Vor der Landnahme der europäischen Siedler/-innen bestand die indigene Bevölkerung Nordamerikas aus einer Vielzahl von Ethnien. Die Sprachen und Kulturen dieser Menschen waren ebenso divers wie ihre Herrschafts- und Wirtschaftsformen. Und schon die unzähligen Eigennamen der indigenen Gemeinschaften lassen erahnen, dass ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit unter den verschiedenen Gruppen kaum ausgeprägt war. Die Kolonisator/-innen machten diese Differenzierungen in der Regel nicht. Im Gefühl kultureller Überlegenheit und aufgrund ökonomischer und politischer Interessen setzte sich bei Euroamerikaner/-innen eine rassistische Praxis der Gleichmacherei gegenüber der Urbevölkerung durch, die auch in der Fremdbezeichnung "Indianer" Ausdruck fand.

Heute sind kultursensiblere Begriffe wie "Native Americans" üblich. Auch diese Bezeichnung wird allerdings nur von Teilen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas angenommen – ein allgemeiner Konsens über eine korrekte Sprachregelung besteht zurzeit noch nicht. Und auch das Wissen um die Vielfältigkeit der indigenen Kultur hat inzwischen Verbreitung gefunden. Gleichwohl sind viele Zuschreibungen, die mit dem "Indianer"-Begriff verknüpft sind, nach wie vor gängig. So erweist sich auch das folkloristische Klischee vom wilden furchtlosen Reitervolk aus der Prärie, das in Tipis wohnt und Federschmuck trägt, als bemerkenswert zählebig. Daran hat das Kino und speziell das Westerngenre einen entscheidenden Anteil.

Die kolonialistische Perspektive des Westerns

Schon das Wort "Western" verrät die kolonialistische Perspektive des Zum Inhalt: Genres: Es greift die Bewegung der Pioniere auf, vor denen sich das Territorium der indigenen Bevölkerung wie ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten ausbreitet – eine Wildnis, die es zu erschließen und zu zivilisieren gilt. In dieser Sichtweise ist die Rolle der indigenen Menschen festgeschrieben: Sie verkörpern das Wilde, das der Zivilisation im Weg steht.

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In unserem Themenschwerpunkt setzen wir uns mit dieser problematischen Perspektive des Filmgenres auf die indigene Bevölkerung auseinander. Der Aufsatz "Native Americans im Western" zeigt, wie das Kino von Beginn an etablierte Stereotypen wie die des "blutrünstigen wilden Kriegers" und des "edlen Wilden" aufgreift und weiterentwickelt. Welches Klischee die Filme bedienen, ist dabei nicht zuletzt abhängig vom zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext ihres Entstehens. Klassische Western wie Zum Filmarchiv: "Ringo" ("Stagecoach" , John Ford, USA 1939) inszenieren Native Americans als äußere Bedrohung. Spätwestern tendieren dagegen zur Idealisierung. Das trifft auch auf Zum Filmarchiv: "Der mit dem Wolf tanzt" (Dances with Wolves, 1990) zu. Dennoch markiert Kevin Costners Westernepos, dem wir aus Anlass seines Kinostarts vor 30 Jahren eine ausführliche Besprechung widmen, schon durch sein augenscheinliches Interesse an indigener Kultur und Sprache eine wichtige Zäsur für das Zum Inhalt: Genre.

Tatsächlich ist der Zum Inhalt: Western aber auch kein rein US-amerikanisches Phänomen. So erlebte das deutsche Kino in den 1960er- und 1970er-Jahren eine regelrechte Wild-West-Welle: In der Bundesrepublik verklärten eskapistische Karl-May-Verfilmungen den fiktiven Apachenanführer Winnetou zum strahlenden Helden. Die DDR setzte die "DEFA-Indianerfilme" dagegen, in denen Native Americans wiederum im Sinne der sozialistischen Ideologie vereinnahmt wurden. In seinem Aufsatz "Winnetou und sein roter Bruder: Deutsche 'Indianerfilme' in West und Ost" widmet sich Filmwissenschaftler Dr. Henning Engelke diesem Phänomen.

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Unabhängig jedoch vom Standpunkt und Entstehungskontext der Westernfilme – gemein ist ihnen, dass sie Native Americans lange Zeit kaum Gelegenheiten boten, sich selbst darzustellen und auszudrücken. Erst in jüngster Zeit deutet sich hier ein Wandel an: Nachdem das Kino die Vernichtung der indigenen Lebenswelt schon seit den 1950er-Jahren zunehmend kritisch thematisiert, steigt seit einigen Jahren auch die Präsenz indigener Filmschaffender. Unter anderem diese Entwicklung reflektiert unser Interview mit Dr. Kerstin Knopf, Professorin für Postcolonial Literary and Cultural Studies an der Universität Bremen.

Jüngere Großproduktionen wie "Lone Ranger " ("The Lone Ranger" , Gore Verbinski, USA 2013), aber auch Independent-Filme wie Kelly Reichardts "Auf dem Weg nach Oregon" (Meek's Cutoff, USA 2010) belegen, dass der Western nach wie vor lebendig ist und sich gerade auch in der Darstellung der Native Americans ein Wandel vollzieht. Die Auseinandersetzung mit dem Genre macht das umso spannender: Sie eröffnet die Chance, kulturell geprägte Sichtweisen und eigene stereotype Wahrnehmungen zu hinterfragen – und so interkulturelle Kompetenz zu fördern.

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