1956 wurden die Filmfestspiele von Cannes von einem Skandal überschattet, der bis ins Parlament der noch jungen Bundesrepublik Deutschland nachwirkte. Nach der Nominierung von Alain Resnais’ filmischem Essay Zum Filmarchiv: "Nacht und Nebel" (FR 1955) über die deutsche Okkupation Frankreichs und die Verbrechen in den Konzentrationslagern als offiziellem Festivalbeitrag legte die Bundesregierung Protest gegen die Aufführung ein. Ihrer Auffassung nach verstieß der Film gegen die Festivalordnung, nach der "die Gefühle von anderen Staaten nicht verletzt werden dürfen". Nach einer Intervention der französischen Regierung wurde der Film aus dem Programm genommen. Der Zwischenfall hatte am 18. April 1956 allerdings ein Nachspiel im deutschen Bundestag, wo das Vorgehen der Regierung scharf kritisiert wurde. Die SPD warf der Adenauer-Regierung vor, die Verdrängung der deutschen Geschichte aktiv zu fördern.

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Ein Riss in der Gesellschaft

Der Streit um "Nacht und Nebel" gewährt einen Einblick in das gesellschaftlich-politische Klima, das in Lars Kraumes Film Zum Filmarchiv: "Der Staat gegen Fritz Bauer" (DE 2015) als atmosphärischer Hintergrund dient. Ende der 1950er-Jahre zog sich durch Westdeutschland ein tiefer Riss. Ein konsequenter Bruch mit dem NS-Regime war verpasst worden, weil sich ein Großteil der alten Funktionäre in einflussreiche Ämter der aufblühenden Demokratie hinübergerettet hatte. Gleichzeitig war in der Elterngeneration der Wunsch groß, die Verbrechen der Nationalsozialisten und die eigene schuldhafte Verstrickung vergessen zu machen. Wie der holländische Autor Ewout van der Knaap in seiner Studie Nacht und Nebel. Gedächtnis des Holocaust und internationale Wirkungsgeschichte jedoch belegt, war für die nachwachsende Generation das Thema noch nicht abgeschlossen.

Zwar erklärte die Landesbildstelle Baden-Württemberg im Mai 1957, dass der Film von Resnais "Jugendlichen, die den Krieg selbst nur in vager Erinnerung haben, nicht zugemutet werden“ könne. Dennoch fand "Nacht und Nebel" bis in die frühen 1960er-Jahre weite Verbreitung: Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen empfahl ihn als Schulungsfilm für den höheren Polizeidienst, und in der Staatsbürgerlichen Bildungsstelle, der Vorgängerin der nordrhein-westfälischen Landeszentrale für politische Bildung, war Resnais’ Zum Inhalt: Dokumentarfilm jahrelang der am häufigsten verliehene Titel. Vor diesem Hintergrund muss das Wirken von Fritz Bauer betrachtet werden, der sich wie keine andere Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte für eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen einsetzte.

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Ausnahmen im deutschen Kino

Dennoch entstanden in der Bundesrepublik der Nachkriegsjahre kaum Filme, die sich mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen im Dritten Reich beschäftigten (das galt in anderer Form auch für das DDR-Kino, das zwar eine Reihe antifaschistischer Kriegs- und Holocaustfilme hervorbrachte, in seinen Gegenwartsfilmen ab 1950 aber laut Parteibeschluss in erster Linie die "friedliche Aufbaumoral festigen" sollte). Nur wenige Filmemacher durchbrachen die deutsche Schweigemauer aus Heimatfilmen und Wirtschaftswunderkomödien, darunter der ehemalige DEFA-Regisseur Wolfgang Staudte, der 1959 mit "Rosen für den Staatsanwalt" die personellen Kontinuitäten im Justizapparat von Nationalsozialismus und Bundesrepublik als bissige Gesellschaftssatire erzählte.

Psychologischer war der Ansatz von Peter Lorres einziger Regiearbeit "Der Verlorene" (BRD 1951): In dem Film wird Lorre als ehemaliger KZ-Arzt nach Kriegsende mit seiner persönlichen Schuld aus der Vergangenheit konfrontiert, die auch als Allegorie für die deutsche Kollektivschuld am Holocaust verstanden werden konnte. Doch Regisseure wie Staudte und Lorre blieben Ausnahmeerscheinungen im deutschen Kino und ihre Filme fanden seinerzeit kaum ein Publikum. Im Dezember 1961 erlebte schließlich die Hollywood-Produktion "Das Urteil von Nürnberg" (USA 1961) über den "Juristenprozess" gegen führende NS-Richter, die sich der individuellen Schuldfrage in Form eines starbesetzten Gerichtsdramas annahm, ihre deutsche Uraufführung.

Aufarbeitung als Generationenkonflikt

"Der Staat gegen Fritz Bauer" und Zum Filmarchiv: "Im Labyrinth des Schweigens" (DE 2014) über die von Fritz Bauer initiierten Auschwitzprozesse blicken aus einer historisch gesicherten Perspektive auf diese Zeit zurück, in der viele Positionen über die Struktur des NS-Regimes und die Rolle der deutschen Bevölkerung im Dritten Reich, die seither umfassend erforscht wurden, noch erbittert umkämpft waren. Einen maßgeblichen Impuls für diesen gesellschaftlichen Prozess gaben die Studentenproteste 1967/68, in deren Verlauf sich ein Generationenkonflikt erstmals lautstark artikulierte, der über Umwege zur Radikalisierung von Teilen der Studentenbewegung führte. So legt auch Andres Veiels Zum Inhalt: Biopic "Wer wenn nicht wir" (DE 2011) über Bernward Vespers und Gudrun Ensslins gemeinsame Jahre vor der Gründung der RAF den Fokus auf die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern: Vespers Vater war ein hitlertreuer Nazi-Schriftsteller, der Vater von Ensslin hingegen war während der NS-Zeit Anhänger der oppositionellen Bekennenden Kirche, kämpfte zugleich aber auch als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg.

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Neues Interesse an Fritz Bauer

Zur erstaunlichen Anzahl jüngerer Zum Inhalt: Biopics über die deutschen Nachkriegsjahre kann auch Margarete von Trottas Film "Hannah Arendt" (DE/FR/IL 2012) gezählt werden, der den Eichmann-Prozess 1961 aus der Sicht der in den USA lebenden jüdischen Intellektuellen schildert. Die Aufarbeitungsfilme der letzten Jahre zeigen das Bedürfnis des deutschen Kinos, diese jahrzehntelang verschwiegene Epoche in ein historisches Narrativ zu überführen und damit zu kanonisieren. Nicht zufällig sind in kurzer Zeit gleich zwei Fritz-Bauer-Filme entstanden, die das aktuelle Bauer-Bild aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Interessanterweise nehmen sich dabei beide Filme die Freiheit, Bauers engste Mitarbeiter zu fiktionalisieren. Bauer bietet sich als geschichtsträchtiger Kinoheld an, weil in seiner Person entscheidende Kriterien der deutschen Aufarbeitungsgeschichte zusammenkommen: Er war als Remigrant unvorbelastet, galt als Einzelkämpfer (obwohl "Im Labyrinth des Schweigens" diesen Mythos ein wenig relativiert) und stellte mit seinem Vertrauen in die Jugend einen Brückenschlag zwischen den Generationen her.

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Wie kontrovers Bauers Rolle innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft war und wie vereinfachend es ist, sein Wirken auf die Rolle des "Nazijägers" zu beschränken, zeigt sein kurzer Auftritt in Alexander Kluges "Abschied von gestern" (BRD 1966), dem ersten Spielfilm zum Oberhausener Manifest. Bauer erläutert darin in zwei dokumentarischen Passagen seine Vorstellungen von einem humanistischen Justizsystem – unter anderem empfiehlt er im Gerichtssaal einen Runden Tisch, an dem Ankläger und Angeklagte auf Augenhöhe zusammensitzen – und positioniert sich damit gegen das vorherrschende autoritäre Rechtsverständnis. Ein Generalstaatsanwalt, der sich gewissermaßen auf die Seite der Gegenöffentlichkeit schlägt: Das ist eine faszinierende Facette in der Biografie Fritz Bauers, die sowohl in "Der Staat gegen Fritz Bauer" als auch in "Im Labyrinth des Schweigens" wenig Beachtung findet.

Geschichte kanonisieren

Man kann die aktuelle Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen als Korrektiv eines vergangenen Versäumnisses im deutschen Kino verstehen. Wie oft bei solchen Prozessen besteht dabei die Gefahr, eine dominante gegenwärtige Sicht zu historisieren. Ähnliches ist bereits in der deutschen Rezeptionsgeschichte von Resnais’ "Nacht und Nebel" geschehen, in der bis heute fälschlicherweise die Ansicht überdauert hat, der Film sei seinerzeit von deutschen Behörden verboten worden. Tatsächlich bilden die wenigen zeitgenössischen Filme, die das gesellschaftliche und politische Klima in den 1950er- und 1960er-Jahren widerspiegeln, und aktuelle Produktionen wie "Der Staat gegen Fritz Bauer" , "Im Labyrinth des Schweigens" oder "Hannah Arendt" eine thematische Klammer im deutschen Kino. Die wesentliche Erkenntnis dieser Filme besteht darin, dass die Aufarbeitung der Schuldfrage nicht einer einzelnen Generation überlassen werden kann, weil jede Generation neue Fragen an die Geschichte stellt.