen sich auch medienethische Fragen: Was etwa tun, wenn eine Geisel vor laufenden Kameras getötet wird? Die Zum Inhalt: Inszenierung des Schweizer Regisseurs Tim Fehlbaum zielt ganz darauf ab, diese Mischung aus Nervosität und höchster Konzentration abzubilden, was mithilfe einer agilen Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) und hoher Schnittfrequenz (Glossar: Zum Inhalt: Montage) eindrucksvoll gelingt. Das Ergebnis mutet fast Zum Inhalt: dokumentarisch an und vermittelt das Gefühl, mit den handelnden Personen im Schneideraum zu sein.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube-nocookie.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Nachrichtenthriller im nostalgischen Ambiente

Am Ende werden weltweit 900 Millionen Menschen zugesehen haben, wie der Terror live in die Wohnzimmer kam, mehr als bei der Mondlandung. Viele der im Film schlaglichtartig gezeigten Bilder sind ikonisch geworden, auch durch ständige Wiederholung: der Terrorist mit der Skimütze auf dem Balkon, die hilflos über die Dächer huschenden deutschen Polizisten in Trainingsanzügen. Das kunstvoll in den Film montierte Archivmaterial – eine Kombination aus den originalen ABC-Mitschnitten und nachgestellten Szenen – fügt sich nahtlos in das vertraut-nostalgische 1970er-Jahre-Flair gleichartiger Nachrichtenthriller von "Die Unbestechlichen" ("All the President’s Men" , Alan J. Pakula, USA 1976) bis "Zum Filmarchiv: "Spotlight"" (Tom McCarthy, USA 2016). Auch die teils aus Museen herangeschaffte technische Zum Inhalt: Ausstattung mit authentischen Kameras, Scheibentelefonen und Magnetbandgeräten trägt dazu bei. Und so lässt sich fragen, was die deutsche Produktion, besetzt mit vorrangig US-amerikanischen Schauspieler/-innen, eigentlich bezweckt. Vom eigentlichen Geschehen der Geiselnahme erfährt das Publikum, wie die eifrigen Reporter, höchstens über Monitore oder Telefonate. Präsentiert Fehlbaums so makellos gestalteter Film nicht eigentlich einen Nebenschauplatz?

Die hochaktuelle Frage nach journalistischer Ethik

Die besondere Qualität von "September 5" liegt im ambitionierten Ansatz, gerade die Macht der Bilder und damit auch sich selbst zu befragen. "Wessen Story ist das, unsere oder ihre?", heißt es in einem dramatischen Moment. Liefern doch die Reporter in solchen Situationen, auf der ständigen Suche nach dem aktuellsten, dem besten Bild eben das Bild, das der Terror provoziert und braucht. Ist das journalistisch vertretbar oder gar geboten? Die medienethische Frage nach journalistischer Verantwortung erhält einen sicherheitspolitischen Aspekt, als klar wird, dass die "Terroristen" – das Team übernimmt den bei ABC eigentlich ungebräuchlichen Begriff von deutschen Medien – die Fernsehbilder ebenso verfolgen kann wie der Rest der Welt. Das journalistische Grundprinzip der "zweiten Quelle" rückt schließlich in den Fokus, als die fatale Falschmeldung von der angeblichen Befreiung der israelischen Geiseln auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck die Runde macht. Zwischen Emotion und Politik, Moral und hektischem Tagesgeschäft, treffen auch Journalist/-innen manchmal falsche Entscheidungen. Und so zeigt sie uns das packende Drama als engagierte, professionelle Held/-innen ihres Fachs, aber auch als Menschen. Die Fragen, die sie im Film bewegen, sind noch heute brennend aktuell.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Unterrichtsmaterial

Mehr zum Thema