Im Radio erläutert ein Nachrichtensprecher zu Beginn der Serie Zum Filmarchiv: "Deutscher" ein fiktives politisches Szenario. Die bisherigen Volksparteien haben bei der jüngsten Bundestagswahl erneut deutlich an Stimmen verloren, heißt es da. Und weiter: "Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik wird eine Partei, die deutlich rechts von der Mitte steht, die Regierung stellen." Die Serie umschifft jegliche Parteinamen, aber mit jener neuen Regierungspartei wird ohne Zweifel auf die AfD angespielt. Im Handlungsverlauf geht es um das veränderte gesellschaftliche Klima, das mit der Wahl einer völkisch-nationalistischen Regierung einhergeht. Eine namenlose deutsche Kleinstadt ist das Setting (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) dieser modellartigen Geschichte.

Zwei Nachbarsfamilien als soziale Stereotype

Die Hauptfiguren – zwei Nachbarsfamilien, jeweils Vater, Mutter und Sohn – sind augenzwinkernd als Stereotype aus der Mittelschicht der deutschen Gesellschaft angelegt. Das zeigen die gewöhnlichen Namen der beiden Familien an (Schneider und Pielcke), ihre beispielhaft-bürgerlichen Berufe und ihre vermeintlich durchschnittlichen Einfamilienhäuser. Bei all den Gemeinsamkeiten hebt die Zum Inhalt: Inszenierung jedoch gerade die Unterschiede zwischen den Familien hervor.

Die Schneiders sind ein Akademikerpaar, Christoph ist Gymnasiallehrer und Eva Apothekerin. Ihre Charakterisierung als Bildungsbürger/-innen ist mitunter satirisch überzeichnet, etwa wenn Eva über das "fettige" Grillgut bei den Pielckes lästert oder Christoph große Reden über gesellschaftliche Fehlentwicklungen schwingt, sich dann aber der sozialen Verantwortung entzieht. Sie schwanken zwischen dem Schock über die politische Entwicklung und der Selbstvergewisserung, die neue Regierung werde schon an sich selbst scheitern. Frank Pielcke begrüßt hingegen das Wahlergebnis: "Vielleicht packt die neue Regierung ja endlich die ganzen Probleme an!" Er arbeitet als Klempner – seine Frau Ulrike sorgt für Buchhaltung und Haushalt – und wird als "besorgter Bürger" gezeichnet, der wohl aufgrund von Abstiegsängsten und Ressentiments rechts gewählt hat. Wiederholt zeigt die Kamera eine Außenansicht der aneinandergrenzenden Immobilien, um die politische Polarisierung der Nachbarn mit komischem Effekt ins Bild zu setzen: die Pielckes in einem hellblauen und die Schneiders in einem roten Haus (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung).

Wer gilt als deutsch nach einem politischen Rechtsruck?

Stereotype Figuren sind ein bewährtes Mittel in der Zum Inhalt: Komödie, doch der ironische Tonfall der Serie ändert sich, sobald der Kernkonflikt der Serie an Bedeutung gewinnt. Im Mittelpunkt steht die grundlegende Auseinandersetzung darüber, wer in den Augen der hegemonialen weißen Mehrheit der Gesellschaft als deutsch akzeptiert wird und welche Auswirkungen ein politischer Rechtsruck darauf haben könnte. Unter den veränderten politischen Vorzeichen nehmen Ausgrenzung und rassistische Gewalt schlagartig zu. Die Prämisse der Serie, dass eine neue rechte Partei mit absoluter Mehrheit die Regierung in der Bundesrepublik stellt, ist eine dramaturgische Zuspitzung von historischem Ausmaß: Selbst die NSDAP kam im März 1933 nach einem ungleichen Wahlkampf nicht auf eine absolute Mehrheit.

ZDF/Martin Rottenkolber

Gemessen an dieser politischen Rahmung wirken die Figuren etwas unbedarft gegenüber dem "neuen" Rechtsextremismus. Die von Rassismus betroffenen sowie die solidarischen Figuren scheinen überrascht – fast so, als hätte es zuvor keine rassistischen Angriffe und Brandanschläge, ja keinen öffentlichen Diskurs über Einwanderung und Integration gegeben. Das gilt besonders für die jugendlichen Figuren: So berichtet die Schülerin Cansu, die zentrale migrantische Figur der Serie, nur vage von den Sorgen ihres Vaters, wenn sie sich heimlich mit ihrem Freund David trifft. David wiederum sieht zwar in der Schule und in den sozialen Medien, wie Cansu diskriminiert wird. Doch die Verantwortlichen sind für ihn bloß "Arschlöcher"; später sucht er sogar selbst Anschluss in der Clique des offen rassistisch auftretenden Olaf. Davids Vater Christoph, ein Politiklehrer, streitet sich derweil mit einem Kollegen wie am Stammtisch über die Frage, ob muslimische und nicht-muslimische Schüler/-innen getrennt unterrichtet werden sollen. Der Vorschlag ist keine politische Maßnahme, sondern stammt vom Schülersprecher des Gymnasiums. Ist es glaubwürdig, dass auf solche Weise Grundrechte an einer Schule abgeschafft werden könnten?

"Deutscher" bezieht sich auf Debatten um die AfD-Wählerschaft

Wirken die Ehepaare Schneider und Pielcke zunächst als Stereotypen einer polarisierten Gesellschaft, entwickeln sich die Figuren im Laufe der Serie weiter. Nachdem Eva und ihr Kollege Burak von drei Rechtsextremen attackiert worden sind, vertraut sie sich ausgerechnet ihrer Nachbarin an. Ulrike lässt das Klischee der Hausfrauenrolle schnell hinter sich, handelt empathisch und stellt ihren Mann zur Rede, wenn er die rassistischen Ausdrücke seines Lehrlings Olaf übernimmt. Frank wiederum maßregelt Olaf, als dieser sich Kunden gegenüber diskriminierend verhält. Auch die befreundeten Söhne, David und Marvin, reagieren in ihrer pubertären Unsicherheit ambivalent auf die rechte Stimmungsmache.

© ZDF/Martin Rottenkolber

Doch den Konflikt der Teenager mit dem Neonazi Olaf erzählt "Deutscher" schließlich als Läuterung: Die Sorge um ihre Kinder bringt die Schneiders und die Pielckes wieder zusammen, selbst Frank erkennt nun das Gewaltpotenzial der rechtsextremen Kräfte. Die Unterscheidung zwischen einer bürgerlichen Mitte, die bloß von Rechtspopulisten verführt wird, und echten Nazis ist ein bekanntes Narrativ im Rahmen von AfD-Analysen. Studien belegen jedoch, dass rassistische Denkmuster in der sogenannten Mitte der Gesellschaft weit verbreitet sind. Der Unternehmer Kellenburg steht in der Serie für einen solchen Rechtsextremen mit bürgerlicher Fassade. Der Protagonist Frank verweist hingegen auf das umstrittene Narrativ des "besorgten Bürgers".

Zwischen Opfer- und Täterrolle: Figuren mit Migrationshintergrund

Der Konflikt um die Teilhabe am Deutschsein wird anhand einiger Figuren mit Migrationshintergrund verhandelt. Am Beispiel von Burak, Evas Arbeitskollegen, und dem Mädchen Cansu, Davids Jugendliebe, erzählt die Serie, wie aus verbaler Ausgrenzung im Zuge des Rechtsrucks gewaltsame Angriffe werden: Burak wird von Neonazis verprügelt, Cansu erlebt einen Brandanschlag auf den Imbiss ihres Vaters. Die Serie stellt zwar die reale Desintegration dieser Menschen in Deutschland dar, räumt den Figuren mit Migrationshintergrund aber ebenfalls nur einen Platz am Rand ein. Burak und Cansu sind keine vollwertigen Charaktere, eher dramaturgische Funktionsträger; Cansus Vater muss man sogar als Statisten bezeichnen, dem die Rolle des stummen Opfers zugeschrieben wird. Hinzu kommt die Klischeefigur Emrah, ein kleinkrimineller Schulhofgangster, der an bekannte sogenannte Problemfilme wie Zum Filmarchiv: "Knallhart" (Detlev Buck, DE 2006) erinnert. Im Gegensatz zu den Pielckes und Schneiders werden diese Stereotype nicht ausdifferenziert. Türkeideutsche Schauspieler/-innen beklagen seit vielen Jahren, dass sie auf eindimensionale Täter- oder Opferrollen reduziert werden. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Serie im Bildungskontext sollte sich gezielt auch mit diesen Figurenbildern befassen.

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