Kategorie: Interview
"Der Schmerz war für beide Seiten gleich"
Der französische Regisseur François Ozon hat mit "Frantz" erstmals einen historischen Stoff verfilmt. Im Interview erklärt er, was ihn daran gereizt hat und was ihn mit Deutschland verbindet.
François Ozon, 48, ist einer der wichtigsten und vielseitigsten Filmregisseure Frankreichs. In seinem Werk finden sich provokante Komödien (, 1998) ebenso wie düstere Kriminalfilme (, 2003) und subtile Charakterdramen (, 2000; "Die Zeit die bleibt" , 2005). Wie sein Regie-Idol Rainer Werner Fassbinder stellt er häufig Frauenfiguren in den Mittelpunkt, gespielt von internationalen Stars wie Catherine Deneuve oder Charlotte Rampling. In den letzten Jahren hat er sich stilistisch häufiger einer klassischen Inszenierung zugewandt. Zum Filmarchiv: "Frantz", in deutscher und französischer Sprache gedreht, ist sein erster historischer Film.
Monsieur Ozon, Sie machen meist sehr moderne Filme. Was hat Sie nun an einem historischen Film gereizt?
Mich hat nicht das historische Zum Inhalt: Genre an sich gereizt, sondern ein Film über Lügen und Geheimnisse in harten, schmerzhaften Zeiten. Und darüber, dass es manchmal helfen kann, die Wahrheit zu verstecken, um den Schmerz zu überwinden. Um diese Geschichte zu erzählen, brauchte ich natürlich eine sehr dramatische Epoche. Da bot sich 1919 an – ein Jahr der Trauer, nach Ende des Ersten Weltkrieges, als es allein in Europa zwischen sieben und acht Millionen Kriegstote zu beklagen gab.
Was ist Ihr Verhältnis zur deutschen Kultur?
Meine erste Reise überhaupt, damals als Kind, führte mich nach Deutschland. Als Kind ist man stets voller Bewunderung für das Fremde. In diesem Film war es mir sehr wichtig, den deutschen Blickwinkel einzunehmen, die Verliererperspektive. Es gibt zwar bei uns sehr viele Filme über den Ersten Weltkrieg, sie stellen jedoch immer den französischen Standpunkt dar. Ich wollte zeigen: Der Schmerz war für beide gleich, auf welcher Seite man auch stand.
Warum ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich ausgeprägter als das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg? In Deutschland verhält es sich umgekehrt.
Beide Weltkriege sind in Frankreich sehr präsent. Der Erste Weltkrieg allerdings fand großenteils auf französischem Territorium statt. Daher sind die Spuren in der Landschaft bis heute sichtbar. Das spürt man noch heute, etwa am Gedenktourismus rund um die Stätten des Krieges.
Es gibt viele deutsch-französische Filme, die vom Ersten Weltkrieg handeln, etwa "Die große Illusion" (1937) und "Jules und Jim" (1962). Ist es Absicht, dass die Bilder sich ein wenig überlagern?
Es gibt sicher so etwas wie ein kinematografisches Gedächtnis. Wichtig waren für mich persönlich "Wege zum Ruhm" (1957) von Stanley Kubrick und Lewis Milestones "Im Westen nichts Neues" (1930), nach dem Roman von Erich-Maria Remarque. Gerade letzterer hatte einen großen Einfluss, weil es darin auch um die Frage der Schuld geht. Es gibt darin eine ähnliche Szene im Schützengraben, wenn auch unter umgekehrten Voraussetzungen.
Große Teile des Films sind in Zum Inhalt: Schwarz-Weiß gedreht, dabei spielt Farbe eine große Rolle in Ihren Filmen. Warum dieser Entschluss?
Der Film sollte ursprünglich in Farbe gemacht werden, doch während der Recherche und der Zum Inhalt: Drehortsuche habe ich mich für Schwarz-Weiß entschieden, weil unser ganzes Gedächtnis dieser Epoche auf Schwarz-Weiß-Fotos beruht. Paradoxerweise wirkt Schwarz-Weiß auf uns in diesem Zeitbezug realistischer. Es war insofern eine pragmatische Entscheidung.
Einige Szenen haben Sie dennoch in Farbe gedreht.
Es tat mir doch ein bisschen leid, so ganz auf Farbe zu verzichten. Vor allem beim Spaziergang von Anna und Adrien, der sehr romantisch ist und auf ein Gemälde von Caspar David Friedrich anspielt. Ich dachte mir, warum sollte ich in diese Zeit des Schmerzes und des Leidens nicht so ein paar Farbtupfer des Lebens hineinbringen?
Adrien und schließlich auch Anna verfangen sich immer mehr in einer Lüge. Inwiefern ist das auch filmisch für Sie ein spannendes Thema?
Die Lüge, letztlich nichts anderes als eine Fiktion, ist ein Teil des Kinos. Im Alltag wie in der Kunst dreht sich alles immer auch um Lüge. Das in einem Kontext von Kino und Kunst zu betrachten, halte ich für sehr interessant.
Gibt es für Sie gute und schlechte Lügen?
Natürlich. Ich gebe aber keine Antworten, ich stelle nur Fragen. Ich finde die Lüge in ihrer Komplexität interessant. Manche Lügen können Leben zerstören. Anna lügt, um ihre Schwiegereltern zu schützen. Die Frage ist, ob ihr diese Lüge selber guttut.
In Ernst Lubitschs "Der Mann, den sein Gewissen trieb" (1932), Ihrer filmischen Quelle, wird das Geheimnis bereits zu Beginn aufgedeckt. Was haben Sie noch im Gegensatz zur Vorlage geändert?
Der Film von Lubitsch ist aus der Perspektive des jungen Franzosen geschildert. Man darf auch nicht vergessen: Lubitsch war zu dieser Zeit ein amerikanischer Regisseur aus Deutschland. Er drehte diesen Film auch aus Liebe zu Deutschland, mit einer gewissen Nostalgie, einer gewissen Naivität. Er konnte seinerzeit nicht wissen, dass der Zweite Weltkrieg kommen würde. Wenn wir den Film mit seiner pazifistischen Aussage, die auf Versöhnung abzielt, heute sehen, müssen wir ihn in den damaligen Kontext einordnen. Es gibt Szenen darin, die ich direkt übernommen habe. Die wichtigste ist die Szene im Gasthof, in der der Vater mit den anderen Vätern darüber redet, wie die Söhne verheizt worden waren, auf beiden Seiten.
Waren die Dreharbeiten in einer mehr oder weniger fremden Sprache ein Problem?
Es lief wirklich sehr gut. Ich hatte mit sehr guten deutschen Schauspielern zu tun, die ich von Anfang an darum bat, mir zu helfen. "Bitte, Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Bringt euch bei den Dialogen mit ein!" Allerdings habe ich mit den verschiedenen deutschen Schauspielern ganz unterschiedlich gearbeitet. Mit Paula Beer, die gut Französisch spricht, konnte ich meist Französisch reden. Mit Ernst Stötzner habe ich meist Englisch gesprochen. Und Marie Gruber, die beides nicht spricht, musste ich auf Deutsch anleiten.
Welche Rezeption erwarten Sie in Frankreich und in Deutschland?
Ich glaube, die Franzosen werden sehr überrascht sein. Normalerweise sind Deutsche in französischen Filmen die Bösen, die Nazis, aber keine Identifikationsfiguren. Es wird das französische Publikum vermutlich verblüffen, Deutsche gerade aus dieser Epoche einmal anders zu sehen. Und wenn der Film dazu führt, dass vielleicht mehr junge Franzosen Deutsch lernen, umso besser. Leider passiert das immer weniger. Wenn der Film mehr Lust macht, sich mit deutscher Kultur auseinanderzusetzen, würde mich das freuen.