Die Titelfigur in Zum Filmarchiv: "Mein Leben als Zucchini" hat nicht nur einen lustigen Namen, sondern auch blaue Haare, große runde Augen und sehr lange Arme und – sie ist eine Puppe. Da sich eine Puppe nicht von selbst bewegen kann, wird ihre Position von sogenannten Animatoren und Animatorinnen Stück für Stück verändert. Nach jeder Änderung wird eine Aufnahme davon gemacht. Man nennt dieses Verfahren Zum Inhalt: Stop-Motion-Technik. Das heißt, die Zum Inhalt: Szenen in diesem Zum Inhalt: Animationsfilm wurden in vielen Einzelbildern aufgenommen, in denen die 25 Zentimeter großen Puppen jedes Mal ein kleines Stück bewegt wurden. Spielt man diese Aufnahmen (24 Bilder pro Sekunde) schnell hintereinander ab, entsteht der Eindruck eines flüssigen Bewegungsablaufs. Im Prinzip funktioniert diese über 100 Jahre alte Form der Animation wie ein Daumenkino, allerdings dauerten die Dreharbeiten an "Mein Leben als Zucchini" ganze acht Monate.

Die Stimmen der Kinderfiguren stammen von Kindern ohne schauspielerische Erfahrung, die Stimmen der Erwachsenen von professionellen Schauspielern und Schauspielerinnen. Dadurch wirken die Gespräche im Film sehr natürlich. Der Stil des Films und das eigenwillige Aussehen der Figuren wirken dagegen unrealistisch, doch die lebensnahen Themen verankern die Filmhandlung klar in der Wirklichkeit.

Making of – Mein Leben als Zucchini, Regisseur Claude Barras erzählt, wie der Film synchronisiert wurde. (© polyband Medien GmbH)

Verschobene Realität

In einem Interview zitiert Claude Barras, Regisseur von "Mein Leben als Zucchini" , eine Aussage des "Tim und Struppi"-Erfinders Hergé: "Je einfacher das Gesicht einer Figur gezeichnet ist, desto stärker kann der Betrachter später seine eigenen Gefühle hineinprojizieren und sich mit der Figur identifizieren." Ein Foto oder ein realistisches Porträt stellen eine ganz bestimmte Person dar. Zwei Punkte und ein Strich können hingegen alle möglichen Personen bezeichnen, auch die Betrachter/-innen selbst. Deshalb erkennen wir in einem simplen :-) oder der Frontansicht eines Autos menschliche Gesichter.

Claude Barras spricht in Bezug auf seinen Film von einer "verschobenen Realität". Denn seine ungewöhnlichen Figuren wollen keineswegs die Wirklichkeit nachahmen. Als "schön" können Zucchini, Camille und die anderen Charaktere kaum gelten. Sofort fällt auf, dass die Größenverhältnisse nicht stimmen: Die runden Köpfe und Augen sind im Verhältnis zu groß, die Arme viel zu lang. Auch die roten Nasen und Segelohren und die fahle Gesichtsfarbe muten seltsam an. "Ich würde eher Kartoffel sagen bei dem Gesicht", begrüßt der vorlaute Simon den neuen Heimbewohner Zucchini – und könnte damit genauso gut sich selbst oder eins der anderen Kinder meinen. Verstärkt durch die holprigen Bewegungen der Stop-Trick-Animation bezeichnet das spezielle Aussehen der Puppen den Kummer der Figuren.

Making of – Mein Leben als Zucchini, Regisseur Claude Barras erklärt, wie die Augen der Filmfiguren Emotionen widerspiegeln. (© polyband Medien GmbH)

Die Augen eines Menschen gelten als "Fenster zur Seele", denn in Blicken spiegeln sich Gefühle wie Freude, Trauer und Wut, Liebe oder Mitgefühl wider. Die kreisrunden Augen der Figuren aus "Mein Leben als Zucchini" sind im Vergleich zum Gesicht viel zu groß und von starken Rändern umgeben, die ihren betrübten Grundausdruck hervorheben. Bei Béatrice betont eine große rote Brille die Augen zusätzlich, die schüchterne Alice versteckt ihr halbes Gesicht hingegen meistens hinter einer Haarsträhne. Das lenkt den Blick noch mehr auf die Innenwelt der Kinder, weil die auffälligen Augen auf sichtbare Weise Gefühle vermitteln.

In zwei Szenen wird besonders deutlich, wie die Körpersprache der sieben Kinder vermittelt, was sie denken und fühlen. Als sie bei ihrem Skiausflug den vertrauten Umgang einer Mutter mit ihrer Tochter beobachten, erscheinen sie mit den fast zum Boden baumelnden Armen und den hängenden Schultern umso enttäuschter: Das Gefühl, von keinem Menschen geliebt zu werden, zeigt sich in der Körperhaltung und dem traurigen Blick. Ganz anders wirken die langen Arme, als die Kinder sie für ein Gruppenfoto in die Höhe strecken: Zusammen mit dem Lächeln und einem freudigen Glanz in den Augen drücken sie nun das im Moment empfundene Glück aus.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Kinder und Erwachsene

"Mein Leben als Zucchini" nimmt die Perspektive der Kinder ein, die in der Handlung den Ton angeben. Der Titelheld Zucchini und sein Schwarm Camille stehen im Mittelpunkt, doch auch der freche Simon übernimmt eine wichtige Rolle und wandelt sich im Lauf der Geschichte vom Rüpel zum Freund. Der nimmersatte Jujube, der sogar Zahnpasta isst, der verträumte Ahmed und die freundliche Béatrice haben ebenfalls einen ganz eigenen Charakter. Ihre harten Schicksale machen die Kinder schneller erwachsen als Gleichaltrige. So liest die 10-jährige Camille zum Beispiel ein Buch, das eigentlich für Erwachsene geschrieben wurde: Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Anders als in vielen anderen Kinderfilmen treten die älteren Figuren nicht als Witzbolde auf, sondern als echte Erwachsene. Der Klassenlehrer Monsieur Paul und die Sozialarbeiterin Rosy erwerben mit ihrer liebenswerten Art das Vertrauen ihrer Schützlinge, wobei vor allem Rosys Gutenachtkuss ein geschätztes Ritual ist. Auch der nette Polizist Raymond gewinnt Zucchinis Herz und bietet sich sogar als Adoptivvater an. Zugleich wirkt die Welt der Erwachsenen bedrohlich auf die Kinder. Sehr unfreundlich tritt Camilles lieblose Tante Ida auf: "Kinder haben doch keinen Willen", findet sie und zeigt damit ihren unfeinen Charakter, der im krassen Gegensatz zu den sensiblen Gemütern der Kinder steht.

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