Eine der letzten Zum Inhalt: Szenen des Spielfilms Zum Filmarchiv: "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" spielt in einer Berliner S-Bahn (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set). Auf die Frage, wer die Welt verändern könne, antwortet Gerda, eine Arbeiterin und Freundin der weiblichen Hauptfigur Anni: "Die, denen sie nicht gefällt." Die Schlusssequenz verweist in ihrer dialektischen Erörterung der politischen Verhältnisse auf das epische Theater, das maßgeblich von Bertolt Brecht und Erwin Piscator entwickelt wurde. Bereits lange bevor sich Brecht neuen ästhetischen Bühnenkonzepten zuwandte, hatte er sich ab 1918 als Theaterkritiker mit dem jungen Medium Film auseinandergesetzt. Eine Don-Carlos-Inszenierung lobte er, da sie im Spannungsaufbau mit dem Kino mithalten könne. Beim Tempo und den zahlreichen Szenenwechseln in den Stücken von Georg Kaiser (1878-1945) glaubte er sogar zu erkennen, dass dessen Dramaturgie deutlich vom bewegten Bild beeinflusst sei. Brecht prognostizierte für die Bühne der Zukunft, dass sie "zum Film hin" laufe.

Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?, Szene (© Praesens Film)

Filmische Ambitionen ohne Erfolg

Anfang der 1920er-Jahre notierte Brecht, dass man "einfache Stücke" schreiben müsse, "die die Schicksale von Menschen schildern, Menschen, die die Gewinne der Stücke sein sollen." In dieser Hinsicht interessierte Brecht der nüchterne Protokollstil der "Wochenschau" als Gegenentwurf zum elaborierten bürgerlichen Theater. Ebenso hob er die Bedeutung Charlie Chaplins und dessen "fast völligen Verzicht auf Mimik und billige Psychologismen" hervor.

Brechts Werkverzeichnis listet in den Jahren 1918/19 acht Stücke, aber nur drei in den folgenden Jahren. Anhand der Arbeitsjournale lässt sich rekonstruieren, wohin sich Brechts Fokus richtete: Um Geld zu verdienen, schrieb er Drehbücher für Kriminal- und Abenteuerfilme, die aber nicht verfilmt wurden. Seine filmischen Ambitionen ließen vorübergehend nach, als plötzlich die Theater den Dramatiker Brecht entdeckten und seine Stücke auf die Bühne brachten. 1922 wandte sich Brecht noch einmal dem Medium Film zu. Mit Karl Valentin und Erich Engel schrieb er das Zum Inhalt: Drehbuch zu dem surrealen Kurzspielfilm "Die Mysterien eines Frisiersalons" (Erich Engel, Bertolt Brecht, DE 1922/23). Valentin untersagte 1928 weitere Aufführungen, nachdem er erfahren hatte, dass Brecht den Zum Inhalt: Plot von einem US-amerikanischen Zum Inhalt: Slapstick-Film "übernommen" hatte.

Die Dreigroschenoper auf der Bühne und im Kino

1928 erlebten Bertolt Brecht und Komponist Kurt Weill mit ihrer Dreigroschenoper den internationalen Durchbruch. Das Theaterstück, in dem die Grenzen zwischen Kriminellen und Bürgertum verwischen, sollte von der Nero-Film AG für das Kino adaptiert werden. Brecht verfasste unter dem Titel "Die Beule – Ein Dreigroschenfilm" das Exposé. Am Drehbuch wurde er nicht mehr beteiligt; die ästhetischen und inhaltlichen Vorstellungen gingen zu weit auseinander. Die Darstellung des organisierten Verbrechens lediglich als eine Form der systematischen Ausbeutung des Menschen im Kapitalismus erschien zu radikal. Brecht klagte vergeblich gegen die filmische Zum Inhalt: Adaption, die 1931 in der Zum Inhalt: Regie von Georg Wilhelm Pabst in die Kinos kam.

Erkenntnisse, nicht Gefühle

Um 1930 entwickelte Brecht in Zusammenarbeit mit den Komponisten Paul Hindemith, Kurt Weill und Hanns Eisler das Lehrstückprinzip. Zeitgenössische Themen sollten von Laienspielgruppen, Arbeiterensembles sowie von Schülerinnen und Schülern aufgeführt werden. Demnach gab es keine Abgrenzung mehr zwischen Darstellenden und Zuschauenden, sondern alle wurden als aktiv Teilnehmende gedacht. Als Form der Avantgarde-Oper sollten die Beteiligten die Konflikte im Sinne des epischen Theaters durchdenken und zu eigenen Erkenntnissen kommen. Beim Badener Lehrstück vom Einverständnis (1929/30) sowie bei der ersten Fassung des Dramas Die Maßnahme (1930) ist der bulgarische Autor und Regisseur Slatan Dudow als Mitarbeiter vermerkt. In Berlin wirkte er in Erwin Piscators Ensemble "Proletarisches Theater" und als Regie-Assistent von dokumentarischen Agitprop-Filmen. Er teilte mit Brecht das Interesse an deutschen Filmen wie etwa "Mutter Krausens Fahrt uns Glück" (Phil Jutzi, DE 1929), die soziale Realität ungeschönt darstellten. Ebenso schätzten beide das sowjetische Kino, das das Proletariat als Motor der Revolution darstellte, beispielsweise Sergej Eisensteins Zum Filmarchiv: "Panzerkreuzer Potemkin" ("Bronenosez Potemkin" , Sergej Eisenstein, UdSSR 1928). Nach der Erfahrung mit der Dreigroschenoper-Verfilmung war Brecht klar, dass ähnliche Stoffe nicht durch die großen Filmstudios umgesetzt werden konnten.

Film als Werk eines Kollektivs

Gemeinsam wandten sich Brecht und Dudow an die 1926 gegründete Prometheus Film, die der Kommunistischen Partei nahestand und die die Produktion ihres Stoffs "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" größtenteils realisierte – nach der Insolvenz während der Dreharbeiten übernahm die Zürcher Präsens Film die Fertigstellung. Neben Dudow und Brecht arbeitete auch der Schriftsteller Ernst Ottwalt als Drehbuchautor mit, der die Expertise sozialer Realität mitbrachte. In seinem Roman Recht und Ordnung (1929) porträtierte er das kämpfende Proletariat, in seinem Theaterstück Jeden Tag vier illustrierte er den harten Alltag von Grubenarbeitern. Der Filmwissenschaftler Wolfgang Gersch (1935-2020) konstatierte über das Zusammenwirken der Drehbuchautoren: "Es bedeutet keine Herabsetzung des Kollektivs, wenn "Kuhle Wampe" als Brecht-Film bezeichnet wird. Die aus dem Brecht'schen Arbeitskreis hervorgegangenen Mitarbeiter waren Parteigänger der Ästhetik Brechts, die er – und darüber besteht kein Zweifel – als Primus inter pares entwickelte."

Zweifelsohne ist "Kuhle Wampe" trotz späterer Arbeiten wie dem Drehbuch zu Fritz Langs Drama "Auch Henker sterben" ("Hangmen also Die" , USA 1943) der einzige Film, bei dem Brecht von Anfang bis Ende involviert war. Dies spiegelt sich in der Zum Inhalt: Dramaturgie und der Wahl filmästhetischer Mittel wider: Obwohl Brecht nachweislich nur den letzten Akt von "Kuhle Wampe" schrieb, kennzeichnen den gesamten Film Merkmale des epischen Theaters. So wird die Handlung immer wieder durch kommentierende Lieder (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) wie das Solidaritätslied unterbrochen. Brechts Absage an die auf das Mitfühlen abzielende Dramaturgie spiegelt sich in den Verfremdungs-Effekten wider. Zu Anfang des vierten Akts liest Annis Vater einen Zeitungstext vor, der detailliert den Nackttanz Mata Haris beschreibt, während auf der Bildebene Preisschilder von Lebensmitteln eingeblendet werden und Annis Mutter das Haushaltsbuch führt.

Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?, Szene (© Praesens Film)

Kuhle Wampe – Nachwirkungen

Der fertig gestellte Film passierte 1932 nicht die Zensur. Die 1920 gegründete Filmprüfstelle stellte fest: "Die öffentliche Sicherheit und Ordnung und lebenswichtige Interessen des Staates" seien gefährdet, da die Situation der Familie Bönicke nicht als Einzelschicksal aufgefasst werden könne, sondern typisch für die Lage der Arbeiter dargestellt werde. Da im Schlussakt deutlich gemacht wird, dass vom Staat keine Änderung der Verhältnisse erwartet werden könne, werde suggeriert, diese könne nur durch "die kommunistische Weltrevolution" erfolgen.

Zahlreiche Proteste führten dazu, dass das Verbot unter Auflagen aufgehoben wurde. Doch nur für kurze Zeit, denn am 26. März 1933 verbot das nationalsozialistische Regime den Film endgültig. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs galt der Film als verschollen. Eine Kopie wurde 1956 von Frankreich an die DDR übersandt. 1958 wurde "Kuhle Wampe" anlässlich der Ausstellung "60 Jahre Film" in Ost-Berlin erstmals wiederaufgeführt. Im Rahmen von Brecht-Werkschauen war der Film 1963 auch in den USA und in Italien zu sehen. Kinobesucher/-innen der BRD mussten sich noch länger gedulden: Erst Ende 1969 lief "Kuhle Wampe" im von ehemaligen Studierenden der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin gegründeten "Rote Studenten und Arbeiter Kino".

Mehr zum Thema