Céline Sciamma, geboren 1978 in Frankreich, studierte französische Literatur an der Universität Paris/Nanterre und Zum Inhalt: Drehbuch an der Filmhochschule La Fémis. Seit 2007 arbeitet sie erfolgreich als Drehbuchautorin und Regisseurin. Ihr Debüt "Water Lilies" ("Naissance des pieuvres" , FR 2007) feierte in der Sektion Un Certain Regard in Cannes Premiere. Ihr zweiter Spielfilm "Tomboy" eröffnete 2011 die Panorama-Sektion der Berlinale und erhielt dort den Teddy Award. Auch der Nachfolger Zum Filmarchiv: "Mädchenbande" ("Bande de filles" , FR 2014) war zuerst in Cannes zu sehen.

Für Zum Filmarchiv: "Mit Siebzehn" ("Quand on a 17 ans" , FR 2016) von André Téchiné und Zum Filmarchiv: "Mein Leben als Zucchini" ("Ma vie de Courgette" , CH/FR 2016, )von Claude Barras schrieb sie die Drehbücher. Zum Filmarchiv: "Porträt einer jungen Frau in Flammen" gewann 2019 in Cannes die Auszeichnung für das beste Drehbuch und war für die Goldene Palme nominiert.

kinofenster.de: Frau Sciamma, Sie sind besonders für zeitgenössische Filmstoffe bekannt. Wie kommt es, dass Sie mit "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ins 18. Jahrhundert zurückgehen?

Céline Sciamma: Das 18. Jahrhundert war ein sehr wichtiger Moment für die europäische Philosophie. Ich wollte über die Künstlerinnen dieser Epoche sprechen. Die "Star-Malerinnen" dieser Zeit – Élisabeth Vigée-Lebrun, Angelika Kauffmann, Artemisia Gentileschi – sind relativ bekannt. Doch es gab hunderte Malerinnen mit erfolgreichen Karrieren, die aus der Kunstgeschichte getilgt wurden. Ich habe mit einem Kunstsoziologen zusammengearbeitet, um eine Künstlerin zu erfinden, die von ihnen allen erzählt. Das historische Setting ist für mich auch ein Experiment – um weiterhin etwas von großer Aktualität zu schaffen.

kinofenster.de: Welche aktuellen Bezüge waren Ihnen wichtig?

Céline Sciamma: Zuallererst wollte ich einen Film über einen Dialog der Liebe machen. Ich wollte über Begehren sprechen, vorsichtig porträtieren, wie Gefühle wachsen. Und ich wollte die Erinnerung an eine Liebesgeschichte schaffen. Erzählen, was davon übrig bleibt. Besonders wichtig war mir auch die Beziehung zwischen Künstlerin und Modell. Diese Idee der fetischisierten, stummen Frau als "Muse" – die inspiriert, weil sie da ist und schön aussieht – ist weiterhin sehr verbreitet. Tatsächlich müssen wir über eine Kooperation im Gestaltungsprozess sprechen, über einen Dialog der Schöpfung, und den Modellen die Macht ihrer Position zurückgeben. Das haben wir auch am Zum Inhalt: Set so umgesetzt. Frauen sind als Künstlerinnen unterrepräsentiert, aber sie waren immer da – seit den Anfängen!

kinofenster.de: Ein großes Thema ist die Abhängigkeit der Frauen von der patriarchalen Ordnung. Warum begegnen uns im Film kaum Männer?

Céline Sciamma: Ich wollte nicht der Konvention der unmöglichen Liebesgeschichte folgen. Es war mir wichtig, dem Schicksal dieser Frauen gegenüber respektvoll und wahrhaftig zu bleiben. Wenn wir die Geschichte der starken Frau, die der Unterdrückung entkommt, immer wieder erzählen, reproduzieren wir die Unterdrückung irgendwann. Ich wollte alles zeigen, was zwischen Héloïse und Marianne möglich ist, und keine Zeit mit Restriktionen verschwenden. Denn wir wissen genau, was sie nicht tun können. Außerdem ist es ein Experiment. Der Schreckmoment, den das Publikum erlebt, wenn es den Boten in der Küche sitzen sieht, nachdem zuvor lange Zeit kein Mann zu sehen war – es ist wie in einem Zum Inhalt: Horrorfilm. Dieser Moment verkörpert das Patriarchat. Es wird nur ein Wort gesprochen: "Hallo". Das ist der Abschied. Dieses "Hallo" meint "Lebwohl". Ich verbanne die Männer nicht aus dem Bild, um zu wiederholen, was sie Frauen angetan haben, und um sie zum Schweigen zu bringen. Es geht darum, ihre Stimmen anders zu hören.

kinofenster.de: Die Kamera bleibt sehr nah bei den Protagonistinnen. Wir sehen wenig von der Welt, die sie umgibt.

Céline Sciamma: Wenn sie dem Blick der Gesellschaft ausgesetzt sind, dann geht es nur um Konventionen, sie können nicht sie selbst sein. Wollen wir also Intimität mit weiblichen Figuren herstellen, müssen wir ihre Einsamkeit teilen. Darin können sie anders sein, sie selbst sein. Kino ist die einzige Kunstform, die tatsächlich die Macht hat, jemandes Einsamkeit und Intimität zu teilen.

kinofenster.de: Die räumliche Zum Inhalt: Inszenierung der Frauen erinnert an Tableaus. Ist das nicht ein Kontrast zu der Idee, Freiheit in Intimität zu finden?

Céline Sciamma: Das Kino kann Fragen stellen, die andere Künste betreffen. In der Wahl der Einstellungen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) und des Zum Inhalt: Lichts stellen wir uns die Fragen, die sich Maler/-innen auch stellen. Aber in all unseren Antworten geht es um das Kino. Jede Zum Inhalt: Einstellung könnte wie ein Tableau aussehen. Aber nicht, weil wir der Malerei Tribut zollen, sondern weil wir Kino machen und versuchen, neue, eigene Bilder zu kreieren. Das verpassen wir, wenn wir Frauen nicht als Künstlerinnen arbeiten können. Natürlich fehlen dann gewisse Bilder in der Kunstgeschichte. Aber sie sind ein Teil unserer Intimität. Darum geht es beim fiktionalen Erzählen: um eine Verkörperung unserer Intimität. Ich habe zum Beispiel kaum Abtreibungsszenen auf der Leinwand gesehen. Wir zeigen sie. Und stellen gleichzeitig ihre Darstellung aus.

kinofenster.de: Propagiert der Film einen anderen, weiblichen Blick?

Céline Sciamma: Der männliche Blick ist die Konvention. Beim weiblichen Blick geht es darum, immer Subjekte anzusehen, die Angeschauten nie zum Objekt zu machen. Der Film verkörpert den weiblichen Blick als eine Abkehr von der Konvention. Und er versucht, neue Bilder zu finden. Es geht also nicht darum, wie spezifisch unser Blick ist, es geht darum, wie neu er ist.

kinofenster.de: Welche Rolle spielt die strukturierte Farbgestaltung?

Die farbliche Gestaltung (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) ist nicht symbolisch oder metaphorisch, keine Farbe steht für etwas Bestimmtes. Meine Figuren haben alle eine Uniform, ein gleichbleibendes Zum Inhalt: Kostüm. Es geht darum, starke Charaktere zu erschaffen. Wir haben außerdem viel daran gearbeitet, dass das Licht direkt von den Figuren ausgeht, und die Farben helfen uns natürlich dabei.

kinofenster.de: Auch der sparsame Einsatz von Musik ist auffällig.

Céline Sciamma: Ich wollte von Anfang an einen Film ohne Zum Inhalt: Filmmusik machen. Ich wollte das Publikum in dieselbe Lage versetzen wie die Figuren, die frustriert sind über ihren limitierten Zugang zu Schönheit. Dadurch rücken Musik und Kunst wieder in den Mittelpunkt. Wenn sie auftauchen, ist es überwältigend. Es geht darum, dass Musik wichtig ist. Deswegen ist sie nicht da. (lacht)

kinofenster.de: Was können Jugendliche aus dem Film mitnehmen?

Céline Sciamma: Der Film versucht, ein aktives Publikum zu kreieren. Ich möchte, dass die Zuschauenden den Raum finden, über ihre eigenen Liebesgeschichten nachzudenken – über ihre Körper, ihre Sexualität. Der Film kann tröstend sein – und eine Lust auf Filme auslösen.

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