Die Figur des Thomas ist Corentin Filas erste Rolle als Schauspieler. Der 28-jährige Franzose wuchs in Paris auf, studierte dort nach dem Abitur Wirtschaftswissenschaften und arbeitete als Model. Als er 2012 das mit schwarzen Schauspielern und Schauspielerinnen besetzte Theaterstück "The Suit" von Peter Brooks sah, war dies für ihn eine Art Offenbarung. Er schrieb sich an der renommierten Pariser Schauspielschule Cours Florent ein und nahm für Zum Filmarchiv: "Mit siebzehn" erstmals an einem Casting teil. Für die Darstellung des Thomas wurde Corentin Fila für den französischen Filmpreis César als bester Nachwuchsschauspieler nominiert.

"Mit siebzehn" ist Ihr erster Film. Was hat Sie an Damiens und Thomas' Geschichte gereizt?

Gleich zu Beginn ist etwas Seltsames passiert, zwischen dem Regisseur André Téchiné und mir als auch mit meinem Filmpartner Kacey Mottet Klein. André ist 73 Jahre alt, aber er war wie ein Freund. Das ist schon verrückt: Du selbst kennst jemanden nicht gut, aber weil dieser Jemand dich Szenen spielen lässt und dich dabei genau beobachtet, kennt er dich in- und auswendig. Das hat mir sehr viel Vertrauen gegeben. Kacey und ich sind ebenfalls beste Freunde geworden. Auch der ungewöhnliche Zum Inhalt: Drehort hatte es mir angetan. Wir haben im Winter angefangen, hoch oben in den Pyrenäen zu drehen. Um besser in die Haut von Thomas, meiner Figur, zu schlüpfen, hatte ich kurz vorher ein Praktikum auf einem Bergbauernhof gemacht. Für mich waren das sehr eindrückliche Erlebnisse und Thomas hat mich noch lange beschäftigt.

Wie würden Sie Thomas beschreiben? Wie steht er zu Damien?

Thomas ist ein Eigenbrötler. Ihm geht es gut, wenn er in der Natur, im Wald, in den Bergen und umgeben von Tieren ist. Unter Menschen ist er introvertiert und kann sich nicht ausdrücken. Doch in ihm toben große Kräfte. Er ist wie ein wildes Tier, das Angst hat, den Menschen zu vertrauen. Thomas ist ja nicht das leibliche Kind seiner Eltern, sondern der Adoptivsohn. Ich denke, er fürchtet deshalb besonders, von anderen zurückgestoßen zu werden. Der Schulalltag ist also unerträglich für ihn und er hasst Damien, weil er all das besitzt, was er nicht hat. Damien ist selbstsicher und hat zum Beispiel keine Probleme damit, vor der Klasse ein Gedicht vorzutragen.

Was zeichnet Damien außerdem aus?

Damien ist auch ein Außenseiter, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Er kommt aus einem wohlhabenderen Milieu, die Schule und der Umgang mit anderen fallen ihm leicht. Er ist – anders als Thomas – schon einen Schritt weiter, was Sexualität betrifft. Er weiß, dass er schwul ist, und stellt sich viele Fragen dazu. Das unterscheidet ihn von den anderen. Thomas hingegen hat noch nie wirklich über seine Sexualität nachgedacht.

Mit siebzehn, Szene (© Kool Filmdistibution)

Wissen Thomas und Damien von Anfang an, warum sie sich prügeln?

Nein, im Gegenteil. Ich glaube, sie verstehen überhaupt nicht, was ihnen passiert. Sie sind wie zwei Magneten, die sich auf der einen Seite anziehen und auf der anderen abstoßen.

Allmählich werden sie sich ihrer Gefühle füreinander bewusst, beginnen sie zu verstehen. Inwiefern stellt dies ein Problem für sie dar?

Beide erleben ihre Annäherung sehr verschieden. Thomas tut sich schwer, seine Gefühle überhaupt zuzulassen. Es bleibt auch unklar, ob er tatsächlich schwul ist oder ob Damien einfach der erste Mensch ist, dem er vertrauen kann. Vielleicht hätte es auch eine Frau sein können. Damien ist sich seiner Gefühle und seiner sexuellen Orientierung sicher, aber hat Angst von seiner ersten großen Liebe zurückgewiesen zu werden. Hinzu kommen wahrscheinlich Ängste vor den Reaktionen des Umfeldes – wobei Damiens Mutter fantastisch reagiert. Sie ist die Erste, die Thomas schön findet und ihn zu sich nach Hause einlädt. Es ist fast so, als ob sie ihren Sohn leiten würde. Thomas' Familie würde sich vielleicht etwas schwerer tun.

In Frankreich wie in Deutschland können homosexuelle Menschen heute offen leben. Doch es kursieren noch Vorurteile. Sie sind heterosexuell. Ist die Rolle des Thomas für Sie eine Rolle wie jede andere?

Ja, es ist eine Rolle wie jede andere. "Mit siebzehn" erzählt vor allem eine Liebesgeschichte. Das war auch André Téchiné wichtig. Er hat während des Drehs nie von Homosexualität gesprochen. Es ging um Sehnsucht, Lust und Liebe, um Angst und das Gefühl von Verlassenheit. Wir haben uns mit der Liebe im Allgemeinen beschäftigt. Einige aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis haben mich später gefragt, ob ich nicht Probleme hatte, die Sexszene zu spielen. Ich muss sagen: Nein. Ich habe inzwischen ähnliche Zum Inhalt: Szenen mit Mädchen gedreht und da war ich viel gehemmter.

Inwiefern ist Homosexualität für junge Menschen heute normal?

Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Wenn man homosexuell ist, gehört man nach wie vor zu einer Minderheit. Es stellen sich also automatisch mehr Fragen. Man muss sich seiner Sexualität erstmal bewusst werden, sie akzeptieren und sich anderen mitteilen. Das erfordert zum Teil viel Mut, denn Familien und Freunde reagieren nicht alle gleich. Auch bei Publikumsgesprächen nach dem Film hören wir ganz unterschiedliche Geschichten. Ich selbst habe nie viel darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, homosexuell zu sein. Aber durch den Film bin ich mit Menschen ins Gespräch gekommen, denen die Geschichte von Damien und Thomas sehr viel bedeutet, weil es ein bisschen die ihre ist. Wir haben auch Dankesbriefe von Zuschauern erhalten, die durch den Film Mut gefasst haben, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie sind.

Die Pubertät ist ein Sujet, das sich quer durch die Filmgeschichte zieht, und Zum Inhalt: Coming-of-Age ist ein beliebtes Zum Inhalt: Genre. Inwiefern können Filme über das Heranwachsen junge Menschen berühren oder gar beeinflussen?

Die Pubertät ist eine verrückte Zeit. Man entdeckt seine Gefühle. Man verliebt sich und fühlt sich, als ob man der einzige Mensch auf der Welt wäre, dem es genauso geht. Man erlebt alles sehr intensiv, wenn man siebzehn Jahre alt ist – wie in dem Gedicht von Arthur Rimbaud (Anm. d. Red.: Rimbauds Gedicht "Roman" wird im Film von Damien rezitiert; die vorletzte Zeile ist titelgebend für den Film). Filme wie "Mit siebzehn" können junge Menschen dazu ermutigen, keine Angst vor sich selbst und anderen zu haben. Man kann am Beispiel von Damien und Thomas lernen, anderen zu vertrauen.

Welche Gedanken oder Gefühle würden Sie durch "Mit siebzehn" gerne bei einem jungen Publikum auslösen?

Ich würde mir wünschen, dass nach dem Film etwas anders ist als vor dem Film. Dass man sich eine Frage stellt, die man zuvor nicht hatte, oder ein neues Gefühl kennenlernt. Das gilt nicht nur für diesen, sondern für alle Filme.